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Mord und Totschlag

Beliebt: Debatten über Ausländerkriminalität, unbeliebt: Konsequenzen für Polizeigewalt

Von Jan Ole Arps

Polizeieinsätze wie hier in einer Unterkunft für Geflüchtete in Siegen trainieren den Blick der Bevölkerung. So festigt sich die Komplizenschaft zwischen polizeilicher Perspektive und dem weißen Blick der Mehrheitsgesellschaft. Foto: Andreas Trojak / Flickr, CC BY 2.0

In weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit gibt es eine verstörende Vorliebe dafür, Polizeimeldungen unkritisch wiederzukäuen. Einen willkommenen Anlass hierfür bot Anfang April die neue Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS), eine Art Arbeitsnachweis der 16 Landeskriminalämter für das zurückliegende Jahr, anhand dessen Politik, Polizeivertreter*innen und Medien gern über die Entwicklung der Kriminalität spekulieren, meist ohne große Rücksicht auf die Belastbarkeit der veröffentlichten Daten. Der Tenor war eindeutig: größter Anstieg der Kriminalität seit Jahren, immer mehr Gewaltdelikte, immer mehr ausländische Tatverdächtige. Die Schlussfolgerungen, die Unionspolitiker*innen und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) anbieten, sind denn auch wenig überraschend: volle Härte des Gesetzes, kriminelle Ausländer raus.

Da half es wenig, dass u.a. Kriminolog*innen in den Folgetagen einiges versuchten, um die Debatte zu versachlichen. Die PKS sei wenig aussagekräftig, Verzerrungen gebe es in viele Richtungen: So sagt die PKS nichts darüber, ob eine Ermittlung auch zu einer Verurteilung führt. Umgekehrt finden viele Straftaten keinen Eingang in die Statistik, insbesondere solche, bei denen von einem hohen »Dunkelfeld« ausgegangen wird, etwa bei Sexualstraftaten. Und schließlich haben auch die – unterschiedlich verteilte – polizeiliche Kontrolldichte und die Anzeigenbereitschaft der Bevölkerung Einfluss darauf, wie sich die Kriminalitätsstatistik entwickelt. Die wiederum sind beeinflusst davon, auf welchen Themen gerade ein besonderes Augenmerk liegt.

Daran, dass die Zahlen für rassistische Hetze missbraucht werden, ändert das alles nichts. Die kriminelle Energie, die konservative Politiker*innen und Medien dabei an den Tag legen, wäre eine eigene Untersuchung wert. Die wird es wohl nicht so bald geben. Ebenso wenig wie eine Erfassung von Fällen, in denen Täter*innen aus den Reihen jener Institution kommen, die sich dieser Tage einmal mehr als Hüterin von Sicherheit und Ordnung aufspielt: der Polizei.

Bis heute werden nicht einmal polizeiliche Todesschüsse von offizieller Seite transparent und aussagekräftig dokumentiert. Dieser Aufgabe nehmen sich stattdessen selbstorganisierte Initiativen an, etwa die Recherchegruppe Death in Custody oder die polizeikritische Zeitschrift CILIP. In der Woche vor Vorstellung der PKS wurden abermals zwei Menschen von Polizist*innen getötet. Am 3. April erschossen Beamt*innen einen 52-jährigen obdachlosen Mann in Dortmund; am 30. März starb in Nienburg der 46-jährige Gambier Lamin Touray, nachdem Polizist*innen acht Schüsse auf ihn abgefeuert hatten. Die Freundin des Mannes, der sich in einer psychischen Notlage befand, hatte den Notruf gewählt, um ihm zu helfen. Doch anstelle von Sanitäter*innen kam die Polizei. Zahlreiche Zeitungen übernahmen (mal wieder) die Darstellung der Polizei, derzufolge Touray seine Freundin bedroht habe – sie widerspricht dem in der taz vehement. Gleiches Schema also wie bei der Kriminalitätsstatistik: Wer ohnehin an das Märchen von den kriminellen Ausländer*innen glaubt, kann die Fakten hinter den Polizeibehauptungen einfach ignorieren.

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.

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