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Vokabeln lernen reicht nicht

Die ausschließliche Beschäftigung mit Konsens dient der Verschleierung von männlicher Gewalt

Von Kim Posster

Tat sich anfangs schwer, ist jetzt aber auch der Meinung, dass Nein wirklich Nein heißen sollte: Der ehemalige Justizminister Heiko Maas, der 2017 den Entwurf zur Reformierung des Sexualstrafrechts vorlegte. Foto: Olaf Kosinsky/wikimedia commons, CC BY-SA 3.0

Die Auseinandersetzung mit Konsens hat sich als Goldstandard in der feministischen Linken durchgesetzt, wenn es darum geht, sexualisierte Gewalt zu verhindern. Kommunikationsprinzipien wie »Nur Ja heißt Ja!« verpflichten alle Beteiligten zum Beispiel dazu sicherzustellen, dass keine sexuellen Handlungen gegen den Willen einer Person durchgeführt werden. Weil sexuelle Gewalt weit häufiger von cisgeschlechtlichen und heterosexuellen Männern ausgeht und vor allem Frauen betrifft, ist die Beschäftigung mit Konsens auch ein Hauptthema in der profeministischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit geworden. Profeminismus verstanden als solidarische Position und Praxis von vor allem cis Männern gegenüber dem Feminismus.

Auch in der Linken beliebte Publikationen, die an diese Tradition anschließen wie das 2021 gegründete Boykott Magazin oder der im gleichen Jahr entstandene Telegramkanal »Kritischer Kalender« (11.458 Abonnent*innen, Stand: 12/22) besprechen das Thema immer wieder ausführlich.

Dort erfährt man, dass Konsens viel mehr als schlichte Gewaltprävention sei. Es gehe nicht nur darum, negative Erfahrungen zu verhindern, sondern vor allem darum, positive zu ermöglichen: Konsens herstellen, also miteinander aushandeln, was alle Beteiligten möchten, soll »uns allen« helfen, zu unseren »wahren Bedürfnissen« zu stehen und sie miteinander zu verwirklichen.

Das hört sich toll an, doch Moment mal. Es ging ja eigentlich um sexuelle Gewalt: Was ist denn, wenn jemand das Interesse hat, andere beim Sex nicht als Gegenüber wahr- und ernstnehmen zu müssen? Was, wenn sich jemand wünscht, nicht-einvernehmlich dominant, unterwerfend und übergriffig zu sein? Was also, wenn man davon ausgehen muss, dass Menschen und vor allem cisgeschlechtliche Männer im Patriarchat auch »wahre Bedürfnisse« entwickeln, die mit Konsens grundsätzlich unvereinbar sind?

Rosinenpicken

Bei dieser Frage herrscht in der Regel nur peinlich berührte Stille. In der zweiten Ausgabe des Boykott Magazins zum Beispiel spielt Konsens wie gewohnt eine große Rolle. Die ganze Rubrik »sexualisierte Gewalt«, welche es in der ersten Ausgabe noch gab, wurde hingegen kommentarlos gestrichen. Im »Kritischen Kalender« wiederum erfährt man lediglich, dass es einen Zusammenhang von geschlechtlicher Herrschaft, Männlichkeit und Gewalt gibt. Wie dieser funktioniert und was das für Konsequenzen hat bleibt unklar.

Die Autoren bemängeln stattdessen lediglich, dass es nicht immer so leicht sei mit der Umsetzung auf Konsens ausgerichteter Gespräche. Sie stellen deshalb 50 vorformulierte »Beispielsätze« zur Verfügung, die dabei helfen sollen, offen über alles miteinander zu reden. Nun ja, fast alles: Darüber, dass Männer im Patriarchat oft ein Interesse, ein Bedürfnis und ja, auch eine Lust an nicht-konsensueller, sexueller Dominanz entwickeln, wird eisern geschwiegen.

Was ist denn, wenn jemand das Interesse hat, andere beim Sex nicht als Gegenüber wahr- und ernstnehmen zu müssen?

Sätze wie »Ich habe manchmal den Impuls, mir einfach zu nehmen was ich will, egal ob du gerade darauf Lust hast« oder »Manchmal merke ich, dass mir die Vorstellung, dass ich etwas mit dir machen kann und du dich nicht wehrst, weil du eingeschüchtert bist, ein wenig erschreckt, aber auch richtig anmacht«, können und sollten auch nicht im Konsensgespräch mit eine*r Partner*in fallen.

Solche misogynen Impulse, sollten das Problem der Männer sein, die sie haben. Deshalb wäre es umso wichtiger, dass sie diese Fantasien vor sich selbst aussprechen und ihre Bedeutung an sich heranlassen würden. Sonst besteht die Gefahr, dass sie sich immer wieder verwirklichen werden.

Eine Beschäftigung mit Konsens, die das ausblendet, kann sich logischerweise nur noch um Unsicherheiten und »Fehler« bei der Umsetzung drehen. Warum eine solche Schwerpunktsetzung höchst problematisch ist, kann man dem Kalender dabei an anderer Stelle selbst entnehmen. In einem Beitrag von November 2022 geben die Autoren eine Kritik der Feministin Rona Torenz sinngemäß so wieder: »Der Fokus [wird] verschoben – weg von Geschlechterverhältnissen hin zu Missverständnissen als Ursache(n) für sexualisierte Gewalt. […] Konsens ist also keine Individuallösung, die frei von bestehenden Machtverhältnissen ist, sondern diese sogar bestärken kann.«

Es sollte eigentlich eine linke Binsenweisheit sein, dass man sich gegen die Verinnerlichungen von Herrschaftsverhältnissen nicht einfach entscheiden kann. Der gute Wille allein reicht nicht aus und ist gerade bei männlicher Gewalt noch lange kein Grund für Vertrauen: Die wenigste sexuelle Gewalt ist geplant, und fast alle Männer, die übergriffig werden, würden Misogynie und Männergewalt bewusst ablehnen. Bei linken Männern gilt das sogar mehr als weniger.

Das Problem ist, dass (cis) Männer in der Regel nichts von ihrer Verstrickung in Täterschaft wissen. Vor allem aber, dass sie nichts von ihr wissen wollen! Der einseitige Fokus auf Konsens bestätigt sie in dieser gefährlichen Passivität: Da von vornherein ausgeschlossen wird, dass irgendwer ein Interesse an der Gewalt haben könnte, bleiben nur Unsicherheiten und Missverständnisse als Gründe. Übergriffe werden so zu etwas, das niemand mehr will und aktiv durchführt. Sie können Männern nur noch irgendwie »passieren«. Das entspricht exakt dem Selbstverständnis der meisten Täter.

Die vorgeblich kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit wird so zur Ersatzhandlung: Etwas, das eigentlich im Zentrum stehen sollte, nämlich die Frage danach, warum (cis) Männer Gewalt ausüben, wie sie Misogynie verinnerlichen und welche Konsequenzen sie daraus ziehen müssten, wird zum Auge des Sturms von »Reflexionsbewegungen«, die dem Kern der Sache ausweichen.

Feministische Selbstoptimierung

Die Anteile an mir, in denen Liebe und Ärger, Angst und Begehren sowie Lust und Hass auf Weiblichkeit miteinander verschwimmen, habe ich nicht durch Konsensfragebögen entdeckt. Ich musste mich erst von ihnen erschrecken lassen, mir selbst und meinen Verdrängungsmechanismen auf die Schliche kommen und die nötige Trauer und Wut über diesen Zustand entwickeln, um immer wieder und immer noch gegen ihn aufzubegehren.

Doch die aktuelle Beschäftigung mit Konsens, wie sie vor allem in der Kritischen Männlichkeitsszene betrieben wird, unterstützt weder die kritische Analyse von männlicher Gewalt, noch die Erfahrung und Reflexion der Gefühle und Bedürfnisse, die hinter ihr stehen. Im Gegenteil: Für kritische Männer ist Konsens längst eine Sozialtechnik und Ideologie geworden, mit der sie immer weiter vermeiden, ihre Verstrickung in Täterschaft zu spüren und dann auch wirklich angehen zu müssen.

Dagegen braucht es nach wie vor kollektiven Aktivismus gegen Männergewalt. Und alle, die dafür nur oder hauptsächlich individuelle Verhaltenstipps anzubieten haben, sind keine verlässlichen Verbündeten. Eine Erkenntnis, aus der sich dann am Ende doch noch ein persönlicher Ratschlag ableiten lässt. Nur eben nicht für Männer, sondern für alle, die das Pech haben, Männer zu begehren: Bleib bei dir! Misstrauen ist ein legitimes Gefühl! Besonders, wenn es sich gegen (cis) Männer richtet, die sich zwar sehr für Konsens, aber nicht für die Hintergründe von sexueller Gewalt interessieren! Denn dann ist es nicht nur legitim, sondern leider notwendig.

Kim Posster

war an mehreren Versuchen der organisierten Reflexion von Männlichkeit beteiligt, die er mittlerweile als gescheitert betrachtet. Sein Buch »Männlichkeit verraten!« ist 2023 bei Neofelis erschienen.

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