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Neue Männer braucht das Land … nicht

Das feministische Männermagazin Boykott versucht, vieles besser zu machen, und schafft nur einiges davon

Von Malin Soetbeer

Selbes Modell, andere Ausführung. Das Boykott Magazin verspricht Männlichkeit aufzubrechen, anstatt sie nur zu modernisieren. So richtig gelingt das nicht. Foto: Craig McLachlan/Unsplash

Das Magazin Boykott – eine linke »Männerzeitschrift« – sorgt derzeit für Diskussionen unter den Genoss*innen. Dabei geht es nicht immer um die Auseinandersetzung mit dem Thema Männlichkeit, das in feministischen Debatten im letzten Jahr sehr präsent war, sondern auch um die Frage, ob ein Lifestylemagazin für (linke) Männer das ist, was uns gerade noch gefehlt hat.

Was die Herausgeber*innen des Magazins wollen, ist »(Cis) Männer anstoßen, … in die eigenen Abgründe zu blicken und das eigene gewaltvolle Handeln anzuerkennen«. Das Geschlechtersystem, so wie es gerade existiert, wollen sie abschaffen, keine neue Gelegenheit für (cis) Männer bieten, sich zu profilieren und »neue identitäre Männlichkeit heraufzubeschwören«. (1) Soweit, so bekannt: Männlichkeit kritisieren, ohne Männern den altbekannten Ausweg zu lassen, sich nur oberflächlich zu optimieren.

Liest man die 135 Seiten chronologisch von A (wie Editorial) bis Z (wie Umgang mit Kritik), begegnet einem*r das Elend männlicher Beziehungslosig- und Übergriffigkeit neben dem Thema Männer-Mode und einer Anleitung zum »guten« Flirten. Der im Ton radikale Männerrundbrief Nr. 1 aus den 90er Jahren zum Umgang mit Vergewaltigern und dem Anerkennen der eigenen Übergriffigkeit (»Der Mann ist sozial und sexuell ein Idiot«) folgt einem seichten Modeporträt (»Wo besorgst du dir deine Klamotten? – Ich gehe gerne bei meinen Städtereisen shoppen«). Das ist irritierend, aber stellt (wahrscheinlich ungewollt) die Alltäglichkeit sexueller Gewalt sehr eindrücklich dar. Begegnen einer die Übergriffigkeiten und Berichte der Genossinnen über sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen doch ähnlich integriert in den manchmal ganz unbeschwerten Alltag.

Quo vadis, linke Männlichkeit? 

Im Editorial kündigen die Herausgeber*innen an, Zweifel schüren und gemeinsam stolpernd voranschreiten zu wollen – die Rubrik »Theorie« schürt insofern tatsächlich Zweifel, als dass hier von dem Anliegen, männliche Kontrolle und Souveränität zu brechen, geschrieben wird. Keine neuen Männer braucht das Land! Die Erkenntnis, dass keine Form von Männlichkeit eine emanzipatorische sein kann, weil Männlichkeit eben kein Bündel an Eigenschaften, sondern eine Form der Herrschaft ist, wird leider nicht konsequent genug umgesetzt. An verschiedenen Stellen des Magazins taucht dann doch der neue und individuell optimierte Mann auf, der sich besser kleidet und wenigstens überhaupt mal irgendwas zum Thema Männlichkeit gelesen hat.

Nicht die Form des Anbaggerns ist das Problem, sondern die dahinterliegenden Strukturen, die gruseligen Abgründe männlicher Sexualität.

Insbesondere in den Texten zum Flirten verlieren die Herausgeber*innen das selbst gesteckte Ziel aus den Augen, »keine neue identitäre Männlichkeit« heraufzubeschwören. Man hätte an dieser Stelle über die männlichen Bedürfnisse sprechen können, Kontrolle und Unabhängigkeit beim Anbaggern zu bewahren – doch wir befinden uns auf einmal mitten in einem Versuch der Wiedergewinnung männlicher Souveränität. Flirten ist für alle Beteiligten aufregend, verunsichernd und manchmal auch beängstigend – eine liebevolle Anerkennung dessen wäre an dieser Stelle für alle gewinnbringender gewesen. Nicht die Form des Anbaggerns ist das Problem, sondern eben die dahinterliegenden Strukturen, die männlichen Herrschaftsansprüche und gruseligen Abgründe männlicher Sexualität, die sich vor allem im letzten Jahr wieder einmal deutlich gezeigt haben.

Eine Rubrik für Kritik von Leser*innen gibt es natürlich auch im neuen Boykott-Magazin. Dieses Mal hat es Kim Posster getroffen, dessen Tweets zum Magazin als gedruckte Screenshots die letzten Seiten zieren. Posster hatte scharf kritisiert, dass ein Männer-Lifestylemagazin eigentlich nur eine Reform von Männlichkeit hervorbringen kann. Die Antwort der Herausgeberin Ulla Wittenzeller weckt Zweifel an dem Vorhaben, für Kritik offen zu sein. Wer will schon, dass der eigene (Twitter-)Kommentar rausgepickt und prominent auf der letzten Seite »angeprangert« wird. Die zugegeben eher unfreundliche Kritik Possters, die aber tatsächlich eine spannende Frage stellt, wird jedenfalls nicht inhaltlich beantwortet, sondern implizit als transfeindlich und »Mackergehabe« kritisiert. Das ist schade, denn genau hier steckt wohl die Antwort, ob uns das Boykott-Magazin grade noch gefehlt hat.

Kann man schon machen

Gelegenheiten für Männer, in die eigenen misogynen Abgründe zu blicken, verdrängte Wünsche und Impulse einzugestehen und in die Auseinandersetzung darüber zu treten, bietet die Textauswahl des Boykott-Magazins an Stellen trotzdem. Es geht um die Bedrohlichkeit, die Nähe und Abhängigkeit auslöst, Scham und Angst, das funktionale Verhältnis zum Gegenüber in (Männer-)Freundschaften und in romantischen und sexuellen Heterobeziehungen. In der Rubrik »Literarisches« beispielsweise beschreibt der Ich-Erzähler einer fiktiven Kurzgeschichte die Ekelhaftigkeit seiner (alltags-)sexistischen Männerfreunde, des eigenen misogynen Verhaltens und der Ratlosigkeit und Angst, die auf die Erkenntnis folgt, selbst »so einer« zu sein. Hier wird das Versprechen der Herausgeber*innen erfüllt, männliche Souveränität zu brechen, Zweifel entstehen zu lassen und die Möglichkeit für die eigene Verantwortung im Patriarchat aufzuzeigen.

Solche Texte sind die Stärke des Magazins und unsere Genossen lesen so vielleicht wirklich die Texte, die es schon seit Jahren gibt. Das kann man belächeln (ich tue es hin und wieder), aber falsch ist das nicht. Das Boykott-Magazin ist sehr gefragt. Es bietet für sich allein genommen zwar, wie oben beschrieben, genug Texte, die Männern locker dazu dienen können, in ihrer »kritischen« Männlichkeit gestärkt in die Welt hinaus zu gehen und eigentlich nicht wirklich was zu ändern. Die Abschaffung der Männlichkeit und des binären Geschlechtersystems vollzieht sich aber eh nicht durch die Lektüre eines Lifestylemagazins. Das wäre auch zu viel verlangt.

Da führt uns nur eine gelungene feministische Organisierung hin, die Männern einen Weg der Verunsicherung und Auseinandersetzung bietet und auf dem sie lernen, handelndes Subjekt gegen das Patriarchat zu werden. Wir brauchen keine passiven »Allys« (dt. »Verbündetete«), die demütig ihre Privilegien aufzählen und dabei doch nur daran denken, bloß nicht das Gesicht zu verlieren und sich weiterhin übergriffig verhalten. Der Weg zur besseren Gesellschaft gelingt nur mit Genossen, deren Ziel es ist, Kritik verstehen und sich ihr stellen zu wollen. Die sich Fehler eingestehen und Verantwortung dafür übernehmen. Und die so am Ende der Abspaltung der eigenen misogynen Anteile entgegenwirken.

Malin Soetbeer

ist in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig und beschäftigt sich mit (feministischen) Arbeitskämpfen und Organisierungsfragen.

 Anmerkung:

1) Der Begriff »cis Männer« beschreibt Männer, die sich mit ihrem bei Geburt zugewiesenen männlichen Geschlecht identifizieren. Das Gegenteil von »cis« ist »trans«.