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Der Juli war heißer denn je – aber kaum etwas passiert. Warum?

Von Guido Speckmann

Waldbrand
Die Orte mögen wechseln, die Extremwettereignisse aber bleiben. Foto: Wikimedia Commons/PLoS, CC BY 2.5

Hitzewellen, Überschwemmungen und Waldbrände: In diesem Jahr scheint alles wie in den vergangenen Jahren, nur die Orte der Wetterextreme wechseln. Spätestens 2021, mit der Flutkatastrophe im Ahrtal, ist hierzulande klar geworden: Der Klimawandel ist auch in Europa keine abstrakte Gefahr mehr, sondern eine konkrete, die Schneisen der Verwüstung hinterlässt – und Todesopfer.

International sieht es nicht viel anders aus. Beispiel Südamerika: Dort trafen sich zwar Anfang August im brasilianischen Belém erstmals nach 14 Jahren wieder Vertreter*innen der Amazonas-Anrainerstaaten. Ihr Ziel: die Abholzung des als Kohlendioxidsenke so wichtigen Regenwaldes zu stoppen. Brasiliens Präsident Lula da Silva von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei war mit einer guten Botschaft nach Belém gekommen: Es ist möglich, die Entwaldung deutlich zu reduzieren. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, der in die Regierungszeit seines rechten Vorgängers Jair Bolsonaro fiel, ist sie um 34 Prozent zurückgegangen. Das ist immerhin etwas – zumal zwei Drittel des Regenwaldes auf brasilianischem Territorium liegen. Doch Lula konnte sein Ziel, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen, nicht durchsetzen. Die »Erklärung von Belém« enthält nichts Verbindliches. Und Brasilien widersetzte sich auch einem vernünftigen Anliegen: dem des linken kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro, die Ölförderung im Regenwald zu verbieten. Brasilien plant derzeit ein gigantisches Offshore-Projekt im Mündungsgebiet des Amazonas.

Die deutsche Politik hat den Klimaschutz schon vor dem Sommer geschliffen.

Der Grund ist derselbe, der die deutsche Politik schon bei einer leichten Konjunkturdelle in Panik verfallen lässt: Wenn das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) geringer ausfällt als erwartet oder gar sinkt, ist Schluss mit Klimaschutz. Denn dann nimmt der Staat weniger Steuern ein, hat weniger zu verteilen, und die Politiker*innen bangen um ihre Wiederwahl. Darin ähneln sich die linken Regierungen Lateinamerikas und die Liberalen in der deutschen Regierung. Die Linksregierungen sind, wie andere Strömungen der radikalen und marxistischen Linken, im Wachstumsdenken gefangen. Zwar kann die lateinamerikanische Linke für sich in Anspruch nehmen, durch Wachstum noch den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten heben zu können – im Gegensatz zum hoch industrialisierten Deutschland.

Die Wachstumsfrage steht somit im Zentrum einer Klimaschutzpolitik, die tatsächlich kurzfristig und drastisch die Emissionen stoppen kann. Wohlgemerkt: Es geht vor allem um das Wachstum des Ressourcenverbrauchs, das mit mehr Emissionen einhergeht und auch Ursache für die gleichermaßen gravierende Krise des Biodiversitätsverlustes ist. Weniger Wachstum, weniger Ressourcenverbrauch ist gut für Klima und Artenvielfalt – eigentlich ein Grund zur Freude. Aber im Kapitalismus ist weniger Wachstum in sozialer Hinsicht schlecht. Wie gut, dass zumindest in der Linken jetzt über den Degrowth-Kommunismus diskutiert wird.

Guido Speckmann

ist Redakteur bei ak.

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