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Kriege gegen das Böse

Regime Change durch Kampfbomber? Eine Bilanz von drei Jahrzehnten westlicher »Militärinterventionen«

Von Jens Renner

Ein Militärflugzeug, das Raketen abfeuert
Demokratie und Freiheit im Gepäck? (In diesem Fall) Britisches Militärflugzeug in Bagdad, 2003. Foto: Master Sergeant Robert R. Hargreaves Jr /Wikimedia Commons, Public Domain

Kein Ende der Geschichte und schon gar kein ewiger Frieden – auch nach dem Umbruch der Jahre 1989 bis 1991 erlebte die Welt eine Reihe westlicher Interventionskriege. Führend blieben die USA. Deren Streitkräfte waren nicht nur häufig, mitunter verdeckt, an »niedrigschwelligen Konflikten« (low intensity conflicts) beteiligt, etwa in Somalia oder Kolumbien, sondern auch Akteur in offen erklärten Kriegen. Irak wurde gleich mehrfach zum Schlachtfeld.

Irak

Anfang 1991, ein halbes Jahr nach dem irakischen Überfall auf Kuwait, beendeten US-geführte Koalitionstruppen die irakische Besetzung. Legitimiert war die »Operation Desert Storm« durch ein Mandat des UN-Sicherheitsrates. Der irakische Diktator Saddam Hussein blieb vorerst an der Macht. Ab 2002 wurden er und sein Regime in der westlichen Propaganda zur größten Bedrohung des Weltfriedens erklärt. Namentlich US-Außenminister Colin Powell und der britische Premier Tony Blair beschworen mit öffentlichen Auftritten die drohende Gefahr. Vor allem Israel sei akut durch den Einsatz irakischer Massenvernichtungswaffen in seiner Existenz gefährdet, behaupteten sie.

Beweise dafür gab es nicht. Das hinderte eine Koalition von 48 Staaten unter Führung der USA nicht an der im März 2003 begonnenen »Operation Iraqy Feedom«. Auf deren schnellen Sieg folgten Besetzung und Bürgerkrieg, der auch nach dem Abzug der Besatzungstruppen 2011 weiterging. Nach Schätzungen starben in Irak zwischen 2003 und 2011 bis zu 600.000 Zivilist*innen infolge kriegerischer Handlungen. Die irakischen Massenvernichtungswaffen, die den Krieg legitimieren sollten, stellten sich später als Erfindung heraus.

Nach Schätzungen starben in Irak zwischen 2003 und 2011 bis zu 600.000 Zivilist*innen. Die irakischen Massenvernichtungswaffen, die den Krieg legitimieren sollten, stellten sich später als Erfindung heraus.

Kontroversen gab es um einen deutschen Beitrag zum Irakkrieg. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und sein grüner Außenminister Joschka Fischer bezweifelten öffentlich die These von der irakischen Bedrohung und versuchten, sich als Friedenspolitiker zu profilieren. Als der Krieg begann, beteiligte sich Deutschland dennoch. Nicht mit eigenen Soldat*innen im irakischen Wüstensand (das hatte nie zur Debatte gestanden), wohl aber mit der Entlastung der USA: u.a. als Drehscheibe für Truppenbewegungen, durch Aufklärungsflüge, Übernahme einer US-Marinemission in Kuwait oder der Versorgung verwundeter Soldat*innen.

Jugoslawien

Anders als 2003 beim Irakkrieg hatte die seit 1998 amtierende rotgrüne deutsche Bundesregierung von Anfang an offen für einen Krieg gegen Jugoslawien und für eine deutsche Beteiligung daran geworben. Die Begründung: Im Kosovo drohe ein Völkermord an den Albaner*innen, der nur durch Militär gestoppt werden könne. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der Nato unter US-Kommando begann im März 1999 und endete wenige Wochen später mit einem Waffenstillstand und der Entsendung von Schutztruppen (KFOR) in den Kosovo. Für die Bundeswehr war die Kriegsbeteiligung der erste Kampfeinsatz seit ihrer Gründung 1955. Sie flog etwa 400 Aufklärungseinsätze und bombardierte mit mehr als 200 Raketen jugoslawische Radarstellungen. Dem deutschen Kriegseinsatz lag ein Beschluss des Bundestages zugrunde, dem alle Fraktionen mit Ausnahme der PDS zugestimmt hatten.

Afghanistan

Die Operation »Enduring Freedom« begann im November 2001 als Reaktion auf den Terroranschlag auf die New Yorker Twin Towers am 11. September desselben Jahres. Die Attentäter waren mehrheitlich saudi-arabische Staatsbürger, das von den Taliban beherrschte Afghanistan aber galt als Rückzugsgebiet für islamistische Kämpfer unterschiedlicher Nationalität. Zwar gelang es den Interventionstruppen, etliche Islamist*innen zu töten und das Taliban-Regime zu stürzen. Unter den Opfern von 20 Jahren Krieg und Besetzung waren aber auch etwa 200.000 Zivilist*innen. 2021, nach dem überstürzten Abzug der Besetzungstruppen und der Rückeroberung der politischen Gewalt durch die Taliban, wurden demokratische Errungenschaften umgehend wieder abgeschafft. Dazu gehörten insbesondere mehr Rechte für Frauen und Mädchen, die deren Zugang zu Schulen ermöglichten.

Die Bundeswehr war mit eigenen Soldat*innen am Krieg beteiligt, darunter auch die militärische Elitetruppe Kommando Spezialkräfte (KSK). Vom damaligen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) stammt der Satz: »Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.«

Libyen

Das nordafrikanische Land stand lange Zeit weit oben auf der Liste der vom Westen so genannten »Schurkenstaaten«. Es galt als Bastion zur Förderung des internationalen Terrorismus, »Revolutionsführer« Muammar al-Gaddafi war ein fanatischer Antisemit und Todfeind Israels. Im Frühjahr 2011, nach Ausbruch eines Aufstands gegen das Gaddafi-Regime im Rahmen des »arabischen Frühlings«, begann die Nato ihren Militäreinsatz.

Offiziell diente er der Einrichtung einer Flugverbotszone, dem Schutz der Zivilbevölkerung, der Unterstützung der Aufständischen und der Durchsetzung eines Waffenembargos durch Marineschiffe. Direkt beteiligt waren 16 Länder. Deutschland gehörte nicht dazu. Deutschlands damaliger Außenminister Guido Westerwelle (FDP) erklärte im Bundestag: »Wir wollen nicht auf eine schiefe Ebene geraten, an deren Ende dann deutsche Soldaten Teil eines Krieges in Libyen sind.« Einige Hardliner in der CDU/CSU fanden das feige; Linke kritisierten, die Nato habe sich durch die Bombardierung des von Gaddafi kontrollierten Landesteils faktisch »zur Luftwaffe der Aufständischen gemacht«.

Linker Bellizismus

Wer sich in Deutschland mit der Geschichte westlicher Interventionskriege seit 1990 beschäftigt, kommt nicht umhin, die Positionen der hiesigen Linken ebenfalls kritisch zu betrachten. Nicht zufällig ist 1991 auch das Jahr einer bis heute andauernden Spaltung. Damals wechselten etliche Linke vom Antimilitarismus ins gegnerische Lager. Linker (oder besser: mit linken Argumenten begründeter) Bellizismus wurde auch im medialen Mainstream mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen.

Zu den prominentesten unter den neu bekehrten (ehemals) linken Kriegsbefürworter*innen gehörten Wolf Biermann, Hans Magnus Enzensberger, Hermann Gremliza und Wolfgang Pohrt. Vergleichsweise originell argumentierte Gremliza: Zwar gehe es den USA um Öl und eine von ihnen dominierte neue Weltordnung; für den aus diesen Motiven geführten Krieg war er aber doch, »weil hier einmal aus falschen Gründen und mit falschen Begründungen das Richtige getan zu werden scheint«. Von Enzensberger stammt die oft zitierte Formulierung, der irakische Diktator Saddam Hussein sei »Hitlers Wiedergänger« und bestrebt, den von Deutschen begangenen Völkermord an den Juden*Jüdinnen zu vollenden.

Diese und ähnlich lautende Argumente für Interventionskriege wurden seit 1991 häufig wiederholt und variiert, so 2001 beim Nato-Krieg gegen Afghanistan und 2003 beim zweiten Irakkrieg. Aktuell dienen sie dazu, den israelischen Angriffskrieg gegen Iran als Akt der Notwehr zu legitimieren.

In den geschilderten Fällen hat sich kein mit militärischer Gewalt von außen erzwungener Regime Change als nachhaltig erwiesen – in dem Sinne, dass dadurch dauerhaft demokratische Verhältnisse etabliert worden wären. Auch die gezielte Tötung von Diktatoren (Saddam Hussein, Gaddafi) oder »Terrorpaten« (Osama bin Laden) änderte daran nichts.

Jens Renner

war bis 2020 ak-Redakteur.

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