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Macron das Leben schwer machen

In Frankreich will ein linkes Bündnis ab Juni den Ministerpräsidenten stellen, um Rechtsruck und Sozialabbau zu stoppen

Von Lea Fauth

Bild aus einem Parlament. Die meisten Reihen sind leer. Vorne im Bild Macron mit dem Rücken zur Kamera. Vor ihm knien Fotographen und machen Bilder von ihm.
Selbstdarstellung und neoliberale Reformen: der französische Präsident in seinem Element. Foto: European Parliament / Flickr, CC BY 2.0

Es war nur ein kurzes Aufatmen: Die rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen hat in Frankreich die Stichwahl verloren. Präsident bleibt Emmanuel Macron. Damit wurde zwar das Schlimmste für die kommenden fünf Jahre verhindert, aber schlecht sieht es allemal aus. Soziale Errungenschaften wurden und werden unter Macron zunichtegemacht. Und: Eine Rechtsextreme war so dicht an der Macht, dass man zittern musste. Wie konnte es so weit kommen?

Oft wird darauf hingewiesen, wie Le Pen daran gearbeitet hat, ein moderates Image zu verbreiten. Bei genauem Hinsehen zeigt sich: Viel brauchte sie nicht tun. In kaum einer Talkshow vor den Wahlen – auch nicht im berühmten Duell kurz vor der Stichwahl – wurde die Kandidatin mit ihrem Rechtsextremismus konfrontiert. Höchstens ihr Kontrahent selbst, also Macron, hatte sie während des Duells mit ihrer finanziellen Abhängigkeit und ideellen Nähe zu Putin konfrontiert. Eine solche Strenge sucht man bei den Moderator*innen vergeblich – die stellen durchweg dieselben höflichen Fragen an alle Kandidat*innen, etwa: Was halten Sie von der EU? Wie halten Sie es mit den Energiepreisen und mit der Rente?

Dabei hätte es mit der rechtsextremen Kandidatin durchaus anderes zu besprechen gegeben. Etwa, dass sie in ihrem Programm Sozialhilfen nur für französische Staatsbürger*innen vorsah, und eine »nationale Priorität« bei der Vergabe von sozialem Wohnraum sowie von Arbeitsplätzen umsetzen wollte. Dass Familiennachzüge von Geflüchteten gestoppt, dass ausländische Straftäter*innen systematisch abgeschoben werden sollten. Oder auch, dass Polizeikräfte aus Notwehr schießen dürfen, ohne den Sachverhalt im Konkreten nachweisen zu müssen. Wenn diese Kernpunkte des »Rassemblement National« in den meist gesehenen Fernsehinterviews (über 15 Millionen Zuschauer*innen) nicht zur Sprache kommen, kann man sich die Imagekampagne für Salonfähigkeit gleich sparen. Es ist ein katastrophales Versagen der Medien.

Rassismus zur Prime Time

Um die steht es ohnehin schlecht. Fast alle Tageszeitungen, Fernseh- und Radiosender sind mittlerweile in den Händen einiger weniger Milliardäre. Neben zahlreichen anderen politisch fragwürdigen Medienmogulen ist da vor allem ein Name hervorzuheben: Vincent Bolloré, Milliardär und Unternehmer, erzkonservativer Katholik mit rechtsextremen Neigungen. Bolloré, der Murdoch Frankreichs, hat im vergangenen Jahrzehnt nach und nach Fernseh- und Radiosender unter seine Kontrolle gebracht, darunter die TV-Sender Canal+ und CNews, sowie Europe1 im Hörfunk. Politische Satiresendungen wie »Les guignols de l‘info«, meistens mit linker Ausrichtung, wurden in der Folge ersatzlos gestrichen. Bolloré klagt gegen alle, die kritisch über ihn berichten, und ist bekannt dafür, intern in seinem Medienimperium hart gegen konträre Meinungen vorzugehen.

Es ist kein Geheimnis, dass Bolloré den rechtsextremen Kandidaten Éric Zemmour von der Partei Reconquête (»Rückeroberung«) unterstützt und groß gemacht hat. 2019 bekommt der mehrfach für Rassismus verurteilte Zemmour bei der TV-Abendsendung »Face à l‘info« auf CNews zwischen 19 und 20 Uhr als Journalist und Kolumnist einen festen Sendeplatz – eine Stunde täglich. Damals ist noch nicht klar, dass er für die Präsidentschaftswahlen kandidieren wird. Fest steht aber: Seine Trumpsche Art hat Erfolg. Die Einschaltquoten der Sendung verdreifachen sich.

Éric Zemmour ist eine weitere Komponente der Imagekampagne, die Le Pen sich sparen konnte. Wo sie sich um Zurückhaltung bemühen mochte, hat er schonungslos die krudesten Ideen verbreitet – wohlgemerkt täglich – von Rassenlehre bis hin zu Holocaustverharmlosung. Es war nicht schwer, neben dieser Inkarnation des zügellosen Faschismus geradezu harmlos zu wirken.

Eine ganze Reihe Intellektueller und Schriftsteller haben das Ihre beigetragen, indem sie die neurechte Theorie des »großen Austausches« normalisiert und weiterverbreitet haben und dafür Sendeplatz bekamen.

Und Macron? Auch er ist in seinem kurzsichtigen Streben nach Macht Teil eben dieser generalisierten Verantwortungslosigkeit. Er hat autoritäre Gesetze wie das für globale Sicherheit geschaffen, das Drohnenüberwachung erlaubt und die Pressefreiheit einschränkt. Kritischer Berichterstattung über seine Person hat Macron schon mal Fake News vorgeworfen. Weiterhin plant er, die Rundfunkgebühren für Öffentlich-rechtliche abzuschaffen.

Sein Vorgehen gegen Oppositionelle ist schlicht autoritär – das hat die unverhältnismäßige Polizeigewalt gegen die Gelbwesten 2018 mit zahlreichen Schwerverletzten gezeigt. Sollte Macron später einmal eine rechtsextreme Nachfolgerin haben – und das ist leider kein auszuschließendes Szenario – hätte er ihr den Weg zum Durchregieren bereitet.

Sollte Macron später einmal eine rechtsextreme Nachfolgerin haben – und das ist leider kein auszuschließendes Szenario – hätte er ihr den Weg zum Durchregieren bereitet.

Nicht kleinzureden sind außerdem die rechten Tendenzen auch innerhalb der Partei La République En Marche (LREM) von Macron selbst. »Ich finde Sie ein bisschen weich, Frau Le Pen«, sagte etwa Macrons Parteigenosse und Innenminister Gérald Darmanin. »Sie sind nicht hart genug! Sie sagen, der Islam sei kein Problem!«, so lautete der Vorwurf des Innenministers 2021 in einer recht harmonischen Fernsehdebatte mit Le Pen. Dieser Innenminister, gegen den übrigens seit Jahren ungeklärte Vergewaltigungsvorwürfe vorliegen, stört sich auch an Halalprodukten im Supermarkt.

Auch indirekt ist die LREM-Politik Nährboden für Rechtspopulismus. Macron privatisiert, kürzt Sozialhilfen, macht das Bildungswesen unzugänglich und bevorteilt die Reichen. Damit ist es Le Pen ein Leichtes, das Narrativ über ein zu bekämpfendes Establishment zu fahren. Es tut nichts zur Sache, dass sie selbst in Wirklichkeit zu diesem Establishment gehört. Energiepreise etwa will sie so deckeln wie auch Macron: durch eine Steuerentlastung der Unternehmen. Auch die »Rente mit 60« kann man nach ihrem Programm nur antreten, wenn man schon 40 Jahre gearbeitet hat – eine Chimäre.

Historisches Linksbündnis unter Mélenchon

Nun mag man hoffen, dass die gesellschaftliche Linke in dieser desolaten Lage noch irgendeinen Hebel in die Hände bekommt. Auf parlamentarischer Ebene versucht der linksradikale Jean-Luc Mélenchon das mit einer Kampagne voller Chuzpe. »Premierminister« – mit diesem Wort ist sein Wahlplakat für die Parlamentswahlen im Juni überschrieben. Der Premierminister kann Gesetze blockieren, ernennt die Minister und kann Dekrete erlassen.

Normalerweise obläge es Macron als Präsident, den Premier zu ernennen. Hat aber eine andere Partei mit 289 Sitzen (von 577) die absolute Mehrheit Parlament, kann sie diese Entscheidung kippen und den Präsidenten mehr oder weniger zwingen, eine Person zu ernennen, der sie zustimmt. Auf diese Unwahrscheinlichkeit setzt nun Mélenchon, der im ersten Wahlgang für die Präsidentschaft ja nur knapp Dritter geworden war, seine gesamte Wahlkampagne. Mélenchons Linkspopulismus wird beschimpft oder gefeiert. Unbestritten bleibt, dass er in der Lage ist, nach einem so desolaten Wahlausgang noch Aufbruchsstimmung bei Linken zu erzeugen.

Die kam vor allem angesichts eines historischen Bündnisses auf. Anfang Mai schloss sich die eher gutbürgerliche grüne Partei Mélenchons Aufforderung eines linken Bündnisses an, weil sie den Kampf um Klimaschutz unter Macron verloren sieht. Die PS, eine Art untergegangene SPD, und die Kommunistische Partei zogen schnell nach. Die Antikapitalistische Partei, angeführt vom ehemaligen Fabrikarbeiter Philippe Poutou, hat sich nach einigem Ringen gegen eine Beteiligung in der NUPES entschieden. Die politische Ausrichtung des Zusammenschlusses sei durch die Teilnahme der sozialistischen Partei zu sehr ins Zentrum gerückt, so lautete die Begründung.

Unter dem Namen NUPES (Neue sozial-ökologische Volksunion) jedenfalls ist tatsächlich so etwas wie Euphorie nach der Wahlmüdigkeit entstanden. Das könnte auch die große Zahl an linken Nichtwähler*innen noch mobilisieren. Angekündigt hat NUPES im Fall des Sieges sofortige Dekrete für die Deckelung von Energiepreisen auf Kosten der Unternehmen sowie für einen monatlichen Mindestlohn von 1.400 Euro netto.

Dabei ist Mélenchon nicht unumstritten. Dass er an einem NATO-Austritt Frankreichs festhält, wird vor allem in den Nachbarländern kritisch gesehen. Dann sind da noch die Ermittlungen gegen eine Unterorganisation seiner Partei wegen Betrug und Fälschung. Für den Wahlkampf 2017 soll sich diese mittels Fälschungen an Steuergeldern bereichert haben. Das wäre umso bitterer, da Mélenchons Partei La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich, LFI) wie kaum eine andere für höhere Besteuerung von Reichen und Vielverdienenden eintritt, sowie gleichzeitig für eine Entlastung von Geringverdienenden und Arbeitslosen.

Trotzdem tut die oftmals allzu hämische Berichterstattung gerade auch aus Deutschland dem linken Politiker manches Mal Unrecht. Gilt Mélenchon hierzulande als eine Art Wagenknecht mit nationalistischen Tendenzen, schlägt er sich zu Hause mit dem Vorwurf des »Islamlinkssein«, des »Islamogauchisme« herum. Unter anderem, weil er bei den Präsidentschaftswahlen in den Pariser Banlieues viele Stimmen geholt hatte, die überwiegend von afrikanischen und arabischen Einwander*innen geprägt sind. Der Vorwurf des Rassismus ist schwer haltbar. Mélenchon befürwortet eine »Créolisation« der Bevölkerung, also eine Durchmischung aller Kulturen in Frankreich, und setzt damit auch dem einseitigen Konzept der »Integration« etwas entgegen. Er schafft es, sowohl urbane und gebildete Schichten für sich zu gewinnen, als auch ländliche oder vorstädtische und einkommensschwache. Was bei Wagenknecht als Dichotomie gilt, wird hier längst zusammengedacht – und auch erreicht.

Dass die neu vereinte Linke als NUPES bei den Parlamentswahlen auf über 289 Sitze kommt, bleibt unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Doch auch, wenn sie weit hinter diesem angestrebten Ziel zurückbleiben, könnte es eine erhebliche Stärkung progressiver Kräfte im Parlament bedeuten. Und es ist endlich das, was es angesichts rechter und neoliberaler Gefahren unbedingt braucht, parlamentarisch und außerparlamentarisch: eine Offensive von links.

Lea Fauth

ist Redakteurin bei der taz und freie Journalistin für Print und Hörfunk. Sie hat Philosophie und Literatur in Frankreich, Brasilien und Portugal studiert.

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