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Was kommt nach der Linkspartei?

Entweder langsames Siechtum oder Spaltung – drei Szenarien, die denkbar wären, wenn die zerstrittenen Lager der Linken endlich getrennte Wege gingen

Von Nelli Tügel

Das Meer mit Blick auf den Horizont; wo sich Himmel und Meer begegnen, ist ein Schiff zu sehen
Es gibt auch noch etwas jenseits des Status quo, darüber sollten wir langsam mal nachdenken. Foto: Danilo Tic / Flickr, CC BY-SA 2.0

Die Linkspartei wird sich spalten. De facto ist sie schon längst entzweit, in wesentlichen Fragen war sie übrigens schon seit ihrer Gründung gespalten – sie war stets mehrere Parteien in einer. Eine Weile hat dies gut funktioniert, seit vielen Jahren aber schon nehmen die Kannibalisierungserscheinungen zu. Und nun ist der Zeitpunkt gekommen, da sich die Spaltung wohl auch de jure vollziehen wird. Vielleicht nicht sofort, vielleicht erst in ein paar Monaten. Aber dass es sie noch länger zusammenhält? Kaum vorstellbar.

Und auch nicht wünschenswert. Die Alternative zu einer Spaltung wäre das langsame Zerbröseln der Partei, bis kaum noch etwas übrig ist. Begonnen hat das bereits: Die Austritte bekannter Linken-Politiker*innen wie Fabio De Masi, Ulrich Schneider und mehrerer Aktiver der Linksjugend Solid zeugen davon ebenso wie ein Offener Brief der drei Linken-Politikerinnen Jule Nagel, Katharina König-Preuss und Henriette Quade, die den Ausschluss von Sahra Wagenknecht aus der Bundestagsfraktion und den Rücktritt der Fraktionsvorsitzenden fordern oder auch die zuletzt wieder öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten, u.a. zwischen Dietmar Bartsch (Co-Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Bundestag), Martin Schirdewan (frischgewählter Co-Parteivorsitzender) und Wagenknecht (ohne Funktion, aber bekannteste Linken-Politikerin des Landes).

Die gesellschaftliche Linke sollte nicht allzu viel Zeit darauf verschwenden, die Schuldigen für das Scheitern der Linken zu suchen, das Unvermeidliche zu bedauern oder zu bejubeln (für beides gibt es gute Gründe).

Das Wagenknecht-Lager ist offenkundig dazu übergegangen, den seit langem schwelenden Streit in der Partei so zu eskalieren, dass es mit einem großen Knall die Partei verlassen kann, ohne als Spalter dazustehen – dabei möglichst viel verbrannte Erde zu hinterlassen und möglichst viele für ein neues Projekt mitzunehmen. Sicherlich setzt es mit Blick auf den »heißen Herbst« zudem auf ein Momentum, ähnlich wie es dies 2004 mit der Entstehung der WASG gab, und hofft, nicht ganz zu Unrecht, auf die wütenden Protestierenden als Basis für sein neues Projekt. Dass die anderen Strömungen der Linkspartei so lange zu zögerlich, zu hilflos, oder wie Teile des Reformerflügels um Bartsch aus machtpolitischen Gründen einfach gnadenlos opportunistisch gegenüber Wagenknecht waren und sind, ist ärgerlich, aber zurückdrehen lässt sich die Uhr nun nicht mehr.

Die gesellschaftliche Linke sollte nicht allzu viel Zeit darauf verschwenden, die Schuldigen für das Scheitern der Linken zu suchen, das Unvermeidliche zu bedauern oder zu bejubeln (für beides gibt es gute Gründe). Vielmehr müssen wir uns fragen: Was käme nach der Linken – und wie würde dies das politische Kräfteverhältnis in Deutschland verändern. Es gibt im Falle einer Spaltung drei mögliche Szenarien: Entweder entstehen zwei Parteien beziehungsweise Wahlprojekte – der Rest der Linkspartei und eine Liste Wagenknecht –, die aber beide keine ausreichende Basis für ihr jeweiliges Programm zu mobilisieren in der Lage sind, und die nebeneinander in der Versenkung verschwinden. Dann gäbe es auf Wahl- und Parteiebene links von SPD und Grünen zunächst nichts mehr – keine guten Aussichten.

Die zweite Möglichkeit ist, dass die Rest-Linkspartei auf ein Zwei-bis-drei-Wahlpunkte-Projekt zusammenschrumpft, und eine national-soziale Liste Wagenknecht dagegen abhebt – ähnlich wie es in Frankreich geschehen ist, nachdem Jean-Luc Mélenchon die auf ihn zugeschnittene Wahlbewegung La France insoumise gegründet hatte. Verweise auf das gescheiterte Aufstehen-Projekt führen hier nicht wirklich weiter: Aufstehen war von vielen als Angebot einer Mitmach-Bewegung mit lokalen Ortsgruppen usw. verstanden worden, Menschen hatten sich dort Einbindung erwartet – etwas, das Wagenknecht nicht beherrscht, denn noch nie hat sie mit anderen eine Kampagne aufgebaut, einen Arbeitskampf oder ähnliches begleitet. Eine allein für sie maßgeschneiderte Top-Down-Wahlliste, für die die Leute nur ihre Stimme abgeben müssen, ist etwas ganz anderes. Das könnte – leider – funktionieren. Auch das sind keine guten Aussichten, es würde die Lage der gesellschaftlichen Linken erschweren und den Diskurs insgesamt nach rechts verschieben.

Die dritte Option ist das Scheitern einer Liste Wagenknecht und die Erholung der Rest-Linkspartei, wenn das Ende der zerstörerischen Streitigkeiten mit ihrem Flügel endlich die Lähmung der Linken aufbrechen. Dies wäre sicherlich das beste aller denkbaren Szenarien (dass zwei irgendwie linke, größere Parteien nebeneinander existieren können, ist indes derzeit kaum wahrscheinlich), doch sollte man nicht naiv sein: Der Streit mit und um Wagenknecht hat allzu oft verdeckt, dass auch die restlichen Strömungen der Partei (und mit ihnen jene Teile der gesellschaftlichen Linken, deren Spiegelung sie sind) sich in zentralen strategischen Fragen wie etwa der Regierungsbeteiligung keineswegs einig sind, oft sogar im Widerspruch zueinander stehen. Dass das Übertünchen von Differenzen für eine linke Partei kein nachhaltiger Umgang mit strategischen Grundfragen ist, sollte eine der Lehren aus dem ganzen Debakel des Scheiterns der Linken sein.

Nelli Tügel

ist Redakteurin bei ak.

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