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|Thema in ak 684: Krise & Organisation

Auf wackeligen Beinen in den Herbst

Wie geht es weiter nach dem Parteitag? Drei Stimmen aus der Linkspartei

Protokolle: Jan Ole Arps und Carina Book

Ein Mann steht auf einem hocker und zeichnet etwas auf eine Papierwand, man kann die Worte "Parteitag" und "Ausblick Tag 3" erkennen. Im Hintergrund ein großer Aufsteller des DIE LINKE Schriftzugs
Zu jedem Neustart gehört ein gutes Protokoll. Foto: Martin Heinlein / DIE LINKE / Flickr, CC BY 2.0

Die Linkspartei drohe an inneren Konflikten zu zerreißen, war in ak 683 zu lesen, die Widersprüche zwischen den Strömungen stellten eine kaum aufzulösende Blockade dar. Konnte der Parteitag in Erfurt Ende Juni diese Hürden überwinden? Das haben wir drei Politiker*innen der Linkspartei bzw. der Linksjugend gefragt: Daphne Weber von der Bewegungslinken, die in Erfurt wieder in den Parteivorstand gewählt wurde; die sächsische Landtagsabgeordnete Jule Nagel aus Leipzig; und Sarah Dubiel, Sprecher*in der Linksjugend. Sarah Dubiel ist im Anschluss an den Parteitag infolge des Umgangs mit dem #LinkeMeToo-Skandal aus der Linkspartei ausgetreten.

Kein Neustart, sondern Weiter so in hübscherer Verpackung

Der nötige Neustart für die Partei ist beim Erfurter Parteitag nicht gelungen, stattdessen haben wir jetzt ein Weiter so, in etwas hübscherer Verpackung. Es wird zwar versucht, nach außen hin geschlossener aufzutreten, doch Tobias Bank, der als neuer Geschäftsführer eine sehr gute Rolle spielt bisher, wird große Mühe haben, Geschlossenheit nach außen zu transportieren. Schließlich sind die Konflikte immer noch ungelöst, und es gibt weiterhin immer wieder Entgleisungen einzelner auf Twitter, wie zum Beispiel von Klaus Ernst oder Totalausfälle in Talkshows von Sahra Wagenknecht.

Ich glaube, dass die Linke wirklich begreifen muss, dass sie in einer Existenzkrise ist. Und in einer Existenzkrise muss man auch mal radikalere Schritte gehen, um aus der Krise rauszukommen. Es führt kein Weg daran vorbei, die Konfrontation zu suchen, wenn Mandatsträger*innen sich nicht an die Beschlusslage der Partei halten oder sich weigern, gegen Täter in der eigenen Organisation vorzugehen. Die Partei muss die Ansprüche, die sie an die Gesellschaft stellt, auch selbst zu erfüllen versuchen: Feminismus und Antirassismus predigen, aber Sexismus, sexualisierte Gewalt und Rassismus in den eigenen Reihen dulden, geht gar nicht. Die Partei muss glaubwürdig sein. Das letzte Jahr seit der Bundestagswahl wurde eigentlich komplett vergeudet. Die Linke hat nichts gerissen, während die SPD nicht unerfolgreich so getan hat, als hätte sie noch ein soziales Gewissen und sich die AfD die Hände reibt beim Blick auf das, was im Herbst auf uns zukommt. Dabei wäre es genau jetzt besonders wichtig, dass die Linke mit einer Stimme spricht und sich für die Menschen einsetzt, die jetzt unter hohen Heizkosten, den explodierenden Mieten oder der Inflation zu leiden haben.

Dafür muss Die Linke dringend bündnisfähiger werden. Ein Beispiel: Während die gesamte gesellschaftliche Linke vom Institut für solidarische Moderne bis zu einem breiten Jugendbündnis gerade darüber diskutiert, wie man das Neun-Euro-Ticket erhalten kann, kommt die Partei mit der Forderung nach einem 31-Euro-Ticket um die Ecke. Solche Quatsch-Forderungen verursachen Kopfschütteln. Dabei gibt es wirklich gute Forderungen wie nach der Übergewinnbesteuerung oder dem Verbot von Gas- und Stromsperren. Ich hoffe, dass es der Partei gelingt, gemeinsam in Bündnissen dafür zu kämpfen.

Sarah Dubiel, 28, ist Bundessprecher*in der Linksjugend. Seit kurz nach dem Parteitag in Erfurt ist Sarah kein Mitglied der Partei Die Linke mehr.

Positionen endlich klargezogen

Vor dem Parteitag waren die Befürchtungen groß, dass es ganz schlimm werden würde. Das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet. Stattdessen haben wir Beschlüsse gefasst, etwa zum Thema Transformation der Wirtschaft und Klimakrise, um den Kampf für soziale Gerechtigkeit und den gegen die Klimakrise zu verbinden. Auch hinter dem Antrag zur Friedenspolitik, in den ich involviert war und der eine klare Position zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine bezieht und gleichzeitig die Verbrechen der Nato und globale Machtverhältnisse nicht ausblendet, hat sich eine deutliche Mehrheit versammelt. Damit haben wir jetzt in zwei wichtigen Feldern Positionen klargezogen, das ist ein Fortschritt. Alle Beschlüsse von Erfurt sind durch den Parteitag als höchstem Gremium abgesegnet. Anderslautenden Äußerungen Einzelner können wir nun diese Beschlüsse entgegenhalten.

Ich glaube auch, dass wir einen guten neuen Vorstand gewählt haben. Es gibt mehr aktive Gewerkschafter*innen im Vorstand, die die Perspektive der Beschäftigten stark machen, vor allem aus dem Bereich der Pflege, wo wir beeindruckende Streikbewegungen gesehen haben. Mit Janine Wissler haben wir eine gute, rhetorisch gewandte Vorsitzende mit gewerkschaftsorientiertem Profil, mit Martin Schirdewan zum ersten Mal einen Europapolitiker, was vor der Wahl 2024 ein gutes Zeichen ist. Zur besseren Abstimmung von Partei und Fraktion soll es regelmäßige Treffen geben. Das Positionspapier »5 Punkte gegen die Preissteigerungen«, das vor ein paar Wochen veröffentlicht wurde, wird von den Parteivorsitzenden und den Fraktionsvorsitzenden gemeinsam herausgegeben – aus meiner Sicht ebenfalls ein Fortschritt. Ich habe auch den Eindruck, dass eine Mehrheit in der Fraktion ein Interesse hat, mit dem Parteivorstand gut zusammenzuarbeiten, vor allem in der existenziellen Krise, in der die Linke ist, bei gleichzeitig riesigem gesellschaftlichem Bedarf an sozialistischen Positionen.

Für den Herbst sind alle Gliederungen aufgerufen, Proteste gegen Inflation und Preissteigerungen zu organisieren. Gleichzeitig gibt die Ampel Milliarden für Rüstungsgüter aus, was wir weiter skandalisieren müssen. Was wir noch ausbauen wollen, ist die »Die Linke hilft«-Struktur: Beratungsangebote, die kommunale und Stadtteilarbeit und eben konkrete Solidarität, ähnlich wie das die KPÖ Graz vorbildlich macht.

Für die Zukunft halte ich es für essenziell wichtig, dass die Partei mehr mit einer Stimme spricht. In zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der letzten Jahre haben wir teilweise gegensätzliche Positionen vertreten. Dass hier Vertrauen zurückgewonnen wird und Menschen Die Linke als eine politische Alternative und als Opposition im Bundestag wahrnehmen, ist mir wichtig. Neben der Vielstimmigkeit haben wir auch eine strukturelle Krise: Im Westen ist die gesellschaftliche Verankerung bis auf wenige Ausnahmen gering. Im Osten sterben viele Leute, die früher die aktive Arbeit gemacht haben, die wissen, wie man einen Wahlkampf gewinnt, wie man vor Ort präsent ist in den Jahren dazwischen. Dieses Wissen bricht weg. Das ist ein großes strukturelles Problem, das ich für viel gravierender halte, als die Streitlust, die ja irgendwie immer zu linken Parteien gehört. Die strukturellen Krisen zu überwinden und eine organisierende, schlagkräftige Linke weiter aufzubauen, wird sicher noch ein paar Jahre dauern. Jetzt ist ein guter Moment, aktiv zu werden.

Daphne Weber, 27, ist Sprecherin des Landesrats Linke Frauen Niedersachsen. Sie war Teil des alten Parteivorstands und ist in Erfurt auch in den von 44 auf 26 Mitglieder verkleinerten neuen Vorstand gewählt worden. Sie gehört der Bundesarbeitsgemeinschaft Bewegungslinke an.

Knackpunkt Ukraine-Krieg nicht gelöst

Der Erfurter Parteitag hat aus meiner Sicht keine Erneuerung, sondern vielmehr eine Konsolidierung herbeigeführt. Wir haben weiterhin große Fragen zu klären. Das Thema Sexismus in den eigenen Reihen ist noch nicht vom Tisch. Außerdem müssten wir unsere außenpolitische Position so schärfen, dass sie über die Floskeln hinausgeht, die beschlossen wurden. Es haben Genoss*innen aus Russland und der Ukraine auf dem Parteitag gesprochen. Das fand ich gut, und es hat ja auch eine kleine Kurskorrektur in Bezug auf die Position zu Russland gegeben. Ich hatte mir aber vorgestellt, dass man auf dem Bundesparteitag wirklich eingehend diskutiert, ob unsere Position gegen Waffenlieferungen zum Beispiel in die Ukraine noch zeitgemäß ist. Wenn wir das Recht auf Selbstverteidigung politisch bejahen, müssen wir auch beantworten, wie dies geschehen soll. Anstatt Gewissheiten zu bestätigen, hätte man eher ein Format auflegen müssen, um eine Position zu entwickeln, die auch praxisfähig ist. Mit dem Beschluss vom Bundesparteitag komme ich da nicht weiter. Ich hätte mir gewünscht, dass man die Organisierung eines Diskussionsprozesses unter Einschluss von politischen Partner*innen aus den betroffenen Staaten anstrebt. Zudem hätte mehr Diskussion in der Partei zugelassen werden müssen. Beim Parteitag wurde durch den Parteivorstand und auch durch die Beschlüsse der Partei versucht, den Rahmen zu wahren, doch schon ab Sonntag haben Klaus Ernst, Sahra Wagenknecht und auch Sören Pellmann die Beschlüsse von rechts infrage gestellt und die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland gefordert. Das geht nicht. Da ist ein Angriff gestartet worden, der auch deshalb so schädlich ist, weil er so wortgewaltig daherkommt und in der Öffentlichkeit sehr stark rezipiert wird.

Die Gretchenfrage für die Partei wird nun sein, wie wir es mit den Sanktionen gegen Russland halten. Wir müssen als Linke zwar sehen, dass diese Sanktionen in ihrer Wirkung zeitlich nicht sofort funktionieren und in Bezug auf das Öl-Embargo vielleicht gar nicht funktionieren – trotzdem müssen wir politisch klar für die konsequente Umsetzung der Sanktionen und für ein Ende des Krieges einstehen. Diese Position muss mit einem Schutzschirm für bezahlbare Energie und gegen die Preisexplosion zusammengedacht werden. Ich glaube, das ist jetzt auch eine Chance, die Grünen zu treiben und zum Beispiel einen guten Maßnahmenplan aufzulegen, wie denn eine Umstellung der Energieversorgung in den nächsten zehn Jahren laufen kann. Als Partei können wir diese Krise auch als Chance ansehen, um von fossiler Energiegewinnung wegzukommen. Entscheidend wird sein, dass wir die Frage nach der Position zum russischen Krieg und die Sanktionen nicht gegen den Schutz der Menschen vor der Preisexplosion ausspielen.

In Leipzig haben wir bereits ein Bündnistreffen mit Wohlfahrtsverbänden, Mietervereinen und außerparlamentarischen Bewegungen anberaumt und wollen so versuchen, linke Antworten auf die Krise zu formulieren – aber im Bündnis und nicht allein als Partei. So etwas wünsche ich mir natürlich bundesweit. Darüber hinaus halte ich es für eine wichtige Option der Linken, auch kluge Bündniskonstellationen mit Verantwortungsübernahme in Regierungen anzustreben und dabei explizit Positionen aus linken Bewegungen mit im Gepäck zu haben. Das Los der Opposition, gute Vorschläge in den Parlamenten kaum durchbringen zu können, führt auch dazu, dass der Nutzwert einer Partei auf die Dauer dahinschwindet.

Jule Nagel, 43, ist seit 1999 Mitglied der PDS bzw. der Linken. Seit 2009 ist sie Stadträtin in Leipzig, seit 2014 Mitglied des Sächsischen Landtages. Sie hat mit anderen das Büroprojekt linXXnet in Leipzig-Connewitz gegründet, das Anlaufpunkt auch für außerparlamentarische Initiativen ist.

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