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|ak 700 | Ökologie

Die neue Klimastreik­bewegung

Mit der Kampagne #WirFahrenZusammen wollen Fridays for Future und ver.di gemeinsam für den Ausbau des ÖPNV und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen

Von Alix Arnold

junge Leute mit ver.di- und Fridays-for-Future-Fahnen stehen im Morgengrauen um eine Feuertonne
Klimaaktivist*innen und Beschäftigte kämpfen zusammen? Beim ÖPNV-Aktionstag am 1. Dezember 2023 ging das flächendeckend. Screenshot von einem Video von wir-fahren-zusammen.de

Am 3. März 2023 machte sich ein ungewöhnlicher Demonstrationszug vom Betriebshof Nord der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) auf den Weg in die Innenstadt, um an dem von Fridays for Future (FFF) ausgerufenen Globalen Klimastreik teilzunehmen. (ak 691) Klimaaktivist*innen hatten die KVB-Kolleg*innen an ihrem Streikposten abgeholt und waren mit Jubel empfangen worden.

Ermöglicht wurde die gemeinsame Demonstration, weil ver.di im Rahmen der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes genau an diesem Tag zu Warnstreiks im ÖPNV aufgerufen hatte. In 40 Städten gab es gemeinsame Aktionen. Das sah schon ein bisschen nach einem politischen Streik aus. Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) bezeichnete den Streik sofort als »gefährliche Grenzüberschreitung«. Auch beim »Megastreik« im Verkehrssektor am 27. März 2023, als ver.di und die Bahngewerkschaft EVG gemeinsam die Verkehrsinfrastruktur lahmlegten (ak 691), beteiligten sich zahlreiche Klimagruppen.

Amadeo Kaus hat als Klimaaktivist seit 2020 schon viel erlebt, aber an die neue Erfahrung vom 3. März, gemeinsam mit einem Busfahrer am Fronttransparent zu stehen, erinnert er sich besonders gern. Er erzählt, wie ihm die Kampagne #WirFahrenZusammen neue Hoffnung gegeben hat: »Vor einem Jahr war ich ausgebrannt, habe einen Teil einer Kampagne in den Sand gesetzt und lag nach Aktionen nur noch heulend im Bett. Ich wollte aufgeben und aussteigen. Doch dann kam Elia aus Göttingen mit dem Vorschlag einer Kampagne zum ÖPNV und meinte: ›Stellt euch einen gemeinsamen Streik von Klimaaktivist*innen und ÖPNV-Beschäftigten vor.‹ Dieses Bild ging mir nicht mehr aus dem Kopf und hat mich in den letzten Wochen und Monaten angetrieben.«

Wie der labour turn der Klimabewegung begann

Im September 2019 hatte FFF allein in der BRD 1,4 Millionen zum Globalen Klimastreik auf die Straße gebracht. Nach diesem Höhepunkt machte sich jedoch bei vielen Aktivist*innen Frust über die geringe politische Wirkung breit. Trotz aller Massendemos und wissenschaftlich begründeter Appelle war eine Änderung der Klimapolitik nicht in Sicht. Sie begannen, sich Gedanken über neue Allianzen und Strategien zu machen.

Teile von FFF versuchen nun den »labour turn«. (ak 694) Sie wollen die Klimafrage in die Betriebe tragen, die Streikmacht der Arbeiter*innen als Kampfform hinzugewinnen und bei den Gewerkschaften einen »climate turn« anstoßen. Wenn sich die Massenbewegung auf der Straße mit denjenigen zusammentut, die das Land am Laufen halten und es von daher auch wirklich lahmlegen können, könnte der nötige Druck für tatsächliche Veränderungen aufgebaut werden, für eine soziale Verkehrswende und effektiven Klimaschutz.

Heute haben wir in 40 Städten eine Zusammenarbeit von Klimabewegung und Beschäftigten im ÖPNV.

Amadeo Kaus

Die Tarifrunde von ver.di 2020 für den Nahverkehr (TV-N) war die erste Gelegenheit für Klimaaktivist*innen, mit Beschäftigten aus dem ÖPNV zusammenzukommen. Amadeo berichtet über die Anfänge: »Auch in Köln hat das schon 2020 angefangen, da war ich allerdings noch nicht dabei. Schon damals sind Klimaaktivist*innen als Fahrraddemo zum Streikposten am Betriebshof Nord gefahren und haben dort zum ersten Mal Beschäftigte der KVB getroffen, haben Brötchen gegessen, Kaffee getrunken und miteinander gequatscht. Die Stimmung war super, und alle haben sich sehr über den Besuch gefreut. Das war das erste zarte Pflänzchen der Zusammenarbeit von Klimabewegung und ver.di. Im Oktober 2022 wurde das Bündnis neu belebt, mit dem langen Ausblick auf die Tarifrunde TV-N 2024 und dem Zwischenschritt der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes. Jetzt, im Dezember 2023, haben wir in 40 Städten eine Zusammenarbeit von Klimabewegung und Beschäftigten im ÖPNV.«

ÖPNV-Streiks ab Januar?

Ab Januar könnte es im Rahmen der Tarifrunde TV-N zu Streiks kommen. Fast 90.000 Beschäftigte arbeiten bundesweit im ÖPNV. Die Kampagne hat sich zum Ziel gesetzt, bis dahin 90.000 Unterstützer*innen zu gewinnen, die sich aktiv an den Streiks beteiligen. Dafür werden zurzeit Unterschriften für eine Petition gesammelt, die eine Verdoppelung des ÖPNV bis 2030 (mit einem Investitionsprogramm von mindestens 16 Milliarden Euro pro Jahr) sowie gute Arbeitsbedingungen für die dort Beschäftigten fordert. Ohne bessere Arbeitsbedingungen ist jede Verkehrswende illusorisch. Schon jetzt fehlt es überall an Personal. Ältere KVB-Fahrer*innen berichten, dass viele von ihnen kurz vor der Rente stehen, es aber keinen Nachwuchs gebe, weil die Jungen nach der Ausbildung lieber bei Privatunternehmen oder in anderen Branchen anheuern würden, als sich dem Stress im ÖPNV auszusetzen.

Amadeo Klaus spricht auf einer Demonstration in ein Mikrofon.
Foto: David Adelmann

Amadeo Kaus

ist deutsch-philippinischer Klimaaktivist aus Köln. Er hat Klimastreiks und die Braunkohleproteste in Lützerath mit organisiert. Bei #WirFahrenZusammen ist er seit November 2022 aktiv. Das Gespräch fand am 14. Dezember 2023 in der Kölner Uni statt.

Petition und Unterschriftensammeln klingt erstmal nicht besonders kämpferisch, aber Amadeo erklärt, dass diese Petition in erster Linie ein Werkzeug sein soll, um Gespräche zu führen und Menschen zu überzeugen, dass sie selbst aktiv werden müssen. Wer neben der Unterschrift seine Kontaktdaten hinterlässt, wird zu den nächsten Treffen und Aktionen eingeladen. Auf diese Weise soll in verschiedenen Strukturen in der Stadt, an der Uni, an den Schulen oder in Vereinen eine Bewegung aufgebaut werden, die im Frühjahr mit den Kolleg*innen des ÖPNV streikt.

Nach Sammelaktionen werden Berichte über die Zahl der neuen Unterstützer*innen an Bus- und Bahnfahrer*innen übergeben, die damit ebenfalls in die Kampagne einbezogen werden. Auch in den Betrieben des ÖPNV wird die Petition zur Vorbereitung auf die Streiks benutzt. Anders als frühere Appelle von FFF an die Politik ist diese Petition durch ihre Verbindung mit der Streikmacht mehr Drohung als Bitte.

Ich glaube, das ist eine spannende Perspektive, wenn die Klasse 9c einer Gesamtschule morgens nicht in der Schule ist, sondern am Streikposten steht.

Amadeo Kaus

Es gibt Verbindungen zu Aktivist*innen aus anderen Branchen wie der Krankenhausbewegung, die die Kampagne unterstützen. Von Solidaritätsstreiks zu träumen, dürfte noch verfrüht sein, aber dass FFF die Erfahrungen aus Uni- und Schulstreiks einbringt, hält Amadeo für realistisch: »Wir wollen in unseren Strukturen die Menschen dazu bewegen, dass wir am Tag X leere Klassenräume und leere Hörsäle haben. Ich glaube, das ist eine spannende Perspektive, wenn die Klasse 9c einer Gesamtschule morgens nicht in der Schule ist, sondern am Streikposten steht.«

Auf dem Weg zum politischen Streik

Die Zusammenarbeit von sozialen Bewegungen mit Arbeiter*innen und Gewerkschaften ist in Deutschland wenig erprobt und nicht einfach. In Köln besteht ein guter Kontakt zum zuständigen Gewerkschaftssekretär von ver.di, und es gibt auch direkte Kontakte zu Vertrauensleuten im Betrieb. Bei der Befragung zu den Forderungen für die nächste Tarifrunde, die ver.di im Sommer 2023 in den Betrieben durchgeführt hat, konnten in Köln Aktivist*innen dabei sein und mit Beschäftigten der KVB diskutieren. Aber manchen Aktivist*innen geht das alles viel zu langsam, sie hätten gerne mehr direkte Kontakte und Zusammenarbeit.

Amadeo verweist auf positive Erfahrungen in anderen Städten: »In Göttingen haben Aktivist*innen in der letzten Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes zusammen mit ver.di die Ansprache im Betrieb gemacht. Sie haben gemeinsam alle 400 Beschäftigten der Göttinger Verkehrsbetriebe angesprochen und sie zu ihrer Streikbereitschaft befragt. Auch in anderen Städten gibt es jetzt schon eine engere Zusammenarbeit. In Leipzig treffen sich die Betriebsgruppe der Beschäftigten und die Klimaaktivist*innen einmal im Monat und machen gemeinsame Planungen. Auch in anderen Städten gibt es interessante Entwicklungen.«

Vor allem hofft er auf die Dynamik, die sich durch die Streiks im Frühjahr entwickeln könnte. Es gibt bereits eine Einladung an die Kölner Aktivist*innen, bei den »Arbeitsstreiks« der KVB mit in den Betrieb zu kommen. Bei sogenannten Arbeitsstreiks ruft ver.di nur bestimmte Kolleg*innen zum Streik auf. Ziel an diesen Streiktagen ist nicht die Störung des Betriebsablaufs. Aufgabe der Streikenden an diesen Tagen ist es, als Delegierte mit den Kolleg*innen zu sprechen, die Streikbereitschaft in den Abteilungen auszuloten und die Streikstrategie zu diskutieren. Das könnten tatsächlich interessante Diskussionen werden, die vielleicht auch eine Grundlage für eine künftige Zusammenarbeit legen.

Die Tarifrunde könnte also spannend werden, aber irgendwann wird sie mit einem Abschluss und mehr oder weniger langer Friedenspflicht beendet werden. Wie kann es dann weitergehen mit dem Labour turn der Klimabewegung? Wie können Parolen wie »System change, not climate change« oder »Klimakampf ist Klassenkampf« praktisch werden?

Amadeo ist zuversichtlich: »Viele neue Aktivist*innen, die in dieser Kampagne arbeiten und darin neue Erfahrungen machen, haben Lust weiterzumachen. Wir werden die Verkehrswende 2024 nicht erkämpfen, da wird noch viel auf uns zukommen. Und ich finde es spannend zu schauen, wie wir mit den Beschäftigten gemeinsam vor allem auf lokaler Ebene durch Zusammenarbeit und Aktionen Druck machen können auf die Politik, um weiter Verbesserungen für den ÖPNV durchzusetzen. Es wird auch wieder neue Tarifrunden geben, wo wir uns solidarisch anschließen können. Wir haben jetzt als Klimabewegung das erste Mal in großem Kontext mit Gewerkschaften zusammengearbeitet. Daraus können wir lernen. Es gibt da sicher noch andere Möglichkeiten der Zusammenarbeit, sei es in der Solar-Branche oder in der Automobilindustrie. Da können wir neue Wege beschreiten, um sowohl klimapolitische Veränderungen durchzusetzen, aber auch sozialpolitische für die Menschen.«

Alix Arnold

lebt in Köln und lernt gerade viel von jungen Klimaaktivist*innen.

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