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Big Beautiful Burn

In Los Angeles wehren sich Tausende gegen die Einwanderungsbehörde ICE – Trump inszeniert einen Ausnahmezustand 

Von Caspar Shaller

Es ist dunkel, man sieht eine Person, die vor einem brennenden Auto die Straße langläuft mit mehreren Flaggen in der Hand.
Bewohner*innen von LA wollen sich den Terror der Einwanderungsbehörde nicht mehr gefallen lassen. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ethan Swope

Eine beispiellose Reihe von Razzien der US-Einwanderungsbehörde ICE hatte Los Angeles Anfang Juni heimgesucht: Beamt*innen drangen in Wohnhäuser und Geschäfte der Stadt ein, um mutmaßliche illegale Einwanderer*innen festzunehmen. Insgesamt sollen 118 Personen ohne richterliche Durchsuchungsbefehle in Gewahrsam genommen worden sein.

Die stark von Migrant*innen aus Lateinamerika geprägte Stadt wehrte sich sofort: Am Freitagabend, den 6. Juni, versammelten sich tausende Menschen zu Demonstrationen, besonders um ein Gebäude der Bundesjustizbehörde, in dem Festgenommene vermutet wurden. Protestierende griffen Polizeifahrzeuge an und blockierten wichtige Straßen und Autobahnen. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Gummigeschossen, wobei auch klar gekennzeichnete Journalist*innen nicht verschont blieben. So wurde eine australische Reporterin vor laufender Kamera gezielt mit Gummischrot beschossen. Der Gewerkschafter David Huerta, Präsident der SEIU California und SEIU United Service Workers West (USWW), wurde während der Proteste am 6. Juni festgenommen und blieb mehrere Tage in Haft, inzwischen ist er auf Kaution wieder frei. Aktionen für seine Freilassung fanden auch in anderen Städten der USA statt. 

US-Präsident Donald Trump kündigte an, die Opposition auf den Straßen von Los Angeles »sofort und mit militärischer Gewalt« niederzuschlagen. Am Samstag, den 7. Juni, rief er 4.000 Nationalgardist*innen in die zweitgrößte Stadt der USA. Zusätzlich sollen 700 Soldat*innen von Spezialeinheiten der Marines ausrücken.

»Kriegserklärung an alle Kalifornier*innen«

Dabei missachtete Trump die Autorität des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom, der die Maßnahme als »absichtlich provokativ« kritisierte. Newsom bezeichnete die Intervention als einen »unmissverständlichen Schritt in Richtung Autoritarismus«. Auch die Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass, die wie Newsom der Demokratischen Partei angehört, warnte, dass ihre Stadt als »Testfall dafür dient, was passiert, wenn die Bundesregierung die Hoheit von Staaten oder Gemeinden bedroht«. Am Dienstagabend, den 10. Juni, verhängte Bass schließlich eine nächtliche Ausgangssperre. Die Amerikanische Bürgerrechtsunion – American Civil Liberties Union (ACLU) – nannte die Bilder von bewaffneten Nationalgardist*innen, die in die Stadt einrücken, eine »Kriegserklärung an alle Kalifornier*innen«.

Eigentlich darf US-Militär nicht im Inland eingesetzt werden, aber es gibt gesetzliche Lücken, etwa den Insurrection Act von 1807, der es dem Präsidenten erlaubt, bei Aufständen gegen die Staatsmacht das Militär zu polizeilichen Zwecken aufzubieten. So weit ist die Lage noch nicht eskaliert. Der Einsatz der Nationalgarde – der Reservistenarmee – zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung kommt in den USA immer wieder vor. Bereits 2020 wurden sie eingesetzt, um die Black-Lives-Matter-Proteste zu unterdrücken. Damals kamen unter anderem Tränengas und Gummigeschosse zum Einsatz. Auch 1992 wurden Tausende Truppen nach den Unruhen um den Polizeigewalt-Fall Rodney King nach Los Angeles geschickt. Doch im Normalfall geschieht das auf Ersuchen oder zumindest mit Zustimmung der Regierung der betroffenen Bundesstaaten. Gegen den Willen des zuständigen Gouverneurs wurde die Nationalgarde zuletzt 1965 entsendet, von Lyndon B. Johnson, um Bürgerrechtsaktivist*innen in Alabama vor aufgebrachten Anhänger*innen der Rassentrennung zu schützen.

Kalifornien hat bereits angekündigt, gegen die Entsendung der Nationalgarde durch die Bundesregierung zu klagen. Ein Gericht soll den Einsatz der Nationalgarde auf das Bewachen von Gebäuden, die der Bundesregierung gehören, beschränken. »Donald Trump schafft Angst und Terror, indem er die Verfassung ignoriert und seine Befugnisse überschreitet. Das ist eine inszenierte Krise, um das Fundament unserer Republik zu beschädigen«, sagte Newsom, der als demokratischer Präsidentschaftskandidat für 2028 gehandelt wird.

Der politische Showdown in Los Angeles ist mehr als ein Konflikt um Einwanderungspolitik oder Demonstrationsrecht. Er ist ein Stresstest für die bürgerliche Demokratie der USA.

Der Menschenrechtsanwalt Philippe Sands warnte im britischen Guardian, dass die Eskalation in Los Angeles Teil eines breiteren Versuchs sei, eine Ausnahmesituation herbeizuführen. Dazu solle getestet werden, wieviel Truppenpräsenz die Bürger*innen im Inland tolerieren. Sands weist darauf hin, dass ein Abgleiten in autoritäre Zustände oft unter der Aufmerksamkeitsschwelle vor sich geht: »Es ist ein langsames Vorgehen, das Menschen über Grenzen hinwegführt, die zuvor undenkbar schienen.« Bücherverbote, Verhaftungen ohne gesetzliche Grundlage, gewaltsame Abschiebungen und die Normalisierung von Militärpräsenz auf den Straßen seien Symptome dieser Entwicklung. Darin sehe man historische Parallelen zu Pinochets Regime in Chile, dessen Plan Z auf der Konstruktion eines Bedrohungsszenarios basierte, um brutale Repressionen gegen politische Gegner*innen zu legitimieren. Auch Trump schüre mit dem Begriff des »inneren Feindes« gegenüber Einwanderer*innen ein Klima der Angst, um autoritäre Maßnahmen durchzusetzen. »Das ist ein altbekanntes Muster«, so Sands. »Man nutzt die Macht des Amtes, um Angst zu erzeugen, die es erlaubt, weiterzugehen als normalerweise möglich wäre.«

Angriff auf Grundprinzipien

Trumps Vorgehen in Los Angeles kann auch als Ablenkungsmanöver gelesen werden. Die US-Wirtschaft stagniert, die Aktienmärkte spielen verrückt, und Trumps Zölle haben bereits die Preise von Konsumgütern erhöht. Trumps »Big Beautiful Bill« genanntes Budgetpaket, das mit massiven Kürzungen im Sozialbereich Steuersenkungen für die allerreichsten Amerikaner*innen ausgleicht, hat ebenfalls für breite Empörung gesorgt.

Die Los Angeles Times kommentierte, dass Trump die Stadt bewusst als Bühne für einen politischen Showdown gewählt habe, um von diesen Problemen abzulenken. Er habe gezielt eine Stadt mit überwiegend lateinamerikanischer Bevölkerung ins Visier genommen, wohl wissend, dass die massiven militärischen Razzien auf heftigen Widerstand stoßen würden. Die darauffolgende Entsendung von Nationalgardist*innen zur Niederschlagung der Proteste habe den Konflikt zusätzlich befeuert und für dramatische Bilder gesorgt – Bilder, die Trump in den Medien nutzen könne, um seine politische Agenda voranzutreiben.

Der Kampf zwischen liberalen Gouverneur*innen und Bürgermeister*innen auf der einen Seite und der rechten Bundesregierung auf der anderen könnte zu einer Verfassungskrise führen. Die Frage, welche staatliche Ebene welche Kompetenzen besitzt und wie weit der Bund gehen darf, um Gesetze durchzusetzen, steht dabei im Mittelpunkt eines drohenden Machtkampfes. Der amerikanische Grenzbeauftragte Tom Homan drohte bereits offen damit, Gavin Newsom und Karen Bass verhaften zu lassen, sollten sie sich gegen die Truppeneinsätze wehren. Trump greift immer stärker das Grundprinzip der föderalen Gewaltenteilung in den USA an, das den Bundesstaaten viel umfassendere Autonomie gewährt als etwa deutschen Bundesländern. Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte mit den Klagen der Bundesstaaten umgehen werden, doch die juristischen Auseinandersetzungen könnten Monate oder Jahre andauern und die politische Landschaft der USA nachhaltig verändern.

Die Entwicklungen sind ein Alarmsignal für die amerikanische Demokratie. Ob die Justiz und der Kongress die Macht des Präsidenten noch wirksam kontrollieren können oder überhaupt wollen, bleibt eine der entscheidenden Fragen. Noch sind die Gerichte nicht entmachtet, anders als in Philippe Sands Beispiel von Pinochets Chile. Der politische Showdown in Los Angeles ist darum mehr als ein Konflikt um Einwanderungspolitik oder Demonstrationsrecht. Er ist ein Stresstest für die bürgerliche Demokratie der USA. Wie Angelinos, kalifornische Behörden, die Justiz und die nationale Politik darauf reagieren, wird entscheiden, ob die nächsten dreieinhalb Jahre Trump so autoritär werden, wie er es sich wünscht – oder ob ein Überrest an liberaler Demokratie übrigbleibt.

Caspar Shaller

ist freier Journalist.

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