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Streik gegen das Ende einer Ära

Für einen Tarifvertrag sind Tesla-Beschäftige in Schweden in den Ausstand getreten – und nicht nur sie

Von Gabriel Kuhn

Illustration: Melanie Nehls

Sie gilt als alles andere als streikfreudig: Doch seit dem 27. Oktober bestreikt die IF Metall, Schwedens mächtigste Gewerkschaft, die Werke des Elektro-Autoherstellers Tesla in Schweden. 15 Jahre ist es her, dass die Gewerkschaft der Metaller*innen, aus deren Reihen traditionell zahlreiche sozialdemokratische Minister kommen, das letzte Mal gestreikt hat. Nun nimmt man sich eines der großen Prestigeprojekte des umstrittenen Multimilliardärs Elon Musk an.

Hintergrund des Streiks ist die Weigerung Teslas, Tarifverträge zu akzeptieren. Nirgends auf der Welt gibt es eine Tesla-Niederlassung mit Tarifvertrag. Tarifverträge sind jedoch ein wesentlicher Teil des »schwedischen Modells«, einer Art Sozialpartnerschaft, die auf das »Abkommen von Saltsjöbaden« aus dem Jahr 1938 zurückgeht. Damals trafen sich Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, um den schwedischen Arbeitsmarkt zu regulieren. Bis heute gibt es an 90 Prozent der schwedischen Arbeitsplätze einen Tarifvertrag (in Deutschland waren es 2022 lediglich 41 Prozent).

Einen solchen versucht IF Metall seit 2018 auch Tesla abzuringen. Ohne Erfolg. TM Sweden, die Tesla-Tochtergesellschaft im Lande, blockte beharrlich ab. Nun sei man mit der Geduld am Ende, ließ die Gewerkschaftsspitze im Oktober verlauten. Zunächst traten die Arbeiter*innen in den Tesla-Werken in den Streik, bald darauf auch IF-Metall-Mitglieder bei Zulieferern. Tesla packte die Keule aus: Wer streikt, verliert seinen Job, ließ man verlauten. Ansonsten hält man sich mit öffentlichen Stellungnahmen bedeckt. Kaum jemand gelingt es, TM Sweden einen Kommentar zu entlocken.

Streikbrecher*innen werden eingeflogen 

Mitte November nahm der Streik eine neue Dimension an, als mehrere schwedische Gewerkschaften in Sympathiestreiks traten. In der Transportindustrie weigern sich die Gewerkschaften des Landes, Tesla-Autos zu verladen. Die Gewerkschaft der Elektriker*innen wartet keine Tesla-Ladestationen mehr. Die Gewerkschaft der Reinigungskräfte macht Teslas Werke nicht mehr sauber. Die Gewerkschaft der Postbeamt*innen liefert keine Post mehr an Tesla aus. Die Gewerkschaft der Maler*innen lackiert keine Tesla-Autos mehr. Und die Gewerkschaft der Bauarbeiter*innen führt in Tesla-Werkstätten keine Reparaturen mehr durch. Auch die syndikalistische Gewerkschaft SAC hat sich dem Streik angeschlossen. Zwar ist die SAC in den relevanten Industrien schwach vertreten, arbeitet jedoch eng mit der Gewerkschaft der Hafenarbeiter*innen zusammen, einer kampffreudigeren Abspaltung der sozialdemokratischen Transportgewerkschaft.

Tesla packte die Keule aus: Wer streikt, verliert seinen Job, ließ man verlauten.

Bisher ist es Tesla gelungen, die Auswirkungen des Streiks in Grenzen zu halten. Das Unternehmen rekrutiert ungeniert Streikbrecher*innen, die zum Teil aus anderen Ländern eingeflogen werden. Autos lässt es im Ausland registrieren und über Dänemark einführen. Doch IF Metall ist auf einen langen Konflikt eingestellt, die Streikkasse ist gut gefüllt. Die Gewerkschaft zahlt Streikenden gar 130 Prozent ihres Lohns, um fehlender Moral und Streikbrecher*innen aus den eigenen Reihen vorzubeugen. In Aussicht gestellte internationale Sympathiestreiks, vor allem in den nordischen Nachbarländern, könnten eine große Bedeutung haben. Am 5. Dezember erklärte die dänische Gewerkschaft 3F Transport, dass ihre Chauffeur*innen bald keine Tesla-Autos mehr nach Schweden überstellen würden. In Deutschland erklärte die IG Metall ihre Unterstützung für den Streik.

Der Konflikt bei Tesla in Schweden erregt viel internationale Aufmerksamkeit. IF Metall hat nicht mehr als 130 bei Tesla angestellte Mitglieder, doch die symbolische Bedeutung des Konflikts ist groß. Es handelt sich um ein (letztes?) Aufbäumen des sozialdemokratischen Korporatismus und seiner Gewerkschaften gegen den ungezügelten Neoliberalismus, den multinationale Unternehmen und ihre steinreichen Celebrity-Eigentümer*innen repräsentieren. Gibt IF Metall letzten Endes nach, besiegelt dies das Ende einer Ära. Lenkt Tesla ein, gibt es doch noch irgendwo in der Welt gewerkschaftliche Strukturen, die multinationalen Unternehmen Kompromisse abringen können.

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Es liegt viel Spannung in der Auseinandersetzung, auch wenn IF Metall das gerne herunterspielt. Es sei bedauerlich, dass der Konflikt immer auf »IF Metall vs. Elon Musk« reduziert würde, erklären Gewerkschaftssprecher*innen immer wieder. Gleichzeitig ist deutlich, dass TM Sweden unter von Musk formulierten Auflagen agiert. Zum Streik selbst hatsich Musk bisher nur in aller Kürze geäußert, wenig überraschend auf dem Kurznachrichtendienst X, der vor der Übernahme durch Musk Twitter hieß. Dort kommentierte er die Ausmaße des Streiks mit den Worten: »Der reine Wahnsinn.«

TM Sweden versucht, auch gerichtlich gegen den Streik vorzugehen. So verklagte man das staatliche Unternehmen Postnord, da es Tesla-Eigentum nicht ausliefere. Ein Bezirksgericht in Norrköping erlaubte Tesla-Niederlassungen daraufhin, ihre Post selbst an Postnord-Depots abzuholen. Postnord legte gegen das Urteil Einspruch ein.

Weitreichende Sympathiestreiks

Die weitreichenden Sympathiestreiks sind nicht nur Elon Musk, sondern auch schwedischen Arbeitgeberverbänden ein Dorn im Auge. Als vor kurzem der schwedische Finanzdienstleister Klarna, unabdinglich für den Online-Handel im Lande, Tarifverträge unterzeichnte, nachdem mehrere Gewerkschaften mit Streiks gedroht hatten, sprachen die Arbeitgeber*innen von »Erpressung«. Nun fordern sie lautstark eine Änderung des Streikrechts, das erst vor vier Jahren massiv eingeschränkt wurde. In Schweden darf praktisch nur noch streiken, wer um einen Tarifvertrag kämpft. Auch Sympathiestreiks sind damit nur in diesem Kontext erlaubt. Doch selbst das geht den Arbeitergeberverbänden nun zu weit.

Die Arbeitgeber*innen machen kein Geheimnis daraus, dass sie auf Verständnis bei der bürgerlichen Regierungskoalition hoffen. Diese regiert mit Unterstützung der extrem rechten Schwedendemokraten. Organisationen wie der »Tesla-Klub Schweden« wiederum beschweren sich darüber, dass die Besitzer*innen von Tesla-Autos den Preis für einen Konflikt zahlen müssen, für den sie nicht verantwortlich seien. Nicht-funktionierende Ladestationen würden sie mehr treffen als das Unternehmen Tesla, genauso wie Lackierer*innen, die sich weigern, ein zerkratztes Tesla-Chassis aufzupolieren.

Nicht nur in Schweden steht Tesla in der Kritik. In Deutschland ist das 2022 eröffnete Tesla-Werk in Grünheide in Brandenburg stark umstritten. Die ökologischen Auswirkungen des Werkes sind ungeklärt (ironischerweise bei einem Unternehmen, das sich als Speerspitze der »grünen Umstellung« sieht), und es kommt regelmäßig zu verheerenden Arbeitsunfällen. Hier prallen grundlegend unterschiedliche Ideologien aufeinander: Können Technologie und freier Markt die Umweltkrise bewältigen, oder braucht es ein gänzlich anderes Verständnis von Nachhaltigkeit?

Von sozialer Nachhaltigkeit spricht auch IF Metall. Der Zeitung Financial Times gegenüber erklärte die Gewerkschaftsvorsitzende Marie Nilsson: »Gelingt es Tesla, sich in Schweden ohne Tarifvertrag zu etablieren, werden andere Unternehmen das Gleiche fordern.«

Gabriel Kuhn

lebt als Journalist und Autor in Schweden.

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