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|ak 694 | Diskussion

Halbherzige Solidarität

Die radikale Linke hätte auf die Repressionen gegen die Letzte Generation eine bessere Antwort geben müssen

Von Caesar Anderegg und Leon Switala

Fünf Aktivist*innen der Letzten Generation halten am Strand auf Sylt, im Hintergrund das Meer, ein Transparent mit der Aufschrift "Euer Luxus = unsere Wasserknappheit" und "Für wen machen Sie Politik, Herr Scholz?" hoch.
Die Reichen im Visier – und im Visier von Justiz und Polizei: die Klimagruppe Letzte Generation. Foto: Letzte Generation/Jakob Schäfer

Als die Klimaaktivist*innen der Letzten Generation (LG) Opfer massiver staatlicher Repression wurde, kamen sie dann doch noch: linksradikale Solidaritätsbekundungen. Am 24. Mai wurden 15 Wohnungen und Räume der LG bei einer bundesweiten Razzia von der Polizei durchsucht. Sieben Mitgliedern der Gruppe wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 129 des Strafgesetzbuches vorgeworfen. Mit dieser absurden Repression hat die Kriminalisierung der Klimabewegung einen neuen Höhepunkt erreicht. Der Staat macht unmissverständlich klar, dass er keine Klimaproteste duldet, die auch nur marginal den kapitalistischen Alltag stören.

Klar, dass Linksradikale sich angesichts dessen solidarisch zeigen. Denn bekanntlich ist gegen ihre Repression Solidarität unsere stärkste Waffe. Doch die gezeigte Solidarität ist halbherzig, kommt zu spät und lässt ein Verständnis für die Potenziale der Situation vermissen. Das ist keine Überraschung. Der Umgang mit der LG ist sinnbildlich für die radikale Linke: Diese ist überwiegend mit der eigenen Identität beschäftigt und oft dogmatisch. Die Folge: eine zu selektive Solidarität und zu wenig strategisches Kalkül, was für den Aufbau eines gegenhegemonialen Blocks nötig wäre.

Erstens beschränkte sich die linksradikale Solidarität fast nur auf symbolische Bekundungen in der eigenen Echokammer. Meist begnügte man sich mit einem Instagram-Beitrag: ein kurzer Solidaritätstext und ein Foto inklusive »Transpi« und »Pyro«. Echte Solidarität bedeutet jedoch, sich für die Anliegen anderer einzusetzen. Solidarisches Handeln bringt Kosten und birgt Risiken.

Praktische Solidarität sollte die Betroffenen unterstützen und auch ihren politischen Kampf fortführen, wie es bei Teilen der Interventionistischen Linken oder Ende Gelände zu beobachten ist. Mit »Stick together« wurde anschlussfähige Solidarität auf den Weg gebracht: Aktionen der LG sollten radikaler fortgesetzt werden, um die fossile Infrastruktur zu stören. Doch Mobilisierung scheint die radikale Linke plötzlich verlernt zu haben. Am 24. Mai, dem Tag der Repression, waren selbst in Berlin nur wenige Hundert Menschen auf der Straße. Was ein starkes Zeichen hätte sein können, blieb eine verpasste Chance.

Potenziale für einen klimapolitischen Kampf

Zweitens kommt die Solidarität zu spät. Die sich verstärkende Repression folgte einem allgemeinen Trend. Trotzdem wurde ihr kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Bereits Mitte Dezember 2022 war die LG von Hausdurchsuchungen und Präventivhaft betroffen, begleitet von einer Hetzkampagne von bürgerlichen Reaktionären (ak 687 und 693) – von jenen, die »Klimakleber« überfahren, Hassfantasien gegenüber Greta Thunberg hegen und den »Gender-Wahnsinn« bekämpfen wollen. Es sind jene, die ihre Lebensweise und Ideologie durch emanzipatorische Kämpfe zunehmend bedroht sehen und sich immer harscher wehren.

Zwar unterscheiden sich die Kämpfe der LG und vor allem die Art und Weise, wie sie ihn führen, von linksradikalen, nicht aber der Gegner: die Profiteur*innen eines rassistischen, patriarchalen und fossilen Kapitalismus. Der antikapitalistische, antirassistische und queer-feministische Gehalt dieser Auseinandersetzung (nicht der Strategie der LG) wurde zu lange übersehen. Die LG provoziert ungewollt Teile der bürgerlichen Ideologie, die über Jahrhunderte mit dem fossilen Kapitalismus und Verbrennungsmotoren verbunden worden sind und in verschiedenen Ausprägungen überdauerten: Privatbesitz, individuelle Freiheit, Männlichkeit, Überlegenheit von Weißen wie auch die Unterdrückung von FLINTAQ+-Personen. Die Automobilität ist Herzstück des fossilen Kapitalismus. Sie ist Teil einer imperialen Lebensweise, die auf der Ausbeutung von Mensch und Ressourcen überall auf der Welt basiert, insbesondere von Senken im Globalen Süden. Wenig verwunderlich, dass diese Lebensweise derart mit staatlicher Repression und aggressiver maskuliner Ideologie geschützt wird. Längst hätten Linksradikale darauf hinweisen und taktisch sowie strategisch daran anknüpfen müssen.

Drittens wurde das klimapolitische Potenzial der Intervention in den gesellschaftlichen Diskurs nicht erkannt. Sicherlich sind die Potenziale und Probleme der LG klar herauszustellen sowie Strategie, politische Verortung und fehlende praktische Solidarität der Gruppe gegenüber Teilen der ökologischen, radikalen Linken deutlich zu kritisieren. So distanziert sie sich aktiv von nicht völlig gewaltfreien Waldbesetzungen, nutzt aber verschiedene Strukturen in diesem Umfeld. Solidarität ist keine Einbahnstraße.

Trotzdem kann die LG nicht an der linksradikalen Bewegung gemessen werden. Auch wenn die LG jetzt mit ersten Aktionen »die Reichen« bewusst als politischen Feind adressiert, ist wohl nicht davon auszugehen, dass sie bald revolutionäre Politik machen werden. Das ist nicht erstaunlich, werden wir doch alle in einer bürgerlichen Hegemonie sozialisiert, wo Politik nicht über Parlamentarismus hinausgeht und Gewalt ein rotes Tuch ist. Trotzdem können die einzelnen Menschen durchaus ein anderes politisches Verständnis entwickeln. Niemand von uns ist als Revolutionär*in zur Welt gekommen. Um diese Prägungen abzulegen, braucht es Zeit und von linksradikaler Seite mehr Geduld und Kompromissbereitschaft.

Warum nicht die Repression gegen die Letzte Generation und Lina E. stärker zusammen thematisieren?

Fakt ist, dass die Protestform der LG eine materielle Komponente hat: Die LG blockiert spürbar eine urbane, fossile, imperiale Lebensweise. Das zeigen die extrem aggressiven Reaktionen – Ausbrüche von patriarchalen und autoritären Ideologien. Wer diese nachhaltig provoziert, kann nicht alles falsch machen. Daher ist es für die Linksradikale strategisch erst mal sekundär, wie sehr die LG inhaltlich den eigenen Überzeugungen entspricht. Denn wenn alle über die Straßenblockaden sprechen, hätte eine überlegte Auseinandersetzung positive Impulse für Linksradikale geben können: zum Beispiel zur Frage, was Klimakrise und Automobilität mit Rassismus, Patriarchat und fossilem Kapital zu tun haben.

Kritik des vermeintlichen Rechtsstaats

Viertens hat die radikale Linke es versäumt, den vermeintlich demokratischen Rechtsstaat ausreichend zu kritisieren. Da die Repression im Fall der LG so eklatant im Widerspruch zum friedlichen und zahmen Charakter der Gruppe steht, bietet sich hier die Chance, einer breiteren Öffentlichkeit zu verdeutlichen, dass der Staat selektiv Interessen schützt und Gesetze bewusst ignoriert. Die Frage, warum der Staat, anstatt Lösungsangebote zu unterbreiten, mit Gewalt gegen friedliche Klimaaktivist*innen vorgeht, hätte konsequenter gestellt werden müssen. Damit hätte man auch grüne und linke Parteien offensiver diskreditieren und eine außerparlamentarische Alternative aufzeigen können. Die parlamentarische Demokratie abzulehnen bedeutet nicht, losgelöst von ihr Politik zu machen. Diese reine Negation und Ignoranz jeglicher parlamentarischen Politik ist strategisch nicht sinnvoll, wenn man selbst keine Macht hat.

Auch die willkürliche Anwendung von Paragraf 129 hätte über die eigene Blase hinaus stärker kritisiert werden müssen. Es wäre den Versuch wert gewesen, die Repression gegen die Letzte Generation und Lina E. stärker zusammen zu thematisieren. Antifaschismus und Klimabewegung teilen nicht nur Repressionserfahrung, sondern sind auch als Kämpfe zusammenzuführen: Klimaschutz heißt Antifaschismus! Genauso, wie sich fossile Infrastrukturen der Automobilität nicht ohne die neokoloniale Ausbeutung des Globalen Südens erklären lassen, genauso muss das Aufkommen nationaler faschistischer Parteien auf die allmähliche klimatische Unbewohnbarkeit weiter Teile der Erde bezogen werden, die Menschen zur Flucht zwingt. Die unmittelbar staatliche Repression ist daher nur die Spitze des Eisbergs einer gemeinsamen politischen Front.

Es zeigt sich also, dass statt selektiver Solidarität und fehlender strategischer Weitsicht eine solidarische, marxistische Verbindung der Kämpfe zu einem Klassenkampf notwendig – und auch möglich – wäre. Die Proteste der LG und die repressiven Reaktionen darauf bieten strategische Anknüpfungspunkte. Denn der Kampf gegen die fossile Infrastruktur der Automobilität und den Klimawandel macht eine Vielzahl von Herrschaftsverhältnissen im Kapitalismus sichtbar. Wie wir aufgezeigt haben, muss hierbei über ein intersektionales Beschreiben hinausgegangen und nach den gesellschaftlichen Zusammenhängen gefragt werden. Nur so lässt sich erklären, wie die Taktik der LG so erfolgreich sein kann – und wo strategische Anknüpfungspunkte für Linksradikale bestehen. Hier liegt, um mit der linken Philosophin Nancy Fraser zu sprechen, das Potenzial, endlich aus Identitätslogiken auszubrechen und Kämpfe zu verbinden. Wenn wir den Kapitalismus als gesellschaftliche Totalität bekämpfen wollen, brauchen wir einen erweiterten Klassenkampfbegriff. Und dafür strategische, undogmatische Weitsicht und inklusive Solidarität.

Caesar Anderegg

ist Politikwissenschaftler und lebt in Wien.

Leon Switala

ist Politikwissenschaftler und lebt in Wien.

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