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Solidarität mit der Letzten Generation

Von Jan Ole Arps und Nelli Tügel

Vier Menscheni n Warnwesten sitzen auf der Straße und halten Transparente mit den Aufschriften "Mehr Demokratie: Gesellschaftsrat jetzt" und "Letzte Generation vor den Kipppunkten". Dahinter stehen Polizist*innen, im Vordergrund ein Absperrband.
Auf sie rollt eine Prozesswelle zu: Blockade der Letzten Generation am 27. April an der Frankfurter Allee in Berlin. Foto: Letzte Generation

Eines muss man neidlos anerkennen: Die Aktivist*innen der Letzten Generation (LG) schaffen es wie derzeit keine andere Gruppe, die Bedrohungen durch den Klimawandel immer wieder mit Wucht in den öffentlichen Diskurs zu zwingen und überdies Abgründe im gesellschaftlichen Bewusstsein freizulegen. Die Reaktionen auf ihre Blockaden, insbesondere des Autoverkehrs, sind – anders als die Forderungen der Gruppe – extrem. Seit Ende April lässt sich das nahezu täglich in Berlin beobachten, wo die LG ihre etwa 1.000 Aktivist*innen aus der ganzen Bundesrepublik zusammengezogen hat, um die Stadt »lahmzulegen«.

Seitdem gab es Dutzende, teils stundenlange Straßenblockaden, oft parallel an verschiedenen neuralgischen Punkten der Stadt – und viele üble Szenen von Gewalt gegen die stets friedlich bleibenden LG-Mitglieder; Polizeigewalt wie auch Selbstjustiz durch im Stau stehende Autofahrer*innen; die permanenten Beschimpfungen (größtenteils Variationen von »Geht mal arbeiten!«) sind da fast schon harmlos.

Angefeuert wird diese Stimmung durch ein Zusammenspiel von medialer Aufhetzung und Stimmen aus der Politik, die die Aktivist*innen im Grunde zum Abschuss freigeben. Wenn es so weiter geht, drohen früher oder später ernsthaft Verletzte oder gar Tote, so muss man das sagen. Parallel ist eine Repressionswelle gegen die LG im Anrollen – erste Verurteilungen zu Haftstrafen ohne Bewährung sind Vorboten dessen, was hier in den kommenden Monaten blüht. In Berlin soll derweil die zulässige Präventivhaftzeit verlängert werden. Es ist klar: Linke müssen sich sowohl gegen die Gewalt, die sich gegen die LG richtet, als auch gegen staatliche Repression wenden und sich mit den Aktivist*innen solidarisch zeigen.

Zudem sind die Aktionen sicherlich ein Anlass für die linken Teile der Klimabewegung, sich selbstkritisch zu fragen, warum andere Strategien so viel weniger Aufmerksamkeit erzeugen. Der gemeinsame Streik von ver.di und Fridays for Future im März etwa war strategisch ein enorm wichtiger Schritt – für ein solches Zusammenkommen haben Linke sich jahrelang eingesetzt. Die meisten aber haben inzwischen schon wieder vergessen, dass dieser Streik überhaupt stattgefunden hat. Dafür sind alle Augen auf die LG gerichtet, und das gibt ihnen nun einmal Recht: Ihre Strategie des friedlichen Störens von Verkehr und Alltag soll ja genau darauf – maximale Irritation – hinauslaufen. Dass das bislang funktioniert, kann als bewiesen gelten.

Die Frage ist nur, bis wohin diese Strategie trägt. Bis ins Verkehrsministerium, zu einem Gespräch mit Volker Wissing, hat es die LG schon gebracht. Gut möglich, dass es zu weiteren Dialogen mit der Politik kommt. Doch selbst wenn die bewusst niedrigschwelligen Forderungen – Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets, ein Tempolimit etc. – erfüllt würden, wonach es nicht aussieht: Den Klimawandel aufhalten kann nur ein Bruch mit der kapitalistischen Produktionsweise und eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs. Der Horizont der LG-Strategie ist diesbezüglich vage. Die Bereitschaft, mit einem Ökounternehmer zu kooperieren (und sich damit auch in Abhängigkeiten zu begeben), der öffentlich angekündigt hatte, die Geldstrafen der Aktivist*innen zu übernehmen (nur um nach öffentlichem Druck einen Rückzieher zu machen) zeigt, dass es hier zumindest schwammig wird. Ebenso ist dies bei dem Versuch der Fall, Aktionsformen ins Repertoire aufzunehmen, die nicht Menschen im Berufsverkehr treffen, sondern jene, die durch individuellen Verbrauch am meisten CO2 emittieren: Reiche. Zu Beginn ihrer Berliner Aktionswochen besprühten Aktivist*innen der LG Luxusgeschäfte mit Farbe, Anfang Mai drangen sie in den Sicherheitsbereich des Berliner Flughafens ein und besprühten Privatjets.

So richtig es ist, dass der Lebensstil der Reichen die Lebensgrundlage der Armen zerstört: Auch dies trifft nicht das eigentliche Problem, Produktionsweise und Ressourcenverbrauch. Um dahin zu kommen, wird die Arbeiter*innenklasse als zentrale Akteurin nötig sein, ohne sie und ihre Produktionsmacht geht es nicht. Darüber wiederum ist ein offenes Gespräch nötig, ohne gegenseitige Vorwürfe à la »euch Bürgerkids sind Lohnabhängige egal« oder »ihr Arbeitsfetischisten erkennt den Ernst der Lage nicht«. Diese im Kern strategische und zudem nicht neue Diskussion sollte schnell in Gang kommen – denn die LG hat ja recht: Wir haben keine Zeit mehr.

Nelli Tügel

ist Redakteurin bei ak.

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.

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