analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 686 | Ökologie

Geht mal arbeiten

Muss die Klimabewegung in die Produktion? Diesen Vorschlag macht Johanna Schellhagen in ihrem Film »Der laute Frühling«

Interview: Jan Ole Arps

Drei Männer in Arbeitsuniformen sitzten um einen Tisch, einer isst aus einer Tupperdose Nudelsalat, einer schraubt eine Falsche zu
Statt Journalist*in zu werden und bei Springer zu enden, kann man auch in einer Fabrik anheuern und die Revolution vorbereiten, sagt Johanna Schellhagen. Wichtigste Regel dabei: nie allein, immer mit Freund*innen. Filmstill aus »Der laute Frühling«, labournet.tv.

Der laute Frühling« heißt der neue labournet.tv-Film, der gerade auf Klimacamps gezeigt und in der Bewegung diskutiert wird. Die These: Die Klimakatastrophe kann nur aufgehalten werden, wenn die Klimabewegung sich mit Arbeitskämpfen verbündet und sich beide gemeinsam der Produktion bemächtigen. Dafür trägt der Film viel Material zusammen und entwirft sogar eine Skizze, wie die Klimarevolution ablaufen könnte. Wir haben die Filmemacherin Johanna Schellhagen gefragt, wie der Plan konkret aussieht.

Gleich am Anfang des Films hört man dich sagen, dass bei dir der Groschen, was für eine Katastrophe der Klimawandel ist, sehr spät gefallen sei. Was ist passiert?

Johanna Schellhagen: Ich habe jemanden kennengelernt, der sehr gut informiert und völlig alarmiert war darüber, was uns blüht, und der darüber nachgedacht hat, wie er trotz Klimawandel sein Überleben organisieren kann. Das war völlig neu für mich. Ich war bis dahin vor allem mit Klassenkämpfen und Kämpfen am Arbeitsplatz beschäftigt. Mit labournet.tv machen wir seit über zehn Jahren Filme darüber.

Warum dieser Fokus?

Weil Leute bei Kämpfen am Arbeitsplatz erleben können, dass sie mächtig sind, dass sie ihre Bedingungen verbessern können.

Wenn man an den Klimawandel denkt, überkommt einen eher ein Gefühl der Ohnmacht.

Ja, viele Leute, mit denen wir auf Klimademos gesprochen haben, sind fassungslos, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern und die Politiker*innen nicht entsprechend handeln. Ich hatte oft den Eindruck, dass die Leute nach Jahren, in denen sie versucht haben, Druck auf die Politik zu machen, in einer Sackgasse angekommen sind. Sie merken, das bringt ja gar nichts, und fragen sich: Was kann man denn noch machen?

Was kann man noch machen?

Wir haben keine Macht, wenn wir nur auf der Straße sind. Selbst wenn wir es schaffen sollten, Regierungen zu verjagen, ändert sich nichts. Wir haben nur dann Macht, wenn wir uns der Produktion bemächtigen. Erst dann können wir vernünftige Entscheidungen treffen, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren gehört dazu. Man muss die Überlegungen, wie man aus der Klimakatastrophe rauskommt, vom Kopf auf die Füße stellen und sie von der Produktion her denken.

Wieso sollten sich Millionen Menschen, die ohnehin schon immer zu wenig haben, dafür einsetzen, dass in Zukunft alle weniger haben?

Die Frage ist doch komisch. Wenn man die ganze schädliche Produktion weglässt, den militärisch-industriellen Komplex etwa, wenn man so produziert, dass die Sachen länger halten, wenn man die Verschwendung stoppt – global werden 50 Prozent der Lebensmittel weggeschmissen, 80 Prozent der Metalle; 30 Prozent der Energie wird verschwendet –, wenn man das alles bedenkt und sich darauf konzentriert, was man braucht, damit es den Menschen gut geht, dann können wir einen Großteil der Ressourcen und Emissionen einsparen.

Nur in Kämpfen am Arbeitsplatz kann die Macht entstehen, die wir brauchen, um die Klimafrage anzugehen.

Bisher interessiert sich die Klimabewegung kaum für Arbeits- und Produktionsverhältnisse. Warum?

Das liegt wahrscheinlich an ihrem Klassenhintergrund. Sie ist, zumindest in Europa, eine sehr weiße und akademische Bewegung. Und am Antikommunismus der letzten Jahrzehnte, der das Wissen über die Bedeutung von Klasse und darüber, dass wir nur am Arbeitsplatz Macht haben, verschüttet hat.

Die Arbeiter*innenbewegung interessiert sich allerdings auch recht wenig für den Klimawandel.

Ich denke, das liegt daran, dass sich die DGB-Gewerkschaften als Sozialpartner und Co-Manager fühlen und dass die Gewerkschaften keine politischen Organisationen sind, schon gar keine Klassenkampforganisationen. Der größte Teil der organisierten Arbeiter*innenbewegung in Deutschland ist sozialpartnerschaftlich eingebunden.

Zitat aus dem Film: »Um den Klimawandel aufzuhalten, muss die Klimabewegung die Mächte, die den Kapitalismus am Laufen erhalten, überwinden und eine konkrete Idee davon entwickeln, wie das gehen könnte.« Wie sieht die Idee aus?

Ich glaube, dass es unsere Aufgabe ist, eine große revolutionäre Bewegung aufzubauen, indem wir unter anderem Kämpfe am Arbeitsplatz unterstützen. In den letzten Jahren hat das schon an ein paar Stellen funktioniert: beim ÖPNV-Streik, wo Fridays for Future unterstützt hat, und beim Kampf bei Bosch in München, wo die Belegschaft ein Konversionsprojekt entwickelt hat und dabei auch von einer Gruppe aus der Klimabewegung unterstützt wurde. In die Richtung muss es weitergehen, auch weil in solchen Kämpfen erst die Macht entstehen kann, die es braucht, um die Klimafrage anzugehen.

Organisierung am Arbeitsplatz ist etwas, das eher langfristig Früchte trägt. Was ist angesichts der knappen Zeit dein Vorschlag an Aktive aus der Klimabewegung?

Erstens, dass sie anfangen, sich selber als Lohnabhängige und damit als Teile der Arbeiter*innenklasse zu begreifen. In vielen Köpfen ist die Vorstellung: Da ist der Arbeiter, der gegen uns ist, und hier sind wir. Nein, man muss sich dort organisieren, wo man eben arbeitet. Zweitens, dass die Klimabewegung Kontakt zu Streikenden aufnehmen und Streiks unterstützen sollte. Und drittens: selbst strategisch arbeiten gehen.

Strategisch arbeiten gehen?

Man kann sich überlegen, ich möchte nicht Journalistin werden und dann bei Springer enden, sondern ich möchte mit meinen Freund*innen in der Nudelfabrik arbeiten, um zu gucken, wie es da ist, und um Leute zu organisieren. Das hat auch den Vorteil, dass es eine Einheit von Arbeit und Aktivismus gibt. Man muss nicht seine acht Stunden abgeben, um Geld zu verdienen und dann nach Feierabend politische Arbeit machen zu können, sondern man organisiert sich politisch, während man arbeitet. Am besten geht man nicht allein irgendwo rein, sondern mit mindestens einer weiteren Person.

Und dann?

Dann arbeitet man ganz normal, unterhält sich mit den Kolleg*innen, lernt die Arbeitsbedingungen kennen, schaut, was die Gewerkschaften machen. Irgendwann macht man einen Vorschlag, was man gemeinsam verbessern könnte. So gerät man nach und nach in die Lage, Aktionen mit den Kolleg*innen zu machen, sich mit Unterstützer*innen und anderen Arbeitskämpfen zu vernetzen. Kurz gesagt, man baut eine Macht von unten auf und ist dann am Start, wenn es den Aufstand gibt.

Wie wird die Idee in der Klimabewegung aufgenommen?

Ich hatte Sorge, dass manche Leute vielleicht beleidigt sind, aber überhaupt nicht. Es gibt natürlich auch Pessimismus, »das funktioniert in Deutschland nicht«, auch von Älteren, die sowas Ähnliches in den 1970ern versucht haben. Aber viele, gerade junge Zuschauer*innen, 19- oder 20-Jährige, sagen nach dem Film, dass das für sie eine neue Perspektive ist und sie wieder Mut schöpfen. Die größte Frage ist immer: Wie kommen wir mit den Arbeiter*innen in Kontakt? Dann sag ich immer die drei Sachen: Du bist selbst lohnabhängig, du kannst strategisch arbeiten gehen, und du kannst Arbeitskämpfe unterstützen.

Der Film »Der laute Frühling« (62 Minuten) ist seit August in ausgewählten Kinos zu sehen. Mehr Informationen und Vorführungstermine unter de.labournet.tv und de.labournet.tv/der-laute-fruehling-termine.

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.