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Ökologischer Klassenkampf

Wie die Zusammenarbeit von Arbeiter*innen- und Klimabewegung gelingen kann: Erfahrungen aus dem Streik im öffentlichen Nahverkehr 2020

Von Julia Kaiser

Quergestellte Busse, geschlossene Werkstore, kämpferische Kundgebungen – im September 2020 legen Busfahrer*innen alle großen deutschen Städte lahm und beweisen: Sie halten die Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes am Laufen. Die Streiks führen nicht nur die viel beschworene »Systemrelevanz« des öffentlichen Nahverkehrs vor Augen. Sie stehen auch im Zeichen ökologischer Klassenpolitik.

Zum ersten Mal sind in Deutschland ein Arbeits- und ein Klimastreik miteinander verbunden: In mehr als 30 Städten unterstützen Klimaaktivist*innen die streikenden Fahrer*innen mit Kundgebungen, Infoständen oder einer schlichten Geste – der Wecker klingelt teils um drei Uhr, um mit Streikbeginn an der Seite der Kolleg*innen zu stehen.

Aufgrund monatelanger Zusammenarbeit im Vorfeld agieren wir Aktivist*innen nicht nur als Soli-Truppe am Rande der Streiks. Wir verabreden uns im Gegenteil mit den bekannten Fahrer*innen und sprechen vorher ab, wer die Feuertonne und wer den Kaffee mitbringt. Wie ist es dazu gekommen?

Für einen labour turn der Klimabewegung

Derzeit sind in der Klimabewegung vor allem zwei Ideen davon, wie wir die »Politik zum Handeln bringen« präsent. Kernanliegen der meisten bei Fridays for Future ist es, die Politiker*innen durch große Proteste oder Lobbying zum Handeln zu bewegen. Der Ziviler-Ungehorsam-Flügel will durch spektakuläre Aktionen aufrütteln und die Politiker*innen und Unternehmer*innen durch eine diskursive Verschiebung und gegebenenfalls zarte Sabotageakte zu ökologischen Reformen drängen. Wir, etwa ein Dutzend Sozialist*innen in der Klimabewegung und im SDS aktiv, halten beide Strategien grundsätzlich für legitim und für wichtig: Wir müssen aufrütteln, aufklären, Bewegungen aufbauen.

Aber um wirklich ein nachhaltiges System zu schaffen und etwas gegen die Macht der großen Unternehmen durchsetzen zu können, brauchen wir ökologische Klassenkämpfe. Wir brauchen Allianzen mit denen, die am Hebel sitzen: den Arbeiter*innen, die durch eine Arbeitsniederlegung die Welt zum Stillstand bringen können. Wir denken, es reicht nicht, resigniert festzustellen bzw. zu unterstellen, dass Teile der Gesellschaft kein Interesse an Klimapolitik haben oder dass sich die Verwirklichung der Interessen an einer sicheren Beschäftigung und der ökologische Umbau der Gesellschaft ausschließen. Wir sollten hingehen, nachfragen, gemeinsam Strategien entwickeln.

Warum? Erstens muss die Klimabewegung breiter werden. Insbesondere die Klimaproteste gegen den Kohleabbau in der Lausitz können als Abbild des Ist-Zustands und Warnzeichen dienen: Die Aktionen zivilen Ungehorsams hatten eine wichtige Initialfunktion, indem sie die Gesellschaft mit dem unumgänglichen, radikalen Umbau der Produktion konfrontierten. Jedoch erweist sich das strategische Vorgehen der Aktivist*innen zugleich als politisch riskant: Die Beschäftigten sowie ein Großteil der lokalen Bevölkerung fühlen sich in ihrem Wunsch nach Arbeitsplatzsicherheit und Anerkennung missachtet und übergangen, die Klimaaktivist*innen erfahren in der Region teils starke Ablehnung trotz ihrer ökologisch absolut wichtigen Forderung nach einem sofortigen Kohleausstieg. Egal ob Proteste in der Lausitz, um Flughäfen herum oder auf Autobahnen: Wenn wir nicht Verbindungen zur lokalen Bevölkerung oder den Beschäftigten aufbauen, drohen uns tiefe Grabenkämpfe zwischen denjenigen, die um ihre unmittelbare, bedrohte Zukunft bangen und denjenigen, die die Welt vor dem Kollaps retten wollen.

Zweitens verschenken wir wichtige Machtressourcen, wenn wir die Arbeiter*innenbewegung nicht mit ins Boot holen. Denn betriebliche Streiks könnten in kürzester Zeit wirklich einen Wandel erzwingen. So wie zum Beispiel die Bauarbeiter*innen im Australien der 1970er, die immer dann die Arbeit niederlegten (sog. Green bans ausriefen), wenn eine Grünfläche bebaut werden sollte.

Die Causa Lausitz sowie die fehlende Verankerung von FFF in großen Teilen der Lohnabhängigen motiviert uns, einen labour turn, also eine Einbeziehung von Arbeitsplatzsicherheit und Beschäftigteninteressen anzuregen. Zugleich verdeutlicht das Lausitz-Beispiel aber auch die Notwendigkeit eines climate turn der Gewerkschaften. Sie müssen die ökologische Frage in alle ihre strategischen Überlegungen mit einbeziehen.

Betriebliche Streiks könnten in kürzester Zeit wirklich einen Wandel erzwingen.

Den climate und den labour turn anzustoßen, bedeutet für uns als Klimaaktivist*innen, den Beschäftigten Respekt für ihre Arbeit und ihr Wissen entgegenzubringen, egal in welcher Branche sie ihren Lohn verdienen. Anstatt Menschen in der Autoindustrie als Teil des Problems zu identifizieren, sollten wir sie einladen, Teil der Lösung zu werden. In einigen Bereichen ist dies naheliegend: Gemeinsam mit Fahrer*innen aus dem ÖPNV lässt sich für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs kämpfen, mit Arbeiter*innen aus der Ernährungsbranche für sozial und ökologisch nachhaltigere Arbeits- und Produktionsbedingungen.

In anderen Branchen wie der Auto- oder Kohleindustrie ist dies sicherlich komplizierter, sorgen sich die Beschäftigten derzeit meist primär um ihren Lebensunterhalt, wenn ihr Betrieb umgebaut oder abgewickelt wird. Doch auch hier sollten wir Bündnispartner*innen suchen. Denn es ist davon auszugehen und auch in aktuellen Studien sehr deutlich zu sehen, dass es auch bei Daimler oder BMW-Kolleg*innen gibt, die offen dafür sind, Schienen statt Autos zu produzieren. Die Zusammenarbeit der Klimaaktivist*innen in München Berg am Laim mit Bosch-Arbeiter*innen ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass auch mit Kolleg*innen in der Autoindustrie zusammen für soziale und ökologische Gerechtigkeit gekämpft werden kann und muss.

Kampagne für einen Tarifvertrag Nahverkehr

Die Kampagne TV-N 2020 war ein Versuch, die Annäherung zwischen Gewerkschafts- und Klimabewegung voranzutreiben. Unter der Annahme, dass viele Fridays-for-Future-Aktivist*innen durchaus Interesse daran haben, in die Betriebe auszugreifen, jedoch ähnlich wie auch wir zu diesem Zeitpunkt wenige Ideen hatten, wie das gelingen könnte, schlugen wir 2019 in Fridays for Future vor, eine AG Gewerkschaftsdialog zu gründen. Diese AG suchte das Gespräch mit den Gewerkschaften: In einem Schreiben an die DGB Gewerkschaften baten wir um einen Austausch über die 90 Prozent Übereinstimmung, anstatt uns wegen der zehn Prozent Konfliktthemen feindlich zu begegnen. Der ver.di-Fachbereich Verkehr reagierte positiv. Angesichts der damals bevorstehenden bundesweiten Tarifrunde im ÖPNV hätten sie großes Interesse, mit uns zusammenzuarbeiten. Denn zum einen sei mit enormem Gegenwind zu rechnen, wenn Bus- und Bahnfahrer*innen für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Zum anderen wolle der Fachbereich ohnehin für eine Verkehrswende kämpfen.

Wir begannen zu träumen: Wie wäre es, wenn in lokalen Bündnissen Klimaaktivist*innen und Bus- und Bahnfahrer*innen gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen, Ausbau und Vergünstigung des ÖPNVs streiten würden? Genau das scheint uns die Aufgabe von Sozialist*innen in der Klimabewegung zu sein: Kämpfe für bessere und ökologische Lebensbedingungen der Lohnabhängigen zu antizipieren und aktiv aufzubauen – weniger Arbeitszeit, besserer ÖPNV, Mitbestimmung über das Was und Wie der Produktion, darum muss es gehen.

Wir verfolgten das doppelte Ziel, sowohl starke Verbindungen zu den Kolleg*innen in unseren Städten aufzubauen, als auch eine bundesweite Struktur zu schaffen, die weiteren Aktivist*innen ermöglichte, an der Kampagne teilzunehmen. Die Herausforderung bestand darin, dass weder wir noch die anderen Aktivist*innen Verbindungen in die lokalen Verkehrsbetriebe hatten. Die Hemmschwelle, in einen Betrieb reinzuschlendern, ist hoch. Wir erarbeiteten uns deshalb Methoden, die uns helfen sollten, den Kreis der üblichen Verdächtigen zu überschreiten und aktiv auf die Beschäftigten zuzugehen. Denn wenn unsere Streiks und Aktionen wirklich Macht entfalten sollten, dann müssten es Streiks von unten sein, dann müssen wir uns kennenlernen, mehr werden – und nicht nur Papiere schreiben.

Zwei Methoden halfen uns besonders. Ein erster hilfreicher Schritt war die Arbeit mit Mappings. Wann immer die Idee der Kampagne diskutiert wurde, sammelten wir Kontaktdaten von allen, die Interesse zeigten. So entstand eine Datenbank von Klimaaktivist*innen, die Interesse am Kennenlernen von ÖPNV-Beschäftigten hatten. Diese konnten wir an die ver.di-Hauptamtlichen weitergeben, die sie wiederum an ihre lokalen Aktivenstrukturen vermittelten – ein schlichter aber guter Weg, um Kontakte herzustellen. Die Mappings halfen auch lokal: Wen kennen wir aus der Jugendauszubildendenvertretung? Wie heißt nochmal die Gewerkschaftssekretärin? Und mit welchen Bahnfahrer*innen hatten wir letzte Woche telefoniert? Schritt für Schritt wurde durch regelmäßige Telefonate und Treffen der Aktivenkreis erweitert.

Zweitens arbeiteten wir von Beginn an mit bundesweiten Austauschstrukturen wie den »Mega-Zooms«. Diese fungierten als Inspirationsquelle: Stellen wir uns eine Gruppe von Klimaaktivist*innen in Chemnitz vor. Diese finden es richtig, den Staat zu mehr Ausgaben für den ÖPNV zu zwingen und wollen die Kolleg*innen vor Ort kennenlernen. In der Videokonferenz konnten sie von anderen Aktivist*innen hören, wie diese in eine Betriebsversammlung gingen, die lokalen Gewerkschaftssekretärin anriefen oder beim Schichtwechsel auf das Bündnis aufmerksam machten.

Außerdem einigten wir uns auf bundesweite Aktionstage, auf die hingearbeitet werden konnte. Auf unsere strukturierte und vom Organizing inspirierte Herangehensweise ist unserer Meinung nach zurückzuführen, dass wir nicht nur mit einer Handvoll Menschen postulierten, dass Arbeiter*innen- und Klimabewegung zusammenfinden sollten, sondern in 30 Städten Klimaaktivist*innen die Erfahrung machen konnten, dass Teile der Gewerkschaften für den Kampf für eine ökologische Wende zu gewinnen sind und die Kolleg*innen unerwarteten Rückenwind für ihre Streiks bekamen.

Was ist geblieben?

Was lässt sich eineinhalb Jahre nach der Kampagne resümieren? Obwohl das unmittelbare Ziel eines bundesweiten TV-N nicht erreicht wurde, war die Kampagne ein Erfolg. Warum? Wir haben bewiesen, dass Klimaschutz und Klassenkampf kein Widerspruch sind, sondern sich gegenseitig bestärken können. Wir haben gelernt, wie wir betriebliche und ökologische Kämpfe Schritt für Schritt aufbauen. Wir haben auch gesehen, dass es ohne gemeinsame Organisationen von Klimaaktivist*innen und Beschäftigten gar nicht so einfach ist, breitere gesellschaftliche Bündnisse um die Tarifrunde aufzubauen, und viele der aufgenommenen Beziehungen nicht aufrechterhalten werden können. Denn in vielen Städten wurden zwar Kontakte geknüpft und gemeinsame Erfahrungen gesammelt, aber es fehlen der regelmäßige Kontakt und Anschlussprojekte. An diesen Strukturen müssen wir arbeiten, wenn die Allianzen längerfristig bestehen sollen und somit Multiplikator*innen für weitere ökologische Klassenkämpfe entstehen können.

Was ist geblieben? Kurz und knapp und aus der Sicht einer Aktiven in Leipzig: Eine Betriebsgruppe innerhalb der Leipziger Verkehrsbetriebe hat sich im Rahmen der Kampagne gegründet und diskutiert alle zwei Wochen über Arbeitsbedingungen und die Verkehrswende. Wir stehen in engem Kontakt. In Fridays for Future debattiert ein bundesweiter Arbeitskreis von gewerkschaftsorientierten Aktivist*innen, wie eine neue TV-N-Kampagne 2023/24 aussehen könnte, wie wir mit Beschäftigten der Autoindustrie eine Konversionsbewegung anstoßen könnten und wie wir in zwei Jahren noch größere Streiks aufbauen können. Als Studierendenverband SDS planen wir einen Ökosozialismus-Kongress im September, bei dem hoffentlich die Bosch-Kolleg*innen aus München von ihren Erfahrungen aus dem Kampf für Konversion gemeinsam mit den ÖPNV-Kolleg*innen und Klimaaktivist*innen diskutieren.

Bestenfalls, so die Hoffnung, inspirieren wir mehr Menschen, sich auf die Suche nach dem Gemeinsamen von Arbeiter*innen- und Klimabewegung zu machen. Nur so, davon sind wir überzeugt, werden wir dem »Krieg des Kapitals gegen den Planeten« irgendwann etwas entgegensetzen können.

Julia Kaiser

ist Soziologin an der Uni in Leipzig und erforscht schwerpunktmäßig sozial-ökologische Transformationskonflikte und Allianzen. Sie ist politisch aktiv in der Partei Die Linke in Leipzig.

Der Artikel basiert teilweise auf einer Auswertung der Kampagne durch das Autor*innenkollektiv Climate.labour.turn, die im Sommer 2021 unter dem Titel »Mein Pronomen ist Busfahrerin« bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen ist.