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Friedensfreund*innen mit Hausaufgaben

Die Antikriegsbewegung wurde vom Ukraine-Krieg kalt erwischt – und versucht nun, Antworten auf die Eskalationsspirale zu finden

Von Sebastian Bähr

Man sieht Menschen am Brandenburger Tor mit Ukraine-Fahnen und ein Pappschild: Stop the War.
Sehr viele Menschen haben gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert (hier Ende Februar in Berlin), allerdings nicht wegen der klassischen Friedensbewegung, die eher marginalisiert ist. Foto: Jan Ole Arps

Der russische Einmarsch in die Ukraine hat die Friedensbewegung in Deutschland überrascht. Noch einige Tagen vor der Invasion hieß es in dem Aufruf »Friedenspolitik statt Kriegshysterie«: »Trotz der Militärmanöver in der Nähe zur Ukraine hat Russland kein Interesse an einem Krieg.« Mehr als 10.000 Menschen unterzeichneten das Papier. In den ersten Tagen des rasch eskalierten Krieges mussten sich viele Aktive erst mal sammeln – und erst recht, nachdem SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz eine massive Aufrüstung der Bundeswehr sowie die Lieferung von Waffen an die Ukraine angekündigt hatte. Auf den bald folgenden, oftmals unter Mitwirkung der ukrainischen Community organisierten Großdemonstrationen waren dann zwar Friedensbewegte unterwegs – politisch schienen sie jedoch unterzugehen. Auch wenn von einigen Medien die Proteste als »neue Friedensbewegung« gelabelt wurden, dürften die meisten Teilnehmer*innen eher aus Betroffenheit und Solidarität mit der Ukraine gekommen sein.

Schock überwinden

Nach den ersten Tagen des Schocks entstanden jedoch bald neue Initiativen. Große Aufmerksamkeit bekam ein Online-Appell unter dem Titel »Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!«. Bis Anfang April hatten fast 44.000 Menschen unterschrieben. Die Initiator*innen sind die Linke-Politikerin Julia Schramm, der Soziologe Klaus Dörre, der SPD-Abgeordnete Jan Dieren und Andrea Ypsilanti, SPD-Politikerin und Sprecherin vom Institut Solidarische Moderne. Als Organisationen unterschrieben etwa Attac, medico international und der VVN-BdA. Der Appell vermeidet kontroverse Fragen und konzentriert sich auf Kernforderungen: Die angekündigte Aufrüstung der Bundeswehr wird abgelehnt und die fehlende gesellschaftliche Debatte über die Aufrüstungspläne beklagt. Das Ziel ist offensichtlich, eine möglichst breite Zustimmung zu schaffen und in die Regierungsparteien SPD und Grüne hineinzuwirken.

Auch viele Gewerkschafter*innen haben den Appell unterschrieben – jedoch als Einzelpersonen und nicht als Organisationen. Vorsichtige Kritik hatte es von diesen dabei durchaus gegeben. »Die dauerhafte Aufstockung des Rüstungshaushalts zur Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato wird vom DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften kritisch beurteilt«, erklärte etwa der DGB Anfang März und rief zur Teilnahme an Friedensdemonstrationen auf. »Die Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf einen dauerhaften Anteil von zwei Prozent am Bruttoinlandsprodukt, wie es das Nato-Ziel vorsieht, lehnen wir ab«, heißt es schon deutlicher in einer Resolution des ver.di-Gewerkschaftsrats.

Um genügend Druck aufzubauen, wird es aber mehr brauchen. Die Ostermärsche Mitte April könnten eine Möglichkeit bieten, die Kritik an den Aufrüstungsplänen auch auf die Straßen zu tragen – ob sich Jüngere nun vermehrt für dieses Format begeistern, muss sich zeigen. Bundesweit sind bisher 90 Kundgebungen geplant, meist organisiert von lokalen Friedensgruppen, Kirchen oder linken Politiker*innen. Ein verbreitetes Motto lautet »Die Waffen nieder«. Die Analysen und Forderungen der Aufrufe sind teilweise recht unterschiedlich. Für den Bewegungsforscher Alexander Leistner von der Universität Leipzig spielen beim Grad der Sensibilität dabei auch Ost-West-Unterschiede eine Rolle: »Erklärungen von Vertreter*innen der alten westdeutschen Bewegung wirken wie ein Zeugnis der Hilflosigkeit – unberührt von den Ereignissen fast«, so der Wissenschaftler. Sie seien ein »abstrakter Protest gegen kriegerische Gewalt«, der diesen konkreten Krieg jedoch auszublenden scheine. Vertreter*innen der DDR-Opposition beziehungsweise der ostdeutschen Friedensbewegung hätten dagegen schon vor dem russischen Einmarsch und aus historischer Erfahrung heraus ihre Solidarität mit der Ukraine bekundet und deren Recht auf Selbstverteidigung betont.

Auch darüber hinaus würden Unterschiede sichtbar: Neben den »klassischen Konflikten« zwischen
radikalpazifistischen und eher realpolitischen Positionen haben laut Leistner im Zuge des Krieges die Stimmen eines »einseitig-parteilichen Pazifismus« an Aufmerksamkeit gewonnen, die »vor allem und ausschließlich eine Kriegstreiberei der Nato und des Westens« skandalisieren. »Aber auch die gab es schon immer – etwa aus der DKP und ihrem Umfeld in den 1980er Jahren, dem Kasseler Friedensratschlag oder den SED-Nachfolgeparteien PDS und Linkspartei«, sagt der Forscher.

Neue Bündnisse

Aktionsorientiertere Kriegsgegner*innen scheinen sich derweil eher an der Kampagne Rheinmetall entwaffnen (RE) zu orientieren. Die Aktivist*innen kämpfen schwerpunktmäßig gegen deutsche Waffenexporte und engagieren sich in der Rojava- und Kurdistan-Solidaritätsbewegung. Seit der neuen Eskalation äußern sie sich nun auch in Form von »Kommuniqués« zum Krieg in der Ukraine. Schon lange vor der russischen Invasion hatte RE dazu eine Aktionskonferenz für Ende März in Kassel geplant. Für die dann rund 150 erschienen Teilnehmer*innen spielte erwartbar die neue politische Lage eine wichtige Rolle. Laut einem öffentlichen Tagungsbericht von der Webseite brandfilme.org sei über die »Richtigkeit von Waffenlieferungen heftig diskutiert worden« – die Debatte habe letztlich ergeben, dass die Solidarität mit den Ukrainer*innen nicht zugleich eine weitere Militarisierung bedeuten könne, heißt es.

Abseits von Aktionstagen bleibt die Frage, was man als Bewegung in der akuten Notlage beitragen kann.

Ein Ziel der Konferenz lautete, antimilitaristische mit feministischen, klimapolitischen und antirassistischen Positionen zu verbinden. Ein Vorhaben, das direkt im Anschluss des Treffens erprobt wurde: Ein Bündnis aus Ende Gelände, Rheinmetall entwaffnen, der Interventionistischen Linken, Abolish Frontex und Fridays for Future rief für den 27. März zu einem bundesweiten Aktionstag gegen den Krieg in der Ukraine und die Abhängigkeit von fossilen Energien auf. In Berlin blockierten unter dem Motto »100 Milliarden bessere Ideen« rund 100 Aktivist*innen das mit russischer Kohle betriebene Heizkraftwerk Reuter West, einige drangen auf das Firmengelände vor. In Kassel brachten Aktivist*innen vor dem Hauptsitz des Öl- und Gas-Konzerns Wintershall den Schriftzug »Erdgas tötet« an. Weitere Aktionen gab es unter anderem in Bremen, Rostock, Hamburg, Leipzig und Göttingen.

Rheinmetall entwaffnen dürfte als Bindeglied zwischen der traditionellen Friedensbewegung und der radikalen Linken in Deutschland derzeit eine wichtige Rolle einnehmen – und somit auch bei allen Versuchen, eine breitere, antikapitalistische und zeitgemäße Friedensbewegung aufzubauen. Gerade für eine Zusammenarbeit mit der Klimagerechtigkeitsbewegung scheint es dabei viele Anknüpfungspunkte zu geben. Fridays for Future hatte sich am Klimastreik am 25. März ebenfalls scharf gegen den Krieg positioniert, die Energiefrage spielt im Konflikt eine bedeutende Rolle. Für das RE-Bündnis selbst dürften darüber hinaus die anstehende Hauptversammlung von Rheinmetall sowie der Sommer in Kassel während der Kunstausstellung documenta von Interesse sein. Die Aktionär*innenversammlung des Rüstungskonzerns wird am 10. Mai virtuell abgehalten, die Aktionstage in Kassel finden vom 30. August bis 3. September statt.

Handfeste Hilfe

Abseits von Aktionstagen bleibt die Frage, was man als Bewegung in der akuten Notlage beitragen kann. Antimilitarist*innen aus Norddeutschland blockierten Mitte März in Unterlüß die Hauptzufahrt einer Rheinmetall-Waffenschiede. Viele Linke haben darüber hinaus beschlossen, ganz konkret mit Spenden den emanzipatorischen Kräften in der Ukraine (und in Russland, auch wenn es komplizierter ist) zu helfen. Ein wichtiger Anlaufpunkt ist hierfür die Organisation Operation Solidarity, in der sich antiautoritäre Aktivist*innen und Anarchist*innen vernetzen. Sie koordinieren die ausländische Hilfe, etwa für Menschen auf der Flucht, für bewaffnete anarchistische Einheiten in der Ukraine oder für Projekte der lokalen Basisorganisierung. Das Anarchist Black Cross Dresden hat öffentlich zu Spenden aufgerufen, bis zum 24. März habe man über 170.000 Euro erhalten, heißt es. Die Dresdner Gruppe erklärte dazu, dass man Schutzsuchende mit Reisekosten, Taschengeld und Unterkünften unterstütze und auch Geld für Traumabehandlungen sammele. Dazu gibt es weitere lokale Initiativen: Der Kaffeeverkäufer Café Libertad beispielsweise hat gemeinsam mit dem Fanprojekt St. Pauli Roar nach eigenen Angaben einen Fördertopf zur Soforthilfe eingerichtet, um Fahnenflüchtige und Deserteur*innen aller Seiten zu unterstützen.

Solche Projekte weisen auf einen wichtigen Aspekt hin. Denn wie vielseitig die aktuellen Antikriegs-Protestkundgebungen und Unterstützungsformen auch sein mögen: Es fällt schmerzlich auf, dass die Beziehungen zu ukrainischen, russischen oder generell osteuropäischen Linken in Deutschland sehr spärlich und schwach sind. Ohne diese Perspektive drohen dabei erneut verhängnisvolle Fehler – und ohne funktionierende internationale Netzwerke die Gefahr von leeren Phrasen und wirkungslosen Aufrufen. Ein Erfolg der Antikriegsbewegung wird zudem wohl auch davon abhängen, ob es gelingt, einen neuen ideologischen und politischen Minimalkonsens zwischen den verschiedenen Initiativen zu finden – so, wie es bisher aussieht, ist das kein leichtes Unterfangen.

Sebastian Bähr

ist Journalist. Bis Ende 2021 war er Redakteur der Tageszeitung neues deutschland.

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