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|ak 703 | International

Wir dürfen die Landfrage nicht den Rechten überlassen

Elena und Louise von der französischen Bewegung Die Aufstände der Erde über ihren Kampf gegen Versiegelung, Land- und Watergrabbing

Interview: Inken Behrmann und Valentin Ihssen

Vor rund einem Jahr wurde sie bekannt: Szene der Großdemonstration der Bewegung »Aufstände der Erde« im französischen Saint-Soline, bei der es zu massiver Polizeigewalt kam. Foto: John Malamatinas

Die französische Bewegung Les Soulèvements de la Terre (deutsch: Die Aufstände der Erde) wurde im vergangenen Jahr bekannt, als Zehntausende gegen ein agrarindustrielles Wasserspeicherbecken im westfranzösischen Sainte-Soline demonstrierten. (ak 692) Im März reiste eine Gruppe von Aktivist*innen der Bewegung und ihren Verbündeten mit der Vortragstour »Wasser.Land.Gerechtigkeit« durch Europa. Was können Bewegungen in Deutschland von Die Aufstände der Erde lernen? 

Bevor wir inhaltlich einsteigen, zunächst die Frage: Wie organisiert ihr euch eigentlich?

Elena: In Soulèvements des la Terre (SdT) haben sich verschiedene Kollektive und Einzelpersonen zusammengeschlossen, um sich im Kampf gegen Versiegelung und Landgrabbing gegenseitig Kraft zu geben. Halbjährlich treffen sich 200-300 Menschen aus lokalen Kämpfen, Gewerkschaften, Basisgruppen, autonomen Zusammenhängen, Organisationen und viele andere. Auf diesen Treffen werden die Themen und Aktionsorte der nächsten sechs Monate, der nächsten »Saison«, besprochen und ein Aktionsplan aufgestellt. Dabei ist uns wichtig, dass wir an bereits bestehende lokale Kämpfe anknüpfen, bei denen der Wunsch besteht, dass die SdT dazu kommen, um ihren Widerstand auf die nächste Ebene zu heben.

In Deutschland verbindet man euch euch vor allem mit Kämpfen um Wasser. Warum habt ihr diesen Schwerpunkt gewählt?

Louise: Am Anfang stand Watergrabbing gar nicht so sehr im Mittelpunkt unserer Arbeit. Die lokale Initiative Bassines Non Merci (deutsch: Wasserbecken – nein danke), die schon lange gegen riesige Wasserbecken in Südfrankreich kämpft, kam auf uns zu und bat uns, sie zu unterstützen. Wie bei jedem lokalen Kampf, den wir unterstützen, hat die Begegnung auch uns verändert. Und so ist das Thema Wasser für uns zentraler geworden. Boden und Wasser sind unsere Lebensgrundlagen: Wenn wir das nicht haben, sterben wir ziemlich schnell.

Warum sind diese Wasserrückhaltebecken ein Problem?

Elena: Diese Riesenwasserbecken sind große Aushebungen von etwa zehn Hektar oder mehr. Sie sehen wie riesige Krater aus, die mit Plastikplanen ausgelegt sind. Es wird behauptet, dass damit nur Regenwasser aufgefangen wird, doch das stimmt nicht: Es wird Grundwasser dafür abgepumpt, das in Südfrankreich durch klimabedingte Dürren immer knapper wird. Im Sommer ist das illegal, das ist ganz klar eine Form von Watergrabbing. Das Wasser wird für die Agrarindustrie verwendet, die Unmengen an Wasser für den Maisanbau benötigt, um in der Klimakrise weiterhin produzieren zu können. Das führt beispielsweise dazu, dass ganze Feuchtgebiete austrocknen. Ich spreche vor allem von dem großen Feuchtgebiet in Poitou. Hier im Südwesten von Frankreich soll diese Art der Bewässerung durch Riesenbecken ausprobiert werden. Absehbar ist, dass das eine landesweite Strategie ist und noch viele andere Becken gebaut werden sollen.

Louise: Die Proteste haben sich allmählich aufgebaut. Bei der ersten Demo auf einer Baustelle für Riesenwasserbecken waren 200 Leuten; wir hatten auch Schafe dabei und haben Maschinen außer Gefecht gesetzt. Bei der nächsten Demo sind wir schon mit 3.000 Menschen in die Baustelle, in die Krater hineingelaufen und haben sie völlig entwaffnet. Man muss dazu sagen, dass das eine illegale Baustelle war, ein Krater, den es eigentlich nicht geben durfte. Während einer weiteren Demo sind Rohre ausgegraben und mitgenommen worden, die das Grundwasser in die Wasserbecken pumpen. Auf der größten Demonstration Ende März 2023 in Saint Soline waren 30.000 Personen. Es gab massive Polizeigewalt, Hunderte Verletzte und Traumata; die Demo war medial sehr sichtbar. Bei der letzten Demo wurden auch Hecken gepflanzt. Uns ist es wichtig, dass unsere Aktionen auch immer etwas Positives erzählen.

Wenn wir eine Gegenmacht aufbauen wollen, brauchen wir Nahrungsmittel. Ohne Essen keine Revolution!

Entwaffnung? Bedeutet das für euch Sabotage?

Elena: Wir unterscheiden zwischen den Begriffen Sabotage und Entwaffnung. Bei Sabotage schwingt für uns mit, dass man etwas beschädigt, etwa lebensnotwendige Infrastruktur. Wir aber begreifen diese Infrastruktur als etwas, das das Leben gefährdet. Darum setzen wir es außer Gefecht. Wasserbecken entwaffnen bedeutet, dass die Plane mit Cuttern zerschnitten wird, damit das Wasser wieder in den Boden fließen kann. Drei Wasserbecken sind in den letzten Jahren gebaut worden, aber 17 Becken sind entwaffnet worden; eines davon von uns während der Großdemo, 16 nachts von anderen Kollektiven. So werden unsere Proteste auch ein wirtschaftlicher Faktor für die Unternehmen: Sie müssen sich überlegen, ob sie die Baustellen bewachen oder andere Planen entwickeln, die man nicht zerschneiden kann. Es wird immer teurer für sie und sie denken zweimal darüber nach, ob sie diese Becken weiter bauen wollen.

Was sagen denn die Menschen vor Ort zu diesen Entwaffnungsaktionen?

Louise: Wenn wir Entwaffnungsaktionen machen, dann immer im Rahmen von öffentlichen Demonstrationen, bei denen viele verschiedene Leute zusammenkommen, junge und alte Leute, Leute im Rollstuhl, Leute mit Traktoren. Es geht darum, dass die Aktionen einfach sind, man sie übernehmen kann, sie eine Form des Empowerments sind. Wenn wir abends nach Hause kommen, fühlen wir uns gestärkt und sind froh; wir haben das Gefühl, dass sich zwischen dem Morgen und dem Abend etwas verändert hat. Damit das auch wirklich klar wird: Bei all unseren Aktionen werden die Entscheidungen von denen getroffen, die auch mit den Konsequenzen leben müssen. Manche lokale Gruppe sagt auch, Entwaffnungsaktionen gehen nicht, die Hälfte unserer Nachbar*innen arbeitet für diesen Konzern, das verstehen die nicht. Dann machen wir eben keine Entwaffnungsaktion. Umgekehrt kann es auch sein, dass Leute aus den lokalen Kämpfen weiter gehen wollen als wir.

»Wenn wir für das Land kämpfen wollen, müssen wir zum Land werden«, habt ihr auf einem eurer Vorträge während der Tour gesagt. Was meint ihr damit?

Elena: Wenn wir im Rahmen der SdT zu einer Mobilisierung aufrufen, dann geht das immer von einem lokalen Kampf aus. Und die lokalen Gruppen sind es auch, die die Aktionen organisieren und tragen. Ich glaube, man verteidigt die Orte und Sachen, die einem wirklich etwas bedeuten, am besten. Das kann heißen, dass das ein Ort ist, an dem man aufgewachsen ist oder gewohnt hat, aber das muss nicht so sein. Es muss ein Ort sein, der einem so viel bedeutet, dass man sagt: Nein, niemand darf diesem Ort etwas antun, auf gar keinen Fall! Das gibt einem viel Kraft, man wird alles dafür tun, um diesen Ort zu verteidigen. Die Leute, die sich wirklich stark dafür einsetzen, wie etwa in den Feuchtgebieten bei Poitou, das sind Leute, die den Ort wie ihre Westentasche kennen: Sie können einem die verschiedenen Vogelarten erklären, kennen jeden Fluss, jede*n Landwirt*in. Wir kommen dazu und unterstützen das, aber diesen Bezug dazu, den kann man nicht ersetzen.

Louise: Viele von uns in der Bewegung sind selbst Bauern und Bäuerinnen und haben einen starken Bezug zum Land. Es ist uns wichtig, dass wir die Frage des Landes und des Bodens nicht der rechten Bewegung überlassen. Es gibt viele Möglichkeiten, Regionen zu beleben. Manche betreiben Landwirtschaft, andere leben aber auf andere Weise dort. Es ist wichtig, dass das möglich ist, ohne uns dort zu isolieren und auf rechtes Gedankengut zurückzugreifen.

Wenn wir euch richtig verstehen, stellt ihr das Thema Klima gar nicht so sehr in den Vordergrund eurer Kampagnen. Warum?

Elena: Die Klimafrage ist so groß, so komplex, sie kann nur auf der Ebene des ganzen Planeten angegangen werden, und das erdrückt einen oft. Wenn man diese Herangehensweise wählt, läuft man Gefahr, nur in der Position zu sein, Forderungen an die Regierung zu stellen. Das führt bei vielen zu großer Ohnmacht. Die Frage des Bodens und des Wassers schien uns zugänglicher und näher an den Menschen; sie eröffnet neue Möglichkeiten. Wenn wir eine Gegenmacht aufbauen wollen, brauchen wir Nahrungsmittel. Ohne Essen keine Revolution! Das verstehen auch die Menschen in der Stadt. Wir wollen Infrastruktur und Autonomie auf lokaler Ebene aufbauen, um handlungsfähig zu bleiben – auch in Krisenmomenten.

Wie geht es jetzt bei euch weiter?

Louise: Am 20. und 21. Juli finden internationale Aktionstage in Sainte-Soline statt, der genaue Ort ist noch nicht bekannt. Es wird auch Busse aus Deutschland geben; ihr seid herzlich eingeladen. Ab dem 17./18. Juli sollen alle zu uns ins Camp, ins Wasserdorf kommen, um gemeinsam die Aktionstage vorzubereiten.

Dieses Interview basiert auf einem Gespräch, das für den »Was tun«-Podcast geführt wurde. Eine ausführlichere Version kann in der März-Folge des Podcasts angehört werden. Redaktion des Interviews: Dorothee Häußermann.

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