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Militant für die Umwelt

Die Ökobewegung in Frankreich erlebt mit den Kämpfen gegen industrielle Wasserspeicher ihren vorläufigen Höhepunkt

Von John Malamatinas

Im Tränengasnebel gegen Infrastruktur: Aktivist*innen erwehren sich der Polizei auf einem Feld bei Sainte-Soline. Foto: John Malamatinas

Es ist ein leicht bedeckter Samstagvormittag, als Zehntausende Aktivist*innen in unterschiedlichen Demonstrationen ein selbstorganisiertes Protestcamp neben dem idyllischen Dörfchen Vanzay im Westen Frankreichs verlassen. Ganz vorne im ersten Demonstrationszug wird von Dutzenden Menschen eine große Holzkonstruktion in Form eines Vogels getragen. In einem anderen Zug laufen Tausende in blauen Anzügen, ausgerüstet mit Atemschutzmasken, Schwimmbrillen und selbst gebauten Schutzschildern aus Plexiglas. Als der Zug kurz vor seinem Ziel, der Baustelle des Mega-Wasserbeckens von Sainte-Soline, stehen bleibt, lässt die Staatsmacht Hunderte Tränengasgranaten auf die Protestierende niederregnen. Es bricht eine regelrechte Schlacht zwischen Aktivist*innen und Polizei aus. Die Demonstration schafft es nicht, in den abgesperrten Bereich vorzudringen – aber es brennen fünf Einsatzwagen der Polizei. Die Polizei setzt insgesamt 4.000 Tränengas- und Schockgranaten ein, die für Schwerverletzte sorgen – zwei Aktivist*innen befanden sich noch tagelang nach dem Wochenende im Koma. Die Anzahl der Verletzten beläuft sich auf 200.

Neoliberale Geschäftsmodelle

»Megabassines« sind gigantische Wasserspeicher, die den Bedarf der Agrarindustrie vor allem in den Sommermonaten decken sollen. Es handelt sich um riesige Teiche. Ein »Megabassine« erstreckt sich im Durchschnitt über eine Fläche von acht Hektar – das entspricht etwa zehn Fußballfeldern. Diese »Megabassines«, die von ihren Entwickler*innen offiziell als »Ersatzreserven« bezeichnet werden, sollen im Winter gefüllt werden, damit Großbäuer*innen ihre Monokulturen auch in Dürreperioden und bei starkem Wasserbedarf weiter bewässern können.

Warum wird dagegen protestiert? Erstens werden »Megabassines«, anders als ihre Verfechter*innen behaupten, nicht einfach durch Regenwasser gespeist. Das Wasser muss aus dem Grundwasser oder den Flüssen gepumpt werden. Auch wenn das Pumpen im Winter stattfindet, verringert es die Wasserreserven. Durch die Speicherung von Wasser, das sonst in den Boden sickert oder in Flüsse fließt, entziehen die Teiche den umliegenden Ökosystemen eine lebenswichtige Ressource, die sich während der Wintermonate regeneriert. Dies belastet zudem die Biodiversität, und es profitieren lediglich einzelne Agrarbetriebe. Thierry Bouvet von der Confédération Paysanne (Union der Landwirte) sagt während der Aktion gegenüber ak, dass »die Becken nur neoliberalen Geschäftsmodellen der Agrarindustrie folgen und der dadurch gewonnene Mais für den Massenexport bestimmt ist.« Bouvet ist überzeugt, dass die Bevölkerung gegen die Wasserbecken ist, »die Dürre, die die letzten Jahre Frankreich plagte«, sorgt für einen großen Aufschrei gegen »diese staatlich subventionierten Projekte«.

»Der Kampf gegen die Rentenreform und der Kampf gegen die Ausbeutung des Naturreichtums und des Wassers ist der gleiche.«

Murielle Guilbert

Laut den Veranstalter*innen beteiligten sich 30.000 Menschen an den Protesten. Trotz eines Demonstrationsverbots errichteten Aktivist*innen ein Camp in der Nähe des Bauprojekts. An den Protesten beteiligen sich Landwirt*innen und Aktivist*innen aus ganz Frankreich, mit dabei sind auch linke Gewerkschaften wie CGT und Sud Solidaries. In einer Rede auf der Demonstration betont Murielle Guilbert von Sud Solidaires, dass »der Kampf gegen die Rentenreform und der Kampf gegen die Ausbeutung des Naturreichtums und des Wassers der gleiche ist.«

»Ökoterrorismus«

Im Laufe der Jahre haben sich die lokalen Umweltkämpfe Frankreichs unter dem Aufruf »L’appel des Soulèvements de la Terre« (SLT) (»Der Aufruf zum Aufstand der Erde«) vernetzt, so auch die Aktivist*innen aus dem Département Deux-Sèvres um Sainte-Soline herum. Die Aufrufenden wollen gegen Infrastrukturprojekte kämpfen, die als gefährlich für die Umwelt gelten.

SLT ist eine wachsende Koalition aus Anwohner*innen der Infrastrukturprojekte und linken Kollektiven. Sie beherbergt aber auch Bauernhöfe, Wissenschaftler*innen, Gewerkschaften, autonome Gruppen oder Parlamentarier, die sich unter diesem Banner sehr effektiv organisieren.

Der Innenminister Gérald Darmanin kündigte kurz nach den Ereignissen von Sainte-Soline an, SLT auflösen und verbieten zu wollen. In den Medien entfacht sich einerseits eine Debatte um die Schwerverletzten und die hemmungslose, staatliche Repression, anderseits versucht die Regierung Macron, eine Debatte um »Ökoterrorismus« zu befeuern. In einer Solidaritätserklärung mit SLT, die von über 75.000 Menschen unterschrieben wurde, darunter die Nobelpreisträgerin Annie Ernaux, heißt es: »Die Regierung versucht, eine Doppelstrategie zu verfolgen. Auf der einen Seite geißelt sie Ökoterrorismus, schwarze Blöcke und radikale Umweltaktivisten, die beschuldigt werden, die ›legitimen Bewegungen für den Erhalt des Planeten‹ zu infiltrieren, auf der anderen Seite dreht sie allen Umweltorganisationen, die sich mit Händen und Füßen dafür einsetzen, das ökologische Desaster zu verlangsamen, heimlich den Geldhahn zu.«

SLT hat aber noch viel vor: Ende April finden schon die nächsten Aktionen gegen den Bau der Autobahn 69 in der Region von Toulouse statt. Das Projekt würde 400 Hektar Agrarland, Feuchtgebiete, Wälder und andere Landschaftsformen zerstören. Anfang Mai geht es gegen die Zerstörung eines Waldstücks in Rouen. Im Juni soll es dann Aktionen südlich der Loire in Saint-Colomban gegen die Expansion von Sandgruben geben, die dem Bausektor und der exportorientierten Gemüseindustrie zugutekommen. Wenig später wird in Maurienne gegen den Tunnel, der Lyon mit dem italienischen Turin verbinden soll, mit großer internationaler Beteiligung protestiert, vor allem aus Italien. Das Programm liest sich wie eine Alternative Tour de France – und es sprüht von enormem politischen Selbstbewusstsein, von dem sich manch andere Klimabewegung inspirieren lassen sollte.

John Malamatinas

ist freier Journalist in Berlin, Brüssel und Thessaloniki.