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|ak 697 | Deutschland

»Wir nehmen die Sache wieder selbst in die Hand«

In Berlin startet ein neuer Volksentscheid zur Vergesellschaftung der Wohnungskonzerne – diesmal soll am Ende ein Gesetz stehen, sagt Isabella Rogner

Interview: Jan Ole Arps

Mehrere Menschen mit Masken und lila Westen sitzen auf der Straße und halten ein PLakat hoch, auf dem steht: "Damit Berlin unser Zuhause bleibt"
Nach zwei Jahren Verschleppung durch den Senat reicht es den Leuten von Deutsche Wohnen & Co enteignen: Demnächst werden wieder Unterschriften gesammelt. Foto: Deutschen Wohnen & Co enteignen

Im September 2021 feierte die Berliner Mieter*innenbewegung. Nahezu 60 Prozent hatten für die Enteignung und Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne in der Stadt gestimmt. Seitdem ist nichts passiert, außer dass die Mieten weiter gestiegen sind. Der Senat, der den Beschluss umsetzen sollte? Erklärtermaßen kein Interesse. (ak 691) Jetzt hat die Initiative genug vom Warten und macht einen neuen Anlauf: Mit einem Gesetzesvolksentscheid soll es diesmal klappen mit der Vergesellschaftung. Ob es gelingen kann, die Berliner*innen noch einmal für die Vergesellschaftung zu begeistern und was auf dem Spiel steht, haben wir Isabella Rogner von DWE gefragt.

Ihr habt vor zwei Jahren den Volksentscheid zur Vergesellschaftung von Wohnraum in Berlin mit großer Zustimmung gewonnen. Seitdem wurde das Ergebnis verschleppt, jetzt startet ihr einen neuen Volksentscheid. Was ist das Ziel?

Isabella Rogner: Wir organisieren diesmal einen Gesetzesvolksentscheid. Das ist ein Unterschied zum letzten Mal, als wir einen Beschlussvolksentscheid gemacht haben. Der war zwar politisch, aber nicht rechtlich bindend. Gesetzesvolksentscheid heißt, wir legen einen Gesetzesentwurf vor, darüber wird abgestimmt – und dann tritt es direkt in Kraft. Wir wollen nicht länger auf den Senat warten, der klar gesagt hat, dass er die Vergesellschaftung nicht umsetzen wird.

Und das geht wie?

Wir durchlaufen noch mal alle Phasen: Unterschriftensammlungen, rechtliche Prüfung, am Ende die Abstimmung. Erstmal werden wir jetzt das Gesetz erarbeiten. Wir hoffen, dass wir nächstes Jahr mit der ersten Unterschriftensammlung anfangen können: 20.000 Unterschriften sind es in der ersten Etappe, in der zweiten müssen dann wieder sieben Prozent der wahlberechtigten Berliner*innen unterschreiben, etwa 180.000 Menschen.

Wir reden also über einen Prozess von mehreren Jahren.

Davon gehen wir aus, ja.

Eine FRau spricht in ein Mikrofon
Foto: Kay Herschelmann

Isabella Rogner

ist Sprecherin von Deutsche Wohnen & Co enteignen und aktiv im Kiezteam Tempelhof-Schöneberg. Infos zur Kampagne und darüber, wie man mitmachen kann, gibt es auf dwenteignen.de. Mit einem Crowdfunding will die Initiative 100.000 Euro für die Erarbeitung des Vergesellschaftungsgesetzes sammeln. Wer spenden will, kann das auf www.startnext.com/dwenteignen23 tun.

Du hast gesagt, der Beschlussvolksentscheid war politisch bindend. Warum konnte der Senat ihn trotzdem ignorieren?

Es ist ein demokratischer Skandal, dass ein direktdemokratisches Votum der Berliner Bevölkerung nicht umgesetzt wird. Eine Million Menschen haben für die Vergesellschaftung der Wohnungskonzerne gestimmt. Dass der Senat seinem Auftrag, alle Maßnahmen zu ergreifen, um die Vergesellschaftung umzusetzen, nicht nachkommt, ist demokratieschädigend, und es hat sicher viele Menschen enttäuscht. Aber es gibt kein rechtliches Mittel, wir können es nicht einklagen. Deshalb nehmen wir die Dinge jetzt wieder selbst in die Hand.

Warum glaubt ihr, dass es möglich ist, noch einmal erfolgreich zu mobilisieren? Ist in den letzten Jahren nicht die Skepsis gewachsen, nach dem Motto: Warum soll ich nochmal unterschreiben und abstimmen, wenn es schon beim ersten Mal nicht geklappt hat?

Ja, das haben wir auch intensiv diskutiert und dann auf den Moment der Ankündigung hingefiebert. Tatsächlich erhalten wir enorm viel Zuspruch. Uns erreichen kaum resignierte Rückmeldungen, sondern eher die Rückmeldung: Endlich macht ihr das! Ich denke, das liegt daran, dass 85 Prozent der Berliner*innen zur Miete wohnen. Sie alle erleben täglich, wie sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt nur weiter verschlimmert.

Wenn es nicht klappt mit dem neuen Volksentscheid, besteht dann nicht die Gefahr, dass der Schaden umso größer ist und die Mieter*innenbewegung zurückgeworfen wird?

Wir fordern natürlich weiter, dass der Volksentscheid, der bereits stattgefunden hat, umgesetzt wird. Es ist für uns keine Option zu sagen, das passiert eh nicht. Wir wollten zum Beispiel die Expertenkommission nicht, in die der damalige rotrotgrüne Senat das Problem abgeschoben hat. Wir haben viel Druck für die Umsetzung gemacht, aber als es diese Kommission gab, war klar: Wir werden daran mitarbeiten, einfach wegen der Expertise unserer Leute. Trotz aller Schwierigkeiten gibt es jetzt mit dem Abschlussbericht ein amtliches Dokument, das bestätigt, was wir die ganze Zeit gesagt haben: Es ist rechtlich möglich.

Vergesellschaftung ist der beste Weg, um bezahlbaren Wohnraum zu garantieren, aber auch für die Demokratisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und eine nachhaltige Stadt.

Isabella Rogner

Ihr seht also keine Risiken für einen neuen Anlauf?

Doch, klar. Aber was ist die Alternative? Wir können ja nicht die Hände in den Schoß legen und aufgeben. Vergesellschaftung ist der beste Weg nicht nur, um bezahlbaren Wohnraum zu garantieren, sondern auch für die Demokratisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, für eine nachhaltige Stadt. Ich glaube, dass die Menschen nach wie vor hinter der Forderung stehen.

Zur Ausgangssituation vor dem letzten Volksentscheid gehörte, dass es in Berlin eine sehr aktive Mieter*innenbewegung gab. In den Innenstadtbezirken gab es kaum eine Straße, wo nicht aus irgendeinem Haus ein Transparent mit Forderungen raushing. Sowas sieht man kaum noch, es gibt auch keine großen Demonstrationen der Mieter*innenbewegung mehr. Braucht man da nicht noch andere Strategien jenseits von Volksentscheiden?

Auf jeden Fall. Aber ich glaube nicht, dass es insgesamt weniger Organisierung gibt, sondern dass viele Menschen sich mehr auf lokale Aktivitäten konzentrieren. Ich würde sagen, neben der Vergesellschaftung sind noch viele andere Dinge wichtig, Kampagnen gegen Nebenkosten, gegen Eigenbedarfskündigung, Leerstand zu verhindern und und und. Vergesellschaftung ist ein Marathonprojekt, daneben müssen wir kurzfristig wirksame Antworten auf andere dringende Probleme finden.

Wie wollt ihr verhindern, dass über die Mobilisierung für einen neuen Volksentscheid diese Basisarbeit in den Hintergrund gerät?

In der zweiten Sammelphase und vor allem dann im Wahlkampf wird sicher wieder alle Kraft in den Volksentscheid gehen. Aber bis dahin ist noch viel Zeit. Parallel zur Erarbeitung des Gesetzes, mit dem eine Gruppe bei uns beschäftigt ist, arbeiten viele in der Initiative am Mieter*innen-Organizing, zum Beispiel in einem Projekt mit dem Berliner Mieterverein, in dem wir Leuchtturmsiedlungen in fünf Bezirken organisieren wollen. Daneben gibt es Aktivitäten von den Kiezteams, die Hausgemeinschaften unterstützen, sich zu organisieren. Wieder zu dieser Stärke zu kommen, die wir aus 2021 in Erinnerung haben, funktioniert nur durch langfristigen Aufbau von unten.

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Was sind Leuchtturmsiedlungen?

Das sind fünf Siedlungen, in denen wir gezielt aktiv werden. Für mein Kiezteam ist das eine Vonovia-Siedlung in Mariendorf. Wir hatten dort bereits Kontakte, das ist ein wichtiges Kriterium beim Organizing. Wir haben viele Haustürgespräche geführt, um im Gespräch mit den Mieter*innen herauszufinden, was ihre Probleme in der Siedlung sind. Gerade sind natürlich Nebenkosten ein großes Thema, und bei Konzernen wie Vonovia wissen wir auch, dass sie gern Abzocke damit betreiben. Wir haben also angefangen, Kontaktdaten zu sammeln, eine Kerngruppe aktiver Mieter*innen zu bilden, und machen jetzt regelmäßig große Mieter*innenversammlungen. In dieser Siedlung fordern Mieter*innen jetzt Einsicht in die Nebenkostenbelege, um sich gegen falsche Abrechnungen zu wehren. Darüber hinaus geht es darum, eine starke Hausgemeinschaft zu bilden, um gemeinsam gegen den Vermieter*innen zu bestehen. Oft werden solche Kämpfe ja eher politisch als juristisch gewonnen. Ähnliche Projekte gibt es noch in vier weiteren Bezirken.

Das heißt, es sind weiterhin in vielen Stadtteilen Kiezteams aktiv?

Eigentlich in allen. Die Aktivitäten in den letzten Jahren waren natürlich nicht so groß wie der Wahlkampf für den Volksentscheid 2021, aber lokal ist viel passiert. Darauf können wir jetzt aufbauen. Allein beim Kiezteam Tempelhof-Schöneberg haben sich in den letzten zwei Wochen zehn Menschen gemeldet, die aktiv mitmachen wollen.

Schon vor dem ersten Volksentscheid habt ihr diskutiert, ob ein Gesetzesvolksentscheid besser wäre. Damals hat sich die Kampagne bewusst dagegen entschieden mit dem Argument, die Gefahr, dass der wegen eines juristischen Detailfehlers einkassiert wird, ist zu groß. Was ist jetzt anders?

Zum einen haben wir in den letzten fünf Jahren viel Expertise hinzugewonnen. Auch die juristische Fachdebatte hat sich stark weiterentwickelt, und der Abschlussbericht der Kommission hat auch einiges geklärt. Der Artikel 15, der die Vergesellschaftung ermöglicht, ist ja noch nie angewendet worden, es gibt keinen Präzedenzfall. Das bedeutet, dass es zum Beispiel noch keine Erfahrung gibt, auf welche bestehenden Gesetze man Bezug nehmen muss, da muss sehr viel ausgelotet werden. Mit diesem Wissen werden wir jetzt das Gesetz in Zusammenarbeit mit einer Kanzlei erarbeiten, die einen verfassungsrechtlichen Schwerpunkt hat, und mit einem wissenschaftlichen Beirat aus juristischen und wohnungswirtschaftlichen Disziplinen. So wollen wir größtmögliche Rechtssicherheit schaffen.

Worum ging es bei der juristischen Fachdiskussion, um die Frage, ob die Vergesellschaftung verfassungskonform ist?

Nein, verfassungskonform ist es auf jeden Fall. Die Frage ist eher, wie macht man das konkret? Verstößt es gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, nicht profitorientierte Unternehmen wie Genossenschaften von der Vergesellschaftung auszunehmen? Fallen Wohnungen unter den Vergesellschaftungsartikel? Zu diesen Fragen hat sich die Expertenkommission in ihrem Abschussbericht ausführlich geäußert und geklärt, dass das alles möglich ist.

Wie geht es jetzt weiter, wie kann man sich an der Mieter*innenbewegung oder direkt bei euch beteiligen?

Da gibt es ganz viele Möglichkeiten! Man kann in die Kiezteams kommen, ein Neuen-Treffen besuchen, uns direkt schreiben – auf unserer Website findet man alle Kontaktadressen. Wer gerade nicht so viel Zeit, aber etwas Geld übrig hat, kann für unser Crowdfunding spenden, mit dem wir die Gesetzeserarbeitung finanzieren, oder einfach die frohe Botschaft verbreiten, dass es weiter geht. Was Mieter*innenproteste allgemein angeht: Als erster Schritt lohnt es sich immer, mit der eigenen Hausgemeinschaft ins Gespräch zu kommen. Von Tür zu Tür gehen, Nachbar*innen kennenlernen, sich über Probleme austauschen und dann eine Hausgruppe aufbauen. Und natürlich schauen, was es vor Ort an Initiativen gibt, und andere lokale Proteste unterstützen. Da gibt es eigentlich immer was.

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.

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