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Den industriellen Rückbau wagen

Chemie, Glas und Papier: Wer das Energieniveau senken will, muss sich mit den ökologischen Bilanzen von Branchen beschäftigen

Von Christian Hofmann und Klaus Meier

Kann das weg? Chemiewerk in Brunsbüttel. Foto: ChemCoast

Der Angriffskrieg des Putin-Regimes gegen die Ukraine hängt eng mit den russischen Exporterlösen aus Gas, Kohle und Öl zusammen. Nicht zuletzt dadurch hat hierzulande eine Diskussion eingesetzt, wie man diese fossilen Energieträger ersetzen kann. Die Bundesregierung versucht allerdings nur, schnellstmöglich fossile Ersatzlieferungen zu erhalten. »Weniger Energie wagen« lautet daher treffend der Artikel von Christopher Olk und Tatjana Söding in ak 681. Sie gehen davon aus, dass effektive Sanktionen und die sich dramatisch zuspitzende Klimakrise die Frage aufwerfen, ob das derzeitige Niveau des Energieverbrauchs nicht gesenkt werden sollte. 

Statt der bürgerlichen Leier vom individuellen Verzicht schlagen sie einen anderen Ausweg vor: »Eine gerecht verteilte, demokratisch geplante auf einzelne Sektoren zielende Reduktion des Energieverbrauchs«. Ein zentraler Gedankengang, der in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Allerdings müsste dieser Vorschlag dringend konkretisiert werden, um ernsthaft gesellschaftlich Gehör zu finden. Nur aus einer Beschäftigung mit den einzelnen Industriezweigen sowie ihren energetischen bzw. ökologischen Bilanzen kann eine gangbare Perspektive entwickelt werden, die zunächst programmatisch skizziert werden müsste.

Für die meisten Linken wäre dies weitestgehend Neuland. Bisher hat man sich zumeist auf die alten Politikkonzepte verlassen und aktuelle ökologische Fragestellungen einfach zusätzlich ins Repertoire aufgenommen. Das Eiltempo, in dem die derzeitigen Krisen verschmelzen, und die drohenden Kipppunkte im Erdsystem sollten indes zu einem Umdenken führen. Die Frage nach möglichen Produktionsverhältnissen muss unbedingt mit der Frage nach Produktionsmengen und deren Ausgestaltung verknüpft werden. In diesem Artikel sollen einige Ideen formuliert werden, die allesamt den Vorteil haben, dass sie zumindest von der technischen Seite her schnell umsetzbar wären.

Die Abkehr vom Öl durch eine konsequente und schnelle Verkehrswende ist dabei vermutlich der Punkt, der am greifbarsten erscheint und auf Vorarbeiten und Kampagnen zurückgreifen könnte. Bürgerliche Umweltorganisationen wie Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe (DHU) haben darauf hingewiesen, dass ein drastisches Tempolimit und autobahnfreie Sonntage im Handumdrehen zu massiven Öleinsparungen führen würden. Auch ein Verbot von Kurzstreckenflügen und eine Kontingentregelung fürs Fernfliegen wären ohne weiteres schnell umsetzbar. Weitere Instrumente, die auf eine dauerhafte Rücknahme des ressourcenfressenden Autoindividualverkehrs zielen, wären ein dauerhafter Nulltarif im ÖPNV und ein gemeinschaftliches Carsharing-Angebot auf dem Lande. Eine weitere Maßnahme wäre die Einführung von kostenfreien Shuttle-Bussen für den Weg zur Arbeit. Insbesondere große Unternehmen könnten dazu verpflichtet werden. Die während der Corona-Pandemie eingeführten Popup-Bikelanes in den Großstädten haben zudem gezeigt, dass sie den Autoverkehr reduzieren können. Eine verpflichtende Verallgemeinerung dieser Maßnahmen könnte diese Effekte noch verstärken. Alle genannten Punkte ständen natürlich gegen die Interessen der Auto- und Flugzeugindustrie.

Abkehr vom Öl

Ähnlich wie beim Öl sieht es beim Erdgas aus. Deutschland bezieht große Mengen Gas aus Russland. Die deutsche Regierung will zwar eine Abkehr von diesen Lieferungen, weigert sich aber beharrlich, einen generellen Gasausstieg anzugehen. Stattdessen will sie eine neue Gasinfrastruktur für den Import von Flüssiggas aus anderen Ländern errichten. Wenn sie einmal stünde, hätte sie aber vermutlich über Jahrzehnte Bestand. Die Errichtung neuer und fester LNG-Terminals würde die Idee der Gasnutzung als Brückentechnologie für den Übergang zu Erneuerbaren komplett ad absurdum führen. Angesichts der Klimakatastrophe führt aber kein Weg an einer Reduktion des Gasverbrauchs vorbei. Wenn man einen Blick auf die Gasgroßverbraucher wirft, stechen sofort die Wärmeerzeugung der Haushalte und einige Industriebranchen ins Auge. Eine nichtfossile Wärmeerzeugung lässt sich nur langfristig durch eine Sanierung der Häuser erreichen, kombiniert mit einer massiven Einführung von Wärmepumpen bzw. von städtischen Wärmenetzen. Die verschiedenen Bundesregierungen verschleppen diese Maßnahmen seit Jahren. Schneller wirken könnte der Rückbau einiger Industriebranchen, die ihre Technologie bequem auf billiges russisches Gas ausgerichtet haben, um ökologisch schädliche und überflüssige Produkte herzustellen. Dazu gehören Teile der Chemie-, der Papier- und der Glasbranche.

Der mit Abstand größte industrielle Gasverbraucher ist die Chemiebranche. Diese nutzt einen Teil des Gases als Rohstoff für Plastik und Dünger und einen anderen als Brennstoff zur Herstellung von Strom und Dampf für chemische Prozesse. Dass wir hierbei auch von unabkömmlichen Produkten für die Elektronik oder die Pharmaindustrie sprechen, kann nicht geleugnet werden. Aber welchen Umfang nehmen diese ein? Augenfällig ist, dass der größte Teil des eingesetzten Erdgases und Rohöls stofflich und energetisch für die Herstellung von Kunststoffen genutzt wird. Und davon gehen wiederum 35 Prozent in die Produktion von Verpackungen, 22 in den Bausektor und zwölf Prozent in den Automobilbereich. Der Bereich der Verpackungen ließe sich allein durch eine gesetzlich verankerte Pfandpflicht für Behälter von Shampoos, Reinigungs- oder Waschmittel schnell und deutlich reduzieren. Dazu müsste es eine Material-, eine Etikettierungs- und Formvereinheitlichung geben. Mehrfachverpackungen wären grundsätzlich zu verbieten. 

Ein Rückbau der ökologischen Destruktionskräfte wird mit dem Kapitalverhältnis insgesamt kollidieren.

Auch das ließe sich sehr schnell umsetzen. Entsprechende Maßnahmen könnten die Basis für eine Kunststoff-Kreislaufwirtschaft bilden, die auf eine Mehrfachnutzung und später auf ein Werkstoffrecycling setzt. Am Ende könnten dann die Kunststoffreste zu einem Pyrolyseöl verarbeitet werden, das wiederum der Ausgangspunkt für einen neuen Kreislauf wäre. Im Bausektor müsste insgesamt viel mehr mit Naturstoffen gearbeitet werden wie Holzbau und Dämmmaterial aus Pflanzenfasern. Der Kunststoffeinsatz in der Automobilbranche könnte durch das generelle Zurückdrängen des individuellen motorisierten Verkehrs reduziert werden. 

Neben der Chemie- ist auch die Papierbranche ein Energiefresser mit extrem hohem Gasbedarf. Interessant dabei ist, dass hier die Sparte der Verpackungen mittlerweile fast 60 Prozent der gesamten Produktion ausmacht, Tendenz steigend. Eine wesentliche Ursache ist die explosionsartige Zunahme des Online-Handels. Hier müsste hinterfragt werden, ob die Gesellschaft tatsächlich einen Großteil des Konsums in individuell verpackten Paketen zugeschickt bekommen möchte. Auch die Frage der Nützlichkeit von nicht adressierten Werbesendungen, die ungefragt die Briefkästen und Hauseingänge vermüllen, stellt sich in Punkto Papierverbrauch.

Bliebe die Glasbranche als ein weiterer Gasgroßverbraucher. Die Argumentation der Hersteller: Glas wird in großen Wannen geschmolzen und unmittelbar weiterverarbeitet, wobei die Anlagen nicht erkalten dürfen. Dem Argument kann wiederum mit einer drastischen Gesamtreduktion widersprochen werden, welche insgesamt weniger Glasanlagen zur Folge hätte. Ganze 60 Prozent der Produkte bestehen aus Behälterglas, sprich Getränkeflaschen und Gläsern für Nahrungsmittel wie Marmelade, Konserven und dergleichen. Ähnlich wie beim Plastik müsste es umgehend eine konsequente Normierung der Behältertypen für eine Mehrfachnutzung (Pfandpflicht) geben, natürlich ohne Ausnahmen. Die derzeitige Form der Einmalnutzung ist trotz Glasrecycling eine unglaubliche und unnötige Energieverschwendung.

Positive Dominoeffekte

Schon bei diesen Beispielen wird deutlich, wie schnell sich ein positiver Dominoeffekt ergeben würde, wenn man einmal mit dem Rückbau erster Industrien beginnen würde. Wer es schafft, die Automobilindustrie zurückzufahren, bewirkt damit sofort auch eine Reduktion von energieintensiven Chemie-, Glas- und Metallproduktionen. Maßnahmen gegen den Verpackungswahnsinn würden ebenfalls zu einer Absenkung der primären energieverbrauchenden Industrien führen. Bemerkenswert ist, dass viele der in diesem Artikel genannten Beispielen zügig umsetzbar wären. Auch den Lebensstandard würden unsere Beispiele nicht negativ berühren, außer eventuell gewisse Bequemlichkeiten bei der Verkehrswende. Letztere würden dafür durch eine bessere Gesundheit und damit erhöhte Lebensqualität aufgewogen werden. Ein industrieller Rück- und Umbau könnte technisch sehr schnell begonnen werden und müsste gesellschaftlich und sozial keineswegs bedeuten, sich auf Subsistenzwirtschaft und Gemüseanbau zurückzuziehen. Das Problem ist ein anderes: Eine Schrumpfung bzw. ein Rückbau widerspricht diametral dem Akkumulationszwang der kapitalistischen Produktionsweise.

In der ökosozialistischen Diskussion wurde dieser Widerspruch bereits gut herausgearbeitet, ebenso in einigen Degrowth-Debatten im angelsächsischen Raum. Wichtig ist hier allerdings, sich nicht abstrakt auf das Wort Wachstum einzuschießen. Ökolandbau und Fahrradproduktion sollen natürlich weiterwachsen und die Gesundheitsvorsorge und der gesamte soziale Bereich müssten ausgeweitet, nicht kaputt gespart werden. Andere Teile der Produktion dagegen müssten perspektivisch um- und rückgebaut werden, wie dies hier nur an einigen schnell umsetzbaren Maßnahmen exemplarisch gezeigt wurde. Dazu bräuchte es zunächst eine Ausarbeitung und Debatte um eine grundsätzliche und weiterführende ökosozialistische Degrowth-Strategie. 

Wer es mit dem Umbau der Produktion ernst meint, wird schnell mit den Eigentümern der Industrien kollidieren.

Wer es aber mit einem Umbau der Produktion ernst meint, wird schnell mit den Eigentümern und Anteilseignern der entsprechenden Industrien kollidieren. Diese werden nicht müde, sich als Vertreter der Allgemeinheit aufzuspielen und auf zusammenbrechende Lieferketten und die gefährdeten Arbeitsplätze zu verweisen. Richtig daran ist zumindest, dass eine bleibende Absenkung der Produktionsmenge keine rein technische Angelegenheit ist, sondern dass sie soziale und damit die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einschließt. Richtig ist ebenfalls: Das Arbeitsvolumen insgesamt, zumindest dauerhaft betrachtet, würde sinken. Unter gegebenen strukturellen Voraussetzungen haben die Lohnabhängigen deshalb tatsächlich zunächst ein unmittelbares Interesse daran, ihre Tätigkeiten aufrechtzuerhalten, und seien diese noch so energieintensiv und gesellschaftlich nutzlos. Aus diesem Dilemma kann entkommen, wer die Frage nach einem geringeren gesamtgesellschaftlichen Arbeitsvolumen positiv wendet und eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung in den Mittelpunkt der Umbauprogrammatik rückt.

Auf kurz oder lang würde jede gesellschaftliche Aktion, die auf einen Rückbau der ökologischen Destruktionskräfte und die Neuverteilung der gesamtgesellschaftlichen Arbeit zielt, mit dem Kapitalverhältnis insgesamt kollidieren. Die Frage, wer von welchen Interessen geleitet würde, läge dann aber auf dem Tisch – und damit zwangsläufig die Eigentumsfrage. Dauerhaft lässt sich der Stoffwechsel mit der Natur tatsächlich nur rational regeln, wenn die assoziierten Produzent*innen sich die Produktionsmittel aneignen und durch gesellschaftliche Planung die kapitalistische Profitmaximierung überwinden.

Christian Hofmann

veröffentlichte gemeinsam mit Philip Broistedt »Goodbye Kapital« (2020) und »Planwirtschaft« (2022).

Klaus Meier

ist Ingenieur und Hochschuldozent.