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|Thema in ak 693: Endet die US-Hegemonie?

Bidens America First Program

Unter dem Deckmantel der Klimapolitik soll der Inflation Reduction Act den Abstieg der USA verlangsamen

Von Guido Speckmann

Autos, Hotels, beleuchtete Billboards und Stromleitungen in einer US-Stadt bei Abendlicht
Das soll alles so weitergehen, aber mit regenerativer Energie. Der Inflation Reduction Act ist eine grün angehauchte, nationalistische Form der Industriepolitik. Foto: Kornelia Kugler

Als »größtes, wichtigstes und ehrgeizigstes Klimagesetz aller Zeiten« pries US-Präsident Joe Biden im November auf der Weltklimakonferenz im ägyptischen Sharm El-Sheikh den Inflation Reduction Act (IRA). Und damit liegt Biden nach verschiedenen Einschätzungen nicht einmal falsch – auch wenn der Name des Gesetzes eine ganz andere Stoßrichtung verspricht. Tatsächlich enthält der IRA weitreichende Schritte hin zu einer Wirtschaft, die weniger Treibhausgase ausstoßen könnte. Fast 370 Milliarden US-Dollar sollen in den nächsten zehn Jahren in die Förderung von erneuerbaren Energien, CO2-reduzierenden Technologien und Wasserstoffprojekten fließen. Mit Steuergutschriften wird der Kauf von E-Autos subventioniert, allerdings nur, wenn sie überwiegend in den USA montiert worden sind. So viel Geld hat noch kein Staat für Klimaschutzmaßnahmen in die Hand genommen. Bidens erklärtes Ziel ist es, aus dem Rust Belt, dem deindustrialisierten ehemaligen Zentrum der Schwerindustrie, einen Battery Belt für die Elektrifizierung der Wirtschaft zu machen.

Der IRA wurde Mitte August letzten Jahres vom US-Kongress verabschiedet und von Präsident Biden unterzeichnet. Das insgesamt 738 Milliarden US-Dollar schwere Investitionsprogramm ging aus dem sogenannten Build-Back-Better-Gesetz hervor, das wiederum Elemente des im Wahlkampf insbesondere von linken Demokrat*innen geforderten Green New Deal aufgegriffen hatte. So enthält der IRA neben Klimaschutzmaßnahmen auch sozialpolitische Reformen. Mit 64 Milliarden US-Dollar sollen das Gesundheitssystem unterstützt und eine Reihe von Medikamenten subventioniert werden. Zudem sieht das Gesetz eine konsequente Mindestbesteuerung von 15 Prozent für Großunternehmen, die Schließung von Steuerschlupflöchern und eine Modernisierung der Steuerverwaltung vor. Arbeitnehmer*innenrechte sollen gestärkt werden, und es wird erwartet, dass der IRA zahlreiche Arbeitsplätze schaffen wird.

Unrealistische Prognosen

Unabhängige Studien gehen davon aus, dass die IRA-Maßnahmen die Treibhausgasemissionen der USA bis 2030 um bis zu 42 Prozent unter das Niveau von 2005 senken werden. Ohne IRA wären es maximal 35 Prozent. Doch das reicht nicht aus, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Hinzu kommt, dass diese Reduktionszahlen, die von den meisten Politiker*innen und Medien begierig aufgegriffen wurden, in Zweifel zu ziehen sind, weil sie von Annahmen ausgehen, die höchst unwahrscheinlich sind. 

Bidens erklärtes Ziel ist es, aus dem Rust Belt, dem deindustrialisierten ehemaligen Zentrum der Schwerindustrie, einen Battery Belt für die Elektrifizierung der Wirtschaft zu machen.

So müsste es bei den sogenannten Kohlenstoffabscheidungs-Technologien, die ebenfalls durch den IRA gefördert werden, einen erstaunlichen Wachstumsschub geben. Das jedoch ist eine Wette auf eine ungewisse Zukunft. Denn bis dato haben Investitionen in diese Technologien die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen können. Und Forscher*innen bezweifeln, dass diese Techniken überhaupt einen nennenswerten Beitrag zur Abmilderung des Klimawandels leisten können. Des Weiteren bedeutet der IRA keineswegs den Ausstieg aus den fossilen Energien. Im Gegenteil: Er sieht auch den weiteren Ausbau der fossilen Energiewirtschaft vor. 

Die klimapolitischen Elemente des IRA werden deshalb hervorgehoben, weil sie einerseits eine Reaktion auf den internationalen öffentlichen Druck sind, endlich etwas gegen die Klimakrise zu tun. Ihre Wirkung auf die tatsächlichen Reduktionen ist jedoch weit übertrieben, weil sie der Illusion aufsitzen, ein grüner Kapitalismus könne durch Effizienzsteigerungen, Elektrifizierung und den Ausbau erneuerbarer Energien das Wirtschaftswachstum vom Naturverbrauch und Emissionsanstieg entkoppeln. (Auf dieser Illusion beruhen übrigens auch die linken Vorstellungen eines Green New Deal, die in der keynesianischen Tradition die ökologischen Grenzen nicht ausreichend berücksichtigen.) Andererseits haben Teile der politischen Eliten in den USA wie in der EU und in China begriffen, dass der Umbau der fossilen Produktionsstrukturen tatsächlich das Gebot der Stunde ist – nicht zuletzt weil grüne Kapitalfraktionen und Vermögensverwalter wie Blackrock darin eine Quelle neuer Profitgenerierung sehen.

Und damit kommen wir zum Kern des IRA. Der Name, der die Inflationsbekämpfung in den Mittelpunkt stellt, ist ebenso irreführend wie die Klimapolitik, die in der öffentlichen Kommunikation im Mittelpunkt steht. Der wahre Name der IRA sollte sein: Make America Great Again Act. Denn nichts anderes als das, was sich Donald Trump zum Ziel gesetzt hat, ist auch das Ziel der Demokrat*innen und ihres Präsidenten Biden: den wirtschaftlichen Bedeutungsverlust der USA im kapitalistischen Weltsystem zumindest abzumildern. Und das geht einher mit einer Abkehr von wirtschaftspolitischen Ideen und Vorstellungen, die während der neoliberalen Globalisierung prägend waren: Freihandel, (partieller) Rückzug des Staates und Liberalisierung. Nun stehen Zölle, Exportstopps und Sanktionen, mithin protektionistische und staatsinterventionistische Prinzipien, hoch im Kurs. 

Grün kaschierter Kampf um Vormachtstellung

Der Unterschied zwischen Biden und seinem Vorgänger: Er hat verstanden, dass der weitere Abstieg der USA nicht durch eine einfache Rückkehr in die Vergangenheit erreicht werden kann. Nicht die Wiederbelebung des Rust Belt, sondern die Umwandlung des Rust Belt in einen Battery Belt und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Erneuerbaren-Energien-Branche stärkt die USA im Kampf um die wirtschaftliche Vormachtstellung mit China. Wer den Wettbewerb um die grüne Technologieführerschaft gewinnt, hat die besten Chancen auf eine hegemoniale Rolle im Weltsystem.

Brian Deese, Chef des Nationalen Wirtschaftsrats der Biden-Administration, hat die industriepolitische Philosophie der US-Regierung auf den Punkt gebracht. Da China derzeit zwei Drittel der weltweiten Solarpaneele und Lithium-Ionen-Batterien liefere, sei der Wettbewerb mit dem Reich der Mitte das Maß aller Dinge. Und dafür werden auch »nicht-marktwirtschaftliche« Methoden eingesetzt. Der Staat soll eine »katalytische Rolle« spielen, um »Marktversagen oder Hemmnisse zu überwinden«. Freilich geht es dabei nur um staatliche Anschubfinanzierungen, die Gewinne sollen die Konzerne dann wie gewohnt selbst einstreichen.

Auch nicht-marktwirtschaftliche Methoden sind willkommen, um im Wettbewerb mit China zu bestehen.

Insofern sind die Vorwürfe aus dem durch den IRA aufgeschreckten Europa nicht ganz unbegründet: Von einem »grünen Tump« ist die Rede oder von einer Wirtschaftspolitik nach chinesischem Vorbild. Doch sie sind wohlfeil, verschweigen sie doch eigene Subventionen. Und sie drücken die Furcht aus, dass europäische Konzerne durch die Buy-American-Klauseln im IRA ins Hintertreffen geraten (nach jüngsten Meldungen scheint sich hier ein Kompromiss abzuzeichnen). Die linke Publizistin Angela Nagle kommt sogar zu dem Schluss: »Biden setzt staatlich gelenkte industrielle Entwicklung, Protektionismus, subventionierte Produktionsverlagerung und Handelskriegsstrategien aggressiver und effektiver ein als Trump.« (The New Statesman, 18.3.2023)

Der IRA ist somit als grün angehauchte, durchaus nationalistische Form der Industriepolitik zu verstehen. Und er reiht sich ein in zwei weitere Gesetzespakete der Biden-Administration: den CHIPS and Science Act vom August 2022, der insgesamt 280 Milliarden US-Dollar in Forschung, Entwicklung, Produktion und Subventionierung von Halbleitern investieren soll. (Parallel dazu hat die US-Regierung einen Exportstopp von Halbleitern und Techniken zur Produktion von Chips nach China erlassen.) Und in den Infrastructure Investment and Jobs Act vom November 2021, mit dem über eine Billion US-Dollar in die Verkehrsinfrastruktur, in den Ausbau von Breitband, sauberes Wasser sowie die Erneuerung des Stromnetzes investiert werden sollen. 

Der US-amerikanische industriepolitische Schwenk steht dabei nicht allein. Global ist im Zuge der Ablösung der neoliberalen Globalisierung durch eine imperiale Geopolitik eine Rückbesinnung auf industriepolitische Rezepte zu beobachten. Rückbesinnung deshalb, weil Staaten ihren Aufstieg in die Elite der kapitalistischen Ordnung historisch immer durch Protektionismus und Industriepolitik erreicht haben, was die liberale Wirtschaftslehre gerne unter den Tisch fallen lässt. 

Der Beginn der neuen industriepolitischen Epoche wird meist mit Chinas 2015 verkündetem Plan »Made in China 2025« festgemacht. Ziele des Plans: Stärkung der Binnenkonjunktur, Investitionen in ausländische Hochtechnologiefirmen und durch Förderung und Entwicklung von Industriezweigen China zu einem Konkurrenten um die weltweite Technologieführerschaft machen. Die EU reagierte 2020 mit dem »Green Deal« und die USA jüngst mit den erwähnten Gesetzen, die für die nächsten zehn Jahre insgesamt rund zwei Billionen US-Dollar an öffentlichen Mitteln vorsehen, um die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft, Innovation und industrielle Produktivität zu steigern. 

Ob sie das Ziel erreichen, den Niedergang der USA aufzuhalten, ist fraglich. Realistischer erscheinen Handelskriege um die besten Verwertungsbedingungen für grünes Kapital und die Eskalation des Konflikts mit China um Taiwan.

Guido Speckmann

ist Redakteur bei ak.

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