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|Thema in ak 681: Internationalismus heute

»Wir brauchen eine autonome Friedens­politik von unten«

Ein Zurück zum alten Internationalismus, der auf Nationalstaaten und Parteien gründete, gibt es nicht, sagt Isabella Consolati von der Plattform Transnational Social Strike. Aber was stattdessen?

Interview: Jan Ole Arps

Ein Mann schaut in eine Blechkabine, im Vordergrund eine leere Marktbude, im Hintergrund ein prunkvolles Gebäude, möglicherweise ein historisches Rathaus oder Casino
Statt sich auf die Seite Putins oder der Nato zu schlagen, muss die Linke sich transnational organisieren, sagt Isabella Consolati. Nur wie? Foto: Philipp Fröhlich

Der russische Angriff auf die Ukraine hat erschreckende politische Defizite der Linken offengelegt. Zwischen geostrategischen Betrachtungen des Krieges als Konfrontation imperialistischer Blöcke und den praktischen Hilfsinitiativen für Menschen, die aus der Ukraine fliehen, ist politisch weitgehend Leere. Die Plattform Transnational Social Strike (TSS) versucht seit einigen Jahren, die gemeinsame Organisierung über Grenzen hinweg anhand der Idee des Streiks wiederzubeleben. Seit Ende März hat sie mit der »Ständigen Versammlung gegen den Krieg« ein Forum für politische Diskussion zwischen Linken aus West- und Osteuropa geschaffen. Isabella Consolati berichtet von den Diskussionen und erklärt, wie eine transnationale Friedenspolitik von unten entstehen könnte. Sie lebt in Bologna.

Internationalismus und Internationale Solidarität ist die älteste Idee der Linken und der Arbeiter*innenbewegung – heute ist er extrem schwach, obwohl die Welt globalisiert ist wie nie.

Isabella Consolati: Ja, die Globalisierung hat den Internationalismus geschwächt.

Wie das?

Der Internationalismus der Arbeiter*innenbewegung entstand aus der Idee, dass die kapitalistischen Verhältnisse über nationale Grenzen hinausgehen, dass sie nur durch die internationale Organisation der Arbeiter*innen revolutioniert werden können, auch weil Krieg und Nationalismus in erster Linie die Arbeiter*innenklasse betreffen. Er beruhte auf politischen Beziehungen zwischen nationalen Organisationen, die auf relativ homogenen, nationalstaatlich geregelten Lebens- und Arbeitsbedingungen basierten. Die Globalisierung hat diese Bedingungen verändert. Das Kapital hat eine transnationale Logistik für Produktion und Vertrieb geschaffen und macht sich die Unterschiede bei Löhnen und Arbeitsrechten zunutze, um seine Profite zu steigern. Menschen bewegen sich ebenfalls über Grenzen hinweg wie nie zuvor; auch die Reproduktion des Lebens ist heute eng mit der Mobilität der Arbeitskräfte verbunden. Man denke nur an die Hunderttausenden Migrantinnen, die auf der Basis von arbeitsbezogenen Aufenthaltsgenehmigungen Haushalts- und Pflegedienstleistungen erbringen.

Zudem beruhte der traditionelle Internationalismus der Arbeiter*innenbewegung auf der Existenz von kommunistischen oder sozialistischen Parteien, die auf nationaler Ebene organisiert waren. Heute ist dieses Organisationsmodell nicht mehr tragfähig. Es gibt auch kein Zurück dorthin. Die eigentliche Frage ist also, wie man stabile, produktive Verbindungen zwischen Kollektiven, Netzwerken und Basisgewerkschaften herstellen kann, die wahrscheinlich nicht akzeptieren werden, sich in einer Partei zusammenzuschließen. Deshalb ist es wichtig, über den Internationalismus hinauszugehen und die transnationale Perspektive als ein grundlegendes Problem der Organisierung anzunehmen.

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Selbst innerhalb von Europa gibt es nur wenig gemeinsame Bezugspunkte – gerade zwischen Genoss*innen in Ost- und Westeuropa. Dabei liegt Berlin, die Hauptstadt des mächtigsten Landes der Europäischen Union, nur wenige Kilometer von der polnischen Grenze entfernt.

In den letzten Jahren haben sich soziale Bewegungen stärker mit der zentralen Rolle, die die EU für unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen spielt, auseinandergesetzt. Es gab erste Erfahrungen mit transnationalen Mobilisierungen, etwa bei den Blockupy-Protesten gegen die Europäische Zentralbank und die europäische Austeritätspolitik. Die Grenze dieser Perspektive bestand darin, dass sie die EU als Institution mit einer Art Kommandozentrale betrachtete. Dass die EZB ihren Sitz in Frankfurt am Main hat, bestärkte angesichts der führenden Rolle, die Deutschland in der EU spielt, diese Perspektive. In den letzten Jahren hat sich die EU aber in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen Zentralisierungsversuchen und dem Widerstand der Mitgliedsstaaten neu organisiert.

Was genau meinst du?

2015, während der durch die Migration aus Syrien ausgelösten politischen Krise der EU, gab es Versuche, die Migrationspolitik und die Steuerung der Migrationsbewegungen zu zentralisieren. Das haben einige Mitgliedstaaten entschieden abgelehnt. Auch der Streit zwischen der EU und den östlichen Ländern in Bezug auf grundlegende demokratische Rechte – Frauenrechte, LGBTQI+-Rechte etc. – ist ein Beispiel für diese Spannung. Europa kann nicht auf seine »Kommandozentralen« oder seinen institutionellen Rahmen reduziert werden. Transnational zu denken bedeutet, die Perspektive zu wechseln: Statt Osteuropa als Peripherie zu betrachten, müsste es eher als der Ort begriffen werden, an dem mit Arbeitsverhältnissen, die keinen Zugang zu sozialen Rechten gewähren, und mit der Kombination von Neoliberalismus und Konservatismus experimentiert wurde. Das bedeutet auch anzuerkennen, dass die Kämpfe, die in den letzten Jahren in Mittel- und Osteuropa stattgefunden haben, für die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Westen relevant sind. Das ist der Grund, warum das erste Treffen der Transnational Social Strike Plattform 2015 in Poznan, Polen, stattfand.

Wer ist beim Transnational Social Strike aktiv, und was ist das Verbindende in eurer Arbeit?

Unsere Plattform besteht aus Aktivist*innen, Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen aus verschiedenen Ländern, die in jeweils eigenen Initiativen aktiv sind, aber an einer gemeinsamen politischen Strategie arbeiten wollen. Dazu gehört, die transnationalen Verbindungen aufzuzeigen, die in unseren jeweiligen lokalen Kämpfen enthalten sind, und gemeinsame Forderungen zu finden. Zum Beispiel die Forderung nach einer europäischen Aufenthaltsgenehmigung, unabhängig von Einkommen, Arbeitsvertrag oder Familie. Als TSS unterstützen wir diese Forderung, weil sie eine Möglichkeit bietet, sowohl dem tödlichen europäischen Grenzregime als auch dem institutionellen Rassismus entgegenzutreten, der Aufenthaltsgenehmigungen an Arbeit und Arbeitgeber knüpft. Ein weiteres Thema in den letzten Jahren war die Frage, wie wir gegen Lohnunterschiede innerhalb Europas kämpfen und einen tatsächlich gleichen Lohn für alle fordern können, die in Europa arbeiten. Bei beiden Forderungen geht es darum, die Einheit über unterschiedliche nationale Bedingungen hinweg zu stärken und auf die Hierarchien zu reagieren, die den europäischen Raum durchziehen.

Wie läuft die transnationale Organisierung ab, ganz praktisch?

TSS arbeitet mit einer Kombination aus transnationalen Treffen – bisher in Poznan, Berlin, London, Paris, Ljubljana, Stockholm, Tiflis; das nächste findet vom 8. bis 11. September in Sofia statt –, regelmäßigen Onlinetreffen, einer Mailingliste und einer Website. Natürlich hat die Pandemie es schwieriger gemacht, transnationale Verbindungen aufzubauen. Die Versammlung in Sofia ist nach zwei Jahren erzwungener Distanz ein wichtiger Schritt, um den Kontakt zu vertiefen. Wir beteiligen uns außerdem an gemeinsamen Organisierungen von Arbeiter*innen, Frauen, LGBTQI+ und Migrant*innen in ganz Europa und darüber hinaus.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel am Prozess der Amazon Workers International, einer Initiative von Amazon-Beschäftigten aus Unternehmensstandorten in Europa und den USA. Sie hat Streiks und Kampagnen rund um die gemeinsamen Forderungen nach Beendigung von Zeitverträgen und nach gleicher Bezahlung organisiert. Daran haben sich Arbeiter*innen aus Amazon-Lagern in verschiedenen Ländern beteiligt. In jüngerer Zeit haben wir an der Gründung der Transnational Migrants Coordination mitgearbeitet, einem Netzwerk von Migrant*innenkollektiven, das Aktionen gegen institutionellen Rassismus, Pushbacks und die Ausbeutung von Migrant*innen in Fabriken, Lagern, in der Landwirtschaft und in Privathaushalten organisiert hat. Außerdem haben wir die Gründung des E.A.S.T.-Netzwerks – Essential autonomous struggles transnational – unterstützt, in dem sich Feministinnen hauptsächlich aus Mittel- und Osteuropa, aber auch darüber hinaus, organisieren. Das Netzwerk konzentriert sich auf die unverzichtbare, essenzielle Arbeit, wie sie sich während der Pandemie herauskristallisiert hat. Es kämpft dafür, alle Frauen zusammenzubringen, insbesondere Migrantinnen aus osteuropäischen oder Nicht-EU-Ländern, die mit ihrer essenziellen und entwerteten Tätigkeit die Sorgearbeit in den Länder im Westen am Laufen halten. E.A.S.T. hat sich an der feministischen Streikbewegung beteiligt und gegen die harten patriarchalischen Gegenangriffe der letzten Jahre gekämpft. Am 8. März hat E.A.S.T. zum »Streik gegen den Krieg« als unerträglichste Manifestation patriarchaler Gewalt aufgerufen.

Die Linke wird von der vermeintlichen Alternative zerrieben, die der Krieg ihr aufdrängt: sich entweder auf die Seite Putins oder der Nato zu schlagen.

Wie wirkt sich der Krieg in der Ukraine auf eure Arbeit aus?

Ich denke, er wird massive langfristige Folgen für die Möglichkeiten autonomer Organisierung haben. Kurzfristig verschärft er die Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse, die wir bekämpfen. Er tötet Tausende Menschen und zerstört ihre Lebensgrundlagen, er setzt patriarchale Hierarchien und Rollenbilder gewaltsam durch: Männer sollen tapfer als Soldaten kämpfen, Frauen werden als machtlose Opfer behandelt. Das nationalistische Vokabular des Krieges macht es scheinbar unmöglich, die Fronten zu überschreiten und genau die Spaltungen zu überwinden, die unsere gemeinsamen Kämpfe schwächen. Länder wie Georgien, Polen, Moldawien oder Rumänien sind wegen ihrer Nähe zur Ukraine und ihrer unmittelbaren wirtschaftlichen Verflechtung sowohl mit der Ukraine als auch mit Russland von den Sanktionen und den massiven Fluchtbewegungen betroffen. Die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine sind Frauen. Das wirft nicht nur die Frage auf, wie sie jetzt untergebracht werden, sondern auch, wie auf ihre Arbeitskraft zugegriffen werden wird. Eine ethnische Segmentierung des Pflegearbeitsmarktes oder ein verstärkter Wettbewerb zwischen Migrant*innengruppen aus verschiedenen Ländern muss auf jeden Fall verhindert werden. Der Krieg in der Ukraine verändert auch die Migrationspolitik der europäischen Staaten, die Aufnahmekriterien für Menschen aus der Ukraine aufstellen, die für nichteuropäische Geflüchtete und Migrant*innen nicht gelten.

Ende März habt ihr eine internationale Online-Versammlung gegen den Krieg organisiert. Wer hat teilgenommen, und wie diskutiert ihr über einen linken Standpunkt in Kriegszeiten?

An dem Treffen haben mehr als hundert Menschen teilgenommen, aus der Ukraine, Russland, Bulgarien, Polen, Georgien, Rumänien, Moldawien, der Tschechischen Republik, Griechenland, aber auch aus Italien, Großbritannien, Deutschland und den USA. Wir unterstützen die ukrainische Bevölkerung, die unter Beschuss steht, indem wir Solidaritätsinitiativen an der Basis unterstützen, zum Beispiel gegen die rassistische Verwaltung der Flüchtenden und die rassistischen Hierarchien, die sie unter Migrant*innen produziert. Wir versuchen, alle Formen des Widerstands gegen den Krieg sichtbar zu machen, auch der russischen Bewegungen, die in den Medien kaum vorkommen. Natürlich gibt es viele Initiativen, die nicht an der Versammlung teilgenommen haben, die ähnliche Dingen tun. Aber wir denken, dass es im Moment besonders wichtig ist, einen transnationalen Raum für politische Kommunikation zu schaffen. Das ist im Grunde das Ziel unserer Aktivitäten: lokale oder nationale Initiativen miteinander in Diskussion zu bringen darüber, wie wir den Widerstand gegen den Krieg zu einem gemeinsamen politischen Projekt machen. Das ist der Grund, weshalb die Versammlung nun als »Ständige Versammlung gegen den Krieg« weitermacht, das nächste mal am 9. April.

Ihr fordert eine transnationale Friedenspolitik. Was heißt das konkret?

Das müssen die Diskussionen der Ständigen Versammlung gegen den Krieg noch ergeben. Als TSS haben wir einige Säulen vorgeschlagen. Für uns bedeutet »Frieden« nicht »sozialer Frieden«. Wir erkennen an, dass wir Frieden brauchen, um die Kämpfe gegen Patriarchat, Kapitalismus und Rassismus zu führen. Krieg macht es den Menschen unmöglich, über ihr Leben zu entscheiden. Eine transnationale Friedenspolitik heißt, dass wir uns als Frauen, Arbeiter*innen und Migrant*innen die Möglichkeit erarbeiten, uns gegen die Brutalität des Krieges und seine Folgen Gehör zu verschaffen. Konkret bedeutet das unter anderem, nicht in das geopolitische Spiel einzusteigen, das wir weder bestimmen können noch wollen. Es ist nicht die Zeit, sich mit der Politik von Staaten oder Nationen zu identifizieren. Wir können über die Gründe für den Krieg diskutieren, aber das politische Problem, vor dem wir stehen, besteht darin, uns auf die Seite derer zu stellen, die unter dem Krieg leiden, in der Ukraine, aber nicht nur dort. Es geht darum, die Fronten des Krieges zu überwinden und eine gemeinsame politische Sprache gegen den Krieg und damit auch gegen seine Auswirkungen außerhalb der Schlachtfelder zu finden.

Wie nehmt ihr die westliche Linke in Bezug auf den Krieg in der Ukraine wahr? Gibt es einen großen Unterschied zwischen linken Positionen aus West- und Osteuropa?

Schwer zu sagen. Mein Eindruck ist, dass die »westliche Linke«, wenn es sie denn gibt, zersplittert ist wie nie zuvor. Allgemein kann man vielleicht sagen, dass die »Linke« von der vermeintlichen Alternative zerrieben wird, die der Krieg ihr aufdrängt: sich entweder auf die Seite Putins oder der Nato zu schlagen. Teile der Linken und der sozialen Bewegungen im Westen bestehen auf der Notwendigkeit, mit dem Atlantizismus zu brechen – bis zum Wahn, Putin als Verbündeten, weil Hauptgegner der Nato, zu sehen. Dabei übergehen sie, dass nicht die Nato die Ukraine bombardiert, sondern Putin. Andere fordern ein starkes, autonomes Europa als demokratische Alternative zu zwei unterdrückerischen Regimen, ohne zu bedenken, wie sich Europa durch seine Grenzpolitik konstituiert hat, auch indem es die Ukraine auf ein Reservoir von Arbeitsmigrant*innen reduziert, die in Fabriken oder Privathaushalten unter extrem ausbeuterischen Bedingungen schuften.

Es geht nicht so sehr um die Frage, ob wir uns auf die Seite der Entscheidungen unserer jeweiligen Staaten stellen, sondern darum, wie wir die Menschen, die in der Ukraine Widerstand leisten, auf die uns mögliche Weise unterstützen.

Beiträge wie die der georgischen Genoss*innen in der Ständigen Versammlung gegen den Krieg sind aus meiner Sicht entscheidend, weil sie, ausgehend von ihrer eigenen Erfahrung, einen Perspektivwechsel erzwingen: Sie kennen Russland als Aggressor, gleichzeitig lebt das Land vom wirtschaftlichen Austausch mit Russland, von den Überweisungen von dort. Die gegen Russland verhängten Sanktionen haben bereits verheerende Auswirkungen auf die georgischen Arbeiter*innen, schüren außerdem den antirussischen Nationalismus. Sie können sich weder auf die Nato noch auf ein Europa verlassen, das mit seinem Integrationsversprechen die schlimmsten neoliberalen Politiken legitimiert hat.

Die Herausforderung besteht genau darin, diesen aufgezwungenen Alternativen zu entkommen und eine andere Perspektive einzunehmen, die von den Auswirkungen dieses Krieges sowohl auf die Menschen in der Ukraine ausgeht als auch auf all jene Arbeiter*innen, Migrant*innen, Frauen und LGBTQI+, die nicht bereit sind, den Preis für diesen Krieg zu zahlen. Wir stehen also nicht nur auf der Seite der Menschen in der Ukraine, die nun zur Flucht gezwungen sind, sondern auch auf der Seite derjenigen, die in Russland von den Sanktionen betroffen sind und bereits jetzt darum kämpfen müssen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, oder die in Georgien von den Überweisungen von Verwandten in Russland abhängig sind.

Vieles, was auf abstrakter Ebene gut klingt, wird schwierig, sobald es konkreter wird. Die Linke in Deutschland hat bisher keine Antworten auf die politischen Fragen gefunden, die sich aus dem Krieg ergeben: Sanktionen ja oder nein? Waffenlieferungen ja oder nein? Etc. Wir sind gegen die Aufrüstung der Bundeswehr, gegen deutsche Rüstungskonzerne, die an Waffenexporten verdienen. Unsere Genoss*innen in der Ukraine betonen aber, dass sie jetzt Waffen brauchen. Wie geht ihr mit solchen Fragen in eurer Plattform um?

Ja, über diese Widersprüchen zerbrechen sich Linke in vielen Ländern gerade den Kopf. Man kann nicht leugnen, dass der ukrainische Widerstand legitim ist und dass es sich aktuell notwendig um bewaffneten Widerstand handeln muss. Das gilt selbst dann, wenn wir gegen eine weitere Militarisierung und das Geschäft mit dem Krieg sind. Der Widerspruch lässt sich nicht auflösen. Wir können die Menschen, die in der Ukraine Widerstand leisten, unterstützen, aber wir können ihnen nicht die Waffen liefern, die sie brauchen. Die europäischen Länder und die Vereinigten Staaten werden Waffen in die Ukraine schicken, völlig unabhängig von unserer Haltung dazu. Das gleiche gilt für Sanktionen.

Es geht also nicht so sehr um die Frage, ob wir uns auf die Seite der Entscheidungen unserer jeweiligen Staaten stellen oder nicht, sondern darum, wie wir die Menschen, die in der Ukraine Widerstand leisten, auf die uns mögliche Weise unterstützen. Mit anderen Worten, es geht um eine realistische Bestimmung davon, was wir tun können und was nicht. Darüber zu diskutieren, ob wir Waffen in die Ukraine schicken sollten, wenn niemand um unsere Erlaubnis dazu bitten wird, ist Zeitverschwendung. Genauso wäre es lächerlich, bestimmen zu wollen, wie die Ukrainer*innen Widerstand leisten sollen. Aber es gibt noch eine andere Ebene der Diskussion, die durch diese Art Fragen verdeckt wird, und die betrifft unsere kollektive Fähigkeit, im Krieg eine autonome politische Haltung einzunehmen. Das ist es, was die Ständige Versammlung gegen den Krieg erreichen will.

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.

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