Zur politischen Ökonomie des Sudankrieges
Noch immer machen sich westliche Staaten zu Komplizen der Völkermörder – auch Deutschland verdient und schaut weg
Von Roman Deckert
Als die Rapid Support Forces (RSF) Ende Oktober die Stadt El Fasher in der westsudanesischen Region Darfur eroberten, konnte die Weltöffentlichkeit ihre Kriegsverbrechen quasi in Echtzeit verfolgen. RSF-Kämpfer ermordeten massenhaft unbewaffnete Zivilist*innen, filmten sich dabei und luden die Videos auf Social-Media-Plattformen hoch. Ergänzt wurden die Schreckensbilder noch von den Berichten Überlebender, die sich in die Flüchtlingslager von Tawila, etwa 70 Kilometer südlich von El Fasher, retten konnten. Zwei Wochen nach dem Fall der Hauptstadt von Nord-Darfur hält das Blutbad dort offenbar an. Analyst*innen des Humanitarian Research Lab an der Yale University gehen davon aus, dass die Zahl der Todesopfer mittlerweile in die Zehntausende geht. Das Ausmaß des Horrors überrascht nicht. Es erfolgt nach klaren Ansagen und etablierten Mustern der Angreifer.
Nun wäre es angesichts der unfassbaren Brutalität ein Leichtes, die Massenmörder als teuflische Monster zu dämonisieren. Doch das würde den Blick auf die Ursachen und globalen Zusammenhänge des Krieges verstellen. So weist die sudanesische Aktivistin Raga Makawi, die an der London School of Economics zur politischen Ökonomie am Horn von Afrika forscht, darauf hin, dass in vielen RSF-Videos die Täter nicht nur ihre Gegner*innen erniedrigen, sondern sich auch über historische Ungerechtigkeiten seitens des sudanesischen Staates beklagen. Dabei geht es vor allem um den Mangel an Repräsentation ihrer sozialen Gruppen, die in den marginalisierten Peripherien leben, und die Dominanz der traditionellen Eliten-Netzwerke im Zentrum des Landes, vor allem in der Hauptstadt Khartum.
Dieser Minderwertigkeitskomplex – und das Bemühen, ihn durch rassistische Überlegenheitsideologie und enthemmte soldatische Männlichkeit zu kompensieren – liegt auch bei RSF-Anführer Muhammad Hamdan Dagalo alias »Hemedti« auf der Hand. Gebildete Sudanes*innen aus der Khartumer Blase und in der Diaspora, die sich mit klangvollen Universitätsabschlüssen schmücken, machen sich nur zu gern lustig darüber, dass Hemedti nicht einmal die Grundschule absolvierte und als Analphabet gilt. Seinen sozialen Aufstieg bestritt er zunächst als Kamelhändler bzw. -dieb, dann als talentierter Feldherr der genozidalen Janjaweed-Milizen bei der Bekämpfung just jener Rebellen, die sich später an die Seite der regulären Sudanese Armed Forces (SAF) stellten.
Echo des Kolonialismus
Diese Marginalisierung der Peripherien ist auch und vor allem ein Erbe des Kolonialsmus. Zu Beginn der 1920er Jahre bildete sich im Sudan eine egalitaristische Bewegung gegen die britisch-ägyptische Fremdherrschaft, das sogenannte White Flag Movement, das in allen Landesteilen und Bevölkerungsschichten Anhänger*innen fand. Ausdruck des inklusiven Ansatzes war die Tatsache, dass auch ein ehemaliger Sklave aus dem Südsudan zum engsten Führungskreis gehörte. Die britisch dominierte Kolonialmacht ließ die weitgehend friedliche Volkserhebung 1924 blutig niederschlagen und setzte stattdessen eine Elite aus dem Niltal nördlich von Khartum in Schlüsselpositionen ein, deren Dynastien und Handelsnetzwerke die Geschicke des Landes seit der Unabhängigkeit von 1956 bestimmt haben.

Der Hass, den Hemedti mobilisiert, hat seine Basis auch in den Ungerechtigkeiten, die dieses auf dem Teile-und-herrsche der Kolonialherrschaft aufsetzende System produziert hat. Hemedti tritt indes nicht als Befreier, sondern als Zerstörer auf. Im Gegensatz zu ihm hatte etwa John Garang, der Mitgründer und langjährige Anführer des Sudan People’s Liberation Movement (SPLM, manchmal auch SPLA genannt, Sudan People’s Liberation Army), während der Rebellion im Südsudan und in den Nuba-Bergen in den 1980er Jahren eine politische Vision ausformuliert: In einem säkularen und demokratischen »New Sudan« sollten die bis dahin diskriminierten Bevölkerungsteile endlich Mitspracherecht erhalten. Dieses Szenario starb mit Garang, der sich lange marxistisch gab und auch im Norden eine große Anhänger*innenschaft begeistern konnte, aber kurz nach dem Friedensschluss von 2005 bei einem mysteriösen Hubschrauberabsturz ums Leben kam.
Der Hass, den RSF-Anführer Hemedti mobilisiert, hat seine Basis auch in den Ungerechtigkeiten, die das auf koloniale Hierarchien aufsetzende System im Sudan produziert hat.
Hemedti hat immer wieder versucht, in Garangs Fußstapfen zu treten und sich als Rächer der Entrechteten zu inszenieren. Doch mit Blick auf seine genozidale Vergangenheit als Janjaweed-Kommandeur und speziell seine Rolle bei der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung in Khartum 2019 verfängt dieser Versuch eines Rebrandings bei kaum jemandem. Dennoch haben sich einige Rebellengruppen, die seit langem gegen Khartum gekämpft hatten, der Alternativregierung angeschlossen, die Hemedti vor kurzem ausgerufen hat. Bemerkenswerterweise gehört dazu auch die SPLM-North von Abdelaziz al-Hilu aus den Nuba-Bergen, wo die Regierungsarmee SAF in den 1990er Jahren einen Völkermord anrichtete. Die SPLM-North war nach der Unabhängigkeit Südsudans entstanden und blieb weiter auf dem Gebiet Sudans aktiv. Der Kölner Orientalist Navid Kermani hat al-Hilu in seinem Ende 2024 erschienenen Buch »In die andere Richtung jetzt« noch als eine Art sudanesischen Mandela porträtiert. Diese Romantisierung eines Warlords ist denkbar schlecht gealtert.
Bei all den innersudanesischen Rassismen, die den vermeintlichen Gegensatz zwischen »Arabern« und »Nicht-Arabern« befeuern, ist es wichtig, in der Analyse nicht selbst in völkische Erklärungsmuster von Stammesauseinandersetzungen à la Karl May zu verfallen. Entscheidend ist vielmehr die Tatsache, dass diese teils aus Kolonialzeiten rührenden, teils hausgemachten Konflikte in einem globalen Kontext stattfinden.
Gold und Waffen
Im Sudan erlangen nur noch jene Akteure Zugang zu Macht und Ressourcen, die eine schlagkräftige Miliz um sich sammeln können. Der Haupttreibstoff dieses Krieges ist auf beiden Seiten das Gold, für dessen reiche Vorkommen das Gebiet des heutigen Sudans schon zu pharaonischen Zeiten berühmt war. Sowohl die RSF und ihre Verbündeten wie SPLM-North als auch die Regierungsarmee SAF finanzieren sich durch den Verkauf des Edelmetalls an das Emirat Dubai, eines der Emirate der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), das für diesen Handel eine Art Monopolstellung in der gesamten Region hat. 2024 importierten die VAE nach offiziellen Angaben 29 Tonnen Gold aus dem Sudan, also von Seiten der SAF, sowie von RSF-Seite 18 Tonnen aus dem Tschad und neun Tonnen aus Libyen. Die Dunkelziffer des Schmuggelgoldes dürfte noch weit höher liegen.
Ein Großteil dieses Blutgolds wird wiederum in der Schweiz gewaschen, die sich sonst gerne als Friedensmacht darstellt. Erst Anfang November berichtete das Hilfswerk Swissaid, dass die Eidgenossenschaft allein zwischen Januar und September dieses Jahres 316 Tonnen Gold im Wert von 27 Milliarden Schweizer Franken (ca. 29 Milliarden Euro) aus den VAE importiert hat. Dieses gehe fast ausschließlich an die Raffinerie Valcambi im Tessin, die für ihren besonders intransparenten Umgang mit der ursprünglichen Herkunft des Edelmetalls berüchtigt ist. Auch der Rohstoffhändler Glencore, in der Schweizer Steueroase Zug ansässig, hat den Konflikt indirekt angeheizt, indem er einen korrupten Öldeal mit Sudans westlichem Nachbarland Tschad abschloss. Dank der Bestechung eines Mittelsmannes verdiente Glencore üppig und trieb den Tschad in den Ruin. Auch deshalb verkaufte sich das Regime in N’Djamena als Drehscheibe für den Nachschub an die RSF und ihren Hauptunterstützer VAE.

Dass die VAE die wichtigsten Unterstützer der RSF und damit auch die Hauptkriegstreiber sind, bestreitet – außer RSF-und VAE-Propagandist*innen – niemand ernsthaft. Die VAE handeln zum einen aus geostrategischen Motiven wie der Konkurrenz zum übermächtigen Nachbarn Saudi-Arabien, dem damit verbundenen Streben nach Kontrolle über Häfen am Roten Meer und Märkte im afrikanischen Hinterland sowie, um Zugang zu den landwirtschaftlichen Ressourcen des Sudans zu erhalten. (ak 702)
Zum anderen kommt man aber nach Einschätzung von vielen, die sich intensiv mit den Verhältnissen in den Golfmonarchien beschäftigen, auch hier nicht darum herum, Hybris, Größenwahn und toxische Männlichkeit in die Analyse einzubeziehen, denn allein mit den Kategorien des zwischenstaatlichen Wettstreits um hegemoniale Ansprüche ließen sich die massiven Waffenhilfen für die völkermordenden RSF nicht erklären. Auch der von den VAE beschworene Kampf gegen den Islamismus ist bei näherer Betrachtung eine Farce, denn die Emiratis zeigten keinerlei Skrupel bei ihren Geschäften mit dem islamistischen Regime des 2019 gestürzten Langzeitdiktators Omar al-Baschir.
»Freunde Deutschlands und Europas«
Vor diesem Hintergrund ist es bezeichnend, dass bislang keine westliche Regierung bereit ist, öffentlich Kritik an den VAE zu üben. Das gilt auch und besonders für die Bundesrepublik Deutschland, die eine besondere historische Verantwortung an der Militarisierung des Sudans trägt, weil sie in den Jahren nach der Unabhängigkeit in einem Stellvertreterkrieg mit der DDR überhaupt erst die SAF zu einem Staat im Staate hochrüstete.
Heute exportiert Deutschland zwar keine Waffen mehr direkt in den Sudan, dafür umso mehr in die Golfmonarchien. 2024 genehmigte die Ampelkoalition Lieferungen im Umfang von fast 150 Millionen Euro an die VAE, den wichtigste Unterstützer der RSF. Der SAF-Hauptsponsor Saudi-Arabien wiederum erhielt grünes Licht für Rüstungskäufe in ähnlichem Umfang. Noch nach der Abwahl der Ampel war aus dem noch grün geführten Auswärtigen Amt zu hören, man dürfe mit den emiratischen Partnern nur hinter verschlossenen Türen über das Thema sprechen, um diese nicht zu brüskieren.
Direkt nach dem Fall von El Fasher ist nun die neue Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Serap Güler (CDU), von Port Sudan in die VAE geflogen. Und hat diese prompt als »Freunde Deutschlands und Europas« gepriesen und die »strategische Partnerschaft« mit ihnen bekräftigt. »Dubai ist wie du« ist aktuell ein Slogan, mit dem die Tourismusagentur der Glitzermetropole die VAE als spätkapitalistisches Ideal bewirbt. Nichts könnte die westliche Komplizenschaft mit den Hintermännern der Völkermörder von Darfur besser auf den Punkt bringen.