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Kronkolonie der Konterrevolutionäre

Das sudanesische Darfur ist die Beute einer neoliberalen Privatarmee – und ihrer Förderer in den Arabischen Emiraten

Von Roman Deckert

Nahaufnahme eines Militärtransporters am Boden. Auf dem Flugzeug auf arabischer und lateinischer Schrift die AUfschrift "Luftstreitkräfte"
Verbündeter mit Freifahrtschein: Die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen seit Beginn des Krieges die verbündeten RSF. Foto: Kurush Pawar / Flickr , CC BY-SA 2.0 Deed

Im medialen Schatten des Gazakrieges wütet im Sudan seit bald einem Jahr ein verheerender Machtkampf zwischen der Armee und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF). Mit derart katastrophalen Folgen, dass es sich mittlerweile um die größte humanitäre Krise der Welt handelt.

Seit Beginn im April 2023 sind nach Angaben der Vereinten Nationen über acht Millionen Menschen durch die Kämpfe vertrieben worden, darunter rund drei Millionen Kinder. Fast vier Millionen waren bereits zuvor Vertriebene im eigenen Land. Knapp zwei Millionen sind in Nachbarländer geflohen, vor allem aus der Westregion Darfur in den Tschad, nach Ägypten und den gleichfalls kriegszerrütteten Südsudan. Hinzu kommen Hunderttausende Geflüchtete aus Äthiopien, Eritrea und Südsudan, aber auch aus Palästina und Syrien, die teilweise seit Jahrzehnten im Sudan waren und nun auch diese Zuflucht verloren haben. Die sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen durch die RSF-Krieger hat unvorstellbare Dimensionen erreicht.

Das Forschungsprojekt ACLED sieht es derweil als belegt an, dass über 14.000 Menschen getötet und mehr als 26.000 verwundet wurden. Die Dunkelziffer dürfte freilich weitaus höher liegen, wie auch jüngst Volker Türk betonte, der UN-Hochkommissar für Menschenrechte. So heißt es in dem geleakten Bericht einer Gruppe unabhängiger Experten*innen, die vom UN-Sicherheitsrat mit der Überwachung des für Darfur geltenden Waffenembargos mandatiert ist, dass die RSF im November 2023 bei »ethnischen Säuberungen« in El Geneina, der Hauptstadt des Teilstaats Westdarfur, und umliegenden Orten insgesamt bis zu 15.000 Menschen massakriert haben könnten.

Noch schockierender werden die Statistiken, wenn man diejenigen einbezieht, die ihr Leben durch Kriegsfolgen verloren haben, insbesondere durch den weitgehenden Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Dieses war nach drei Jahrzehnten der Privatisierung durch das islamistische Regime von Omar Al Baschir, der 2019 nach einem Volksaufstand von Armee und RSF gestürzt wurde, ohnehin bereits in einem desolaten Zustand. Rund 80 Prozent aller Krankenhäuser sind mittlerweile außer Betrieb.

Darüber hinaus droht die weltweit größte Hungersnot, wie das Welternährungsprogramm warnt. Denn nachdem die RSF-Milizen den größten Teil von Darfur, von der Hauptstadt Khartum und kürzlich auch das südlich davon gelegene Agrarzentrum des Landes um die Stadt Wad Medani erobert haben, ist die landwirtschaftliche Produktion fast komplett zum Erliegen gekommen. Mehr als 25 Millionen Menschen, über die Hälfte der Gesamtbevölkerung, sind bereits akut auf humanitäre Hilfen angewiesen. Doch die internationale Staatengemeinschaft hat andere Prioritäten: 2023 wurden von den 2,9 Milliarden US-Dollar, die internationale Hilfsorganisationen als Bedarf veranschlagt hatten, kaum 40 Prozent bewilligt. Für 2024 sind gerade einmal 108 Millionen US-Dollar zugesagt.

Starlink-Terminals und PR-Agenturen

Die humanitären Bemühungen werden noch dadurch erheblich erschwert, dass seit Februar die Mobilfunknetze in den RSF-Gebieten abgeschaltet sind. Dank des Satellitennetzwerks Starlink von Multimilliardär Elon Musk sind die Milizionäre selber allerdings weiterhin online. So ist etwa aus El Geneina zu hören, dass sie die Starlink-Terminals nicht nur für die eigene Kommunikation nutzen, sondern auch als Internetanbieter für zusätzliche Geschäfte. Zudem steht den RSF offenbar hoch entwickelte Überwachungstechnik zur Verfügung. Nach Recherchen der israelischen Zeitung Haaretz erhielten sie diese 2022 von Intellexa, einem auf Zypern ansässigen Unternehmen eines israelischen Ex-Geheimdienstoffiziers, das wegen seiner Abhörsoftware Predator berüchtigt ist.

Die RSF können trotz Protesten ungestört ihre Propaganda auf Musks Plattform X verbreiten.

Zur gleichen Zeit können die RSF trotz Protesten ungestört ihre Propaganda auf Musks Plattform X verbreiten, um sich als revolutionäre Kraft in der Tradition des Volksaufstandes von 2019 gegen die Armee und deren islamistische Verbündete zu stilisieren. Journalisten wie Mirco Keilberth, der von Tunis aus für deutsche Zeitungen schreibt, berichten zudem von PR-Agenturen mit Sitz in Dubai, die die marodierenden RSF und ihren Anführer, General Mohammed Dagallo alias Hemetti, in einem staatstragenden Licht erscheinen lassen wollen. Unter den Sudanes*innen, die unter den systematisch plündernden und vergewaltigenden Zerstörern leiden, haben sie dabei keinerlei Erfolgsaussichten. Für ausländische Potentaten, die sich mit Hemetti arrangieren wollen, können die zynischen Narrative hingegen das nötige Mindestmaß an Legitimation vorgaukeln, wie Hemettis kürzliche Treffen mit ostafrikanischen Regierungschefs zeigen.

Fly Emirates

Unstrittig ist, wer Hauptunterstützer von Hemetti und seiner Privatarmee ist: die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) unter Scheich Mohamed bin Zayed, die international dank Sportswashing und Luxus-Tourismus ein Hochglanzimage pflegen. Der besagte UN-Bericht der unabhängigen Expert*innen bestätigte das offene Geheimnis, dass die VAE seit Kriegsbeginn eine Luftbrücke im entlegenen Ort Amdjarass im Tschad unterhalten, um den Nachschub an Waffen und Munition für die RSF sicherzustellen. Der libysche Analyst Jalel Harchaoui bezeichnet das Verhältnis zwischen dem Regime in Abu Dhabi und Hemetti als »transaktionell«, wobei die VAE von den westlichen Staaten einen Freifahrtschein bekommen. Im Gegensatz zum traditionellen Staatsapparat mit seinen schwerfälligen Institutionen sei Kriegsunternehmer Hemetti ein probater Partner, um den Hegemonialinteressen der VAE in der Region zu dienen. Der Sudan ist dabei vor allem wegen seiner Lage am Roten Meer, wo sich die VAE in einen Rivalen Saudi-Arabiens verwandelt haben und als Agrarlieferant für die Golfmonarchien von geostrategischer Bedeutung.

Just diese exportorientierte Landwirtschaft gilt wiederum als eine der strukturellen Hauptursachen für die Konflikte in Darfur, die jetzt auch den Rest des Landes erfasst haben. Denn infolge von Dürreperioden in den 1970er und 1980er Jahren siedelten sich zahlreiche Viehhirten insbesondere in Westdarfur an, die zunächst in friedlicher Koexistenz mit den dortigen Kleinbäuer*innen lebten. Doch die Regimes in Khartum drängten sie wegen der erdrückenden Last an Staatsschulden dazu, auf die lukrative Lieferung von Schafen und Kamelen in die Golfstaaten zu setzen, insbesondere nach Saudi-Arabien. Die Folge der forcierten Fleischproduktion war der Verlust großer Anbauflächen durch Überweidung, was durch den globalen Klimawandel und das demografische Wachstum noch verschärft wurde.

Langzeitdiktator Baschir setzte dabei wie schon seine Vorgänger auf das Prinzip, mit dem sich schon die britische Kolonialmacht Darfur dem Sudan einverleibt hatte: Teile und herrsche. Die schwerfällige Armee konzentrierte sich auf ihr eigenes Wirtschaftsimperium und lagerte die Aufstandsbekämpfung an nomadische Gruppen aus, die sich als Araber bezeichneten und gegen Bäuer*innen kämpften, die als Afrikaner definiert wurden. Aus diesem Outsourcing der Gewalt ging in den 2000er Jahren die extrem mobile Dschandschawid-Miliz hervor, von der sich der geschäftstüchtige Viehhändler Hemetti schließlich abspaltete. Seine Neo-Dschandschawid wurden in den 2010er Jahren unter dem Label RSF nicht nur Baschirs Prätorianergarde, sondern als Grenzwächter auch Kooperationspartner der EU, um Migration und Flucht aus Darfur Richtung Europa einzudämmen.

Thatcher lässt grüßen

Reichster Mann des Sudans wurde Hemetti in jenen Jahren zunächst dadurch, dass er mit seinem Familienunternehmen die Goldminen von Darfur unter seine Kontrolle brachte und den Schmuggel des Edelmetalls nach Dubai in die VAE organisierte. Zugleich weiteten seine RSF ihre Geschäfte auf Schutzgeld, Drogenhandel, Wucherkredite und Autodiebstahl aus. Noch größere Petrodollar-Profite brachte ab 2014 der Krieg im Jemen, da Hemetti für die damalige Anti-Huthi-Allianz aus Saudi-Arabien und VAE tausende Söldner rekrutierte. Vielen jungen Männern blieb in dem zunehmend militarisierten Arbeitsmarkt kaum etwas anderes übrig, als sich bei der nationalen Armee oder einer der mafiösen Privatarmeen wie der RSF zu verdingen, um den Lebensunterhalt ihrer Familien zu verdienen.

Es ist kein Zufall, dass die wichtigste Waffe der Milizionäre – die Toyota Land Cruiser Pick-ups mit schweren Maschinengewehren auf der Pritsche – im Volksmund »Thatcher« genannt werden.

Der Analyst Magdi Elgizouli, der als Intellektueller aus der traditionsreichen Kommunistischen Partei des Sudans stammt, argumentiert, dass Hemetti nach dem Abflauen des Jemen-Krieges eine Anschlussverwendung für die RSF-Rückkehrer brauchte und für die Expansion seines Geschäftsimperiums nur die Übernahme des sudanesischen Staates blieb. Elgizouli identifiziert den Neoliberalismus mithin als die zentrale Logik hinter der Konterrevolution von RSF und VAE gegen die sudanesische Volkserhebung von 2019. Es ist daher wohl auch kein Zufall, dass die wichtigste Waffe der Milizionäre – die Toyota Land Cruiser Pick-ups mit schweren Maschinengewehren auf der Pritsche – im Volksmund »Thatcher« genannt werden.

Auch wenn Beobachter*innen befürchten, dass der Krieg noch etliche Jahre andauern könnte, gibt es doch auch Lichtblicke: So sind es an vielen Orten, in Darfur wie im restlichen Sudan, nach wie vor die nachbarschaftlichen Widerstandskomitees und »Notaufnahmen«, die dezentral und basisdemokratisch die Grundversorgung der Bevölkerung organisieren. Nach der Revolution von 2018 und 2019 – dem dritten erfolgreichen Volksaufstand nach 1964 und 1985 – braucht es vor allem eines für einen gerechten Frieden im Sudan: dass die mit dem Westen verbündeten Golfmonarchien wie die VAE, Saudi-Arabien und Katar es aufgeben, die sudanesischen Kriegsherren gegen die Emanzipierung der Zivilbevölkerung aufzurüsten.

Roman Deckert

lebt in Genf und arbeitet seit 1997 zum Sudan, vor allem zur Geschichte der deutsch-sudanesischen Beziehungen und in der Medienzusammenarbeit.