Milliz an der Macht
Um den sudanesischen Aufstand zu zerschlagen, holt der Militärrat die berüchtigten Janjawid nach Khartum
Von Sudfa
Nach mehrmonatigen Protesten wurde Sudans Diktator Omar al-Baschir Anfang April durch einen Militärrat ersetzt. Für die Protestbewegung ist das keine akzeptable Lösung, sie fordert weiter die Übergabe der Macht an eine zivile Regierung. Am 3. Juni wurde die zentrale Protestkundgebung in Gewalt erstickt. Verübt wurde das Massaker von den Janjawid, die sich seit 20 Jahren des Völkermords in Darfur schuldig machen.
Janjawid, wörtlich: »Teufel zu Pferd«. Erstmals tauchte das Wort in den 2000er Jahren auf, zu Beginn des Krieges in Darfur, als Kräfte der Sudanesischen Befreiungsarmee (SLA) nach Al-Faschir, die Hauptstadt des Bundesstaates Nord-Darfur, und in andere Ortschaften vorrückten. Um den Vormarsch der Rebellen zu stoppen, bewaffnete die Regierung von Omar al-Baschir Teile der arabischen Bevölkerung und forderte sie zum Kampf gegen die SLA auf. Viele Janjawid entstammen den arabischen Bevölkerungsgruppen der Region. Auch Ausländer füllen ihre Ränge, hauptsächlich aus dem Tschad, aus Niger und Mali, auch wenn ihre Führer und die sudanesische Regierung dies stets geleugnet haben.
Im Bemühen, die Verbände zu regularisieren, wurden sie 2014 dem mächtigen Geheimdienst NISS (National Security and Intelligence Service) unterstellt. Sie sind nun offiziell eine mobile paramilitärische Miliz und fungieren unter dem neuen Namen Rapid Support Forces (Schnelle Unterstützungstruppen), kurz RSF.
Die Miliz aus dem ländlichen Westen des Sudan hat enge Verbindungen nicht nur zur sudanesischen Regierung, sondern auch zur Regierung des Tschad. Der Präsident des Tschad, Idriss Déby, heiratete 2012 Amani Hilal, die Tochter von Musa Hilal, der seit der Zeit des Völkermords in Darfur in den 2000er Jahren an der Spitze der Janjawid stand. Er ist ein Symbol für die Gräueltaten in Darfur und wird wegen seiner Verbrechen vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht. Zwar war Hilal 2008 auch kurz Minister für Bundesangelegenheiten des Sudan, doch ab 2013 stieg der heutige RSF-Führer Mohamed Hamdan Dagalo, bekannt als »Hemedti«, in der Hierarchie der Miliz auf: Weil Musa Hilal kaum noch zu kontrollieren war, ersetzte ihn das al-Baschir-Regime durch Hemedti.
Die Janjawid töten, stehlen und plündern seit 2003. Schätzungen über die Zahl der Todesopfer im Darfur-Konflikt schwanken zwischen 200.000 und drei Millionen. Mehrere Millionen Menschen wurden vertrieben. Bei ihren Angriffen auf die Dörfer der Region kommen die Janjawid mit dem Pferd oder Pickup, brennen Häuser und Höfe nieder, ermorden Männer und Kinder und vergewaltigen systematisch die Frauen. Vertriebene des Darfur-Konflikts leben heute in Lagern im ganzen Land und in riesigen Slums rund um die Städte, wo Janjawid ihnen das Leben weiter zur Hölle machen.
Die Hauptopfer der Janjawid sind die »afrikanischen« oder »nicht-arabischen« Bevölkerungsgruppen (Fur, Massalit, Zaghawa), die weitgehend dezimiert und vertrieben wurden. Die Janjawid werden des Genozids an diesen Bevölkerungsgruppen beschuldigt.
Die Ökonomie der Janjawid
Zunächst wurden die Janjawid hauptsächlich durch direkte staatliche Zahlungen finanziert. Ali Osman Taha, von 2011 bis 2013 Vizepräsident des Sudan, erklärte, dass ein Teil des Regierungsbudgets für sie bestimmt sei. Nach 2010 stützten sich die Janjawid auf andere Einnahmequellen, etwa die Goldminen in der Region Darfur um Jebel Amir. Auch Plünderungen im Darfur-Krieg waren wichtige Einnahmequellen. Oftmals wurden Land und Häuser in ethnisch gesäuberten Gebieten an Angehörige der Miliz vergeben. Zudem errichtet sie nach wie vor Sperren auf der Straße zwischen Al-Faschir und Khartum und presst Tributzahlungen ab.
Vom Krieg im Jemen profitierten die inzwischen zur RSF umgewidmeten Janjawid ebenfalls. Nachdem Saudi-Arabien Druck auf die sudanesische Regierung ausgeübt hatte, Truppen in den Jemen zu schicken, wurden Janjawid im Jemen eingesetzt. Hierfür erhielten sie Geld und Waffen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Durch diese Einsätze hat die Miliz seit 2015 auch im Sudan an Einfluss gewonnen.
Die Janjawid rekrutieren vor allem auf zwei Wegen: Die Gehälter der Milizionäre sind relativ hoch und stellen eine Einkommensquelle für deren Familien dar, so dass zahlreiche junge Menschen, vor allem aus den arabischen Bevölkerungsgruppen, zu ihnen stoßen. Zudem wirbt die Miliz gezielt Minderjährige bei deren Familien an. Mitglieder der RSF, die aus dem Jemen zurückkehren, sagen, dass Kinder etwa 40 Prozent der sudanesischen Truppen dort ausmachten. Sie erhalten fast keine Ausbildung und werden im Jemen als Kanonenfutter an die Front geschickt.
Die sudanesische Regierung versuchte in den letzten Jahren, die RSF als regulären Teil der Streitkräfte zu präsentieren. Die Kämpfer wurden zusammen mit Soldaten der Armee in den Militärlagern der großen Städte einquartiert. Vor allem in Darfur sind sie aber weiterhin für Plünderungen und Überfälle auf Dörfer berüchtigt.
Unterstützung durch die EU
Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben insbesondere mit dem Khartum-Prozess seit 2014 enge partnerschaftliche Beziehungen mit dem Sudan geknüpft. (1) Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise im Land seit der Abspaltung des Südsudans im Jahr 2011, als der Großteil der Öleinnahmen der Regierung versiegte, sind die europäischen Finanzmittel zur Stärkung der Grenzkontrollen ein Geschenk des Himmels für das Regime in Khartum. Etwa 200 Millionen Euro sind seither von der EU an den Sudan geflossen. Nutznießer sind die Janjawid, die für die Kontrolle der Grenze zu Libyen zuständig sind.
Hemedti betonte mehrfach, dass er dort lediglich die Politik der EU »gegen den Menschenhandel« umsetze und ermutigte die Europäer, die »Anstrengungen« durch noch mehr Mittel »zu belohnen«. Obwohl die EU jede direkte Unterstützung der Milizen ablehnt, zeigen Berichte, dass Gelder, Computerausrüstung und Fahrzeuge durch die Kooperation mit den Polizei- und Sicherheitsdiensten bei den Janjawid landeten. (2) Die RSF ist die Hauptkraft der Regierung an der Grenze, mit ihnen verwirklicht sie die politischen Vorgaben der EU und setzt ihre Terrorakte gegen die lokale Bevölkerung und Migrant*innen fort. Auch dieses Extrabudget stärkt die Macht der Janjawid.
Je nach Bedarf werden die Janjawid aber im ganzen Land eingesetzt, unter anderem in der südlichen Provinz Blauer Nil, in den Nuba-Bergen im Bundesstaat Süd-Kordofan. Auch dort terrorisieren sie die Zivilbevölkerung, plündern, morden und vergewaltigen. Die Regierung benutzte die Miliz, um die Spaltung zwischen den »arabischen« und »afrikanischen« Bevöllerungsgruppen anzuheizen, die in den 1980er Jahren aus lokalen Konflikten zwischen Bauern und Nomaden entstanden ist, und um so ihre Macht zu stärken. Die Janjawid nennen die »afrikanische« Bevölkerungsgruppen »Sklaven«, »Untermenschen«, »Ungläubige«.
Das Massaker von Khartum
Die Proteste im Sudan, die im Dezember 2018 begannen und im April zum Sturz von al-Baschir und seiner Regierung führten, boten nun den Anlass, die RSF erstmals auch massiv nach Khartum zu mobilisieren. Der Leiter der RSF, Hemedti, wurde zum Vizepräsidenten des Militärrates ernannt, den Vorsitz der Übergangsregierung des Militärs hat General Abdel Fattah al-Burhan.
Zuerst ging Hemedti sehr diskret vor, und da seine Machenschaften den meisten Menschen außerhalb der Konfliktregionen kaum bekannt sind, blieben viele Sudanes*innen optimistisch. Doch innerhalb weniger Wochen fiel die Maske, Hemedti befahl seinen Truppen, Demonstrant*innen auf dem Al-Ghiyadah-Platz (vor dem Hauptquartier der Armee) zu terrorisieren und gewaltsam zu vertreiben. Hemedti und seine Männer haben keine Verbindung zu den städtischen Jugendlichen, insbesondere den bürgerlichen Jugendlichen von Khartum. Die meisten Milizionäre kommen aus ländlichen Gebieten. Für einige von ihnen war es das erste Mal, dass sie in der Stadt sind, moderne Smartphones und Laptops sehen. Es gibt Fotos, die Milizionäre zeigen, wie sie auf Spielplätzen toben oder nach den Massakern auf der Straße tanzen und singen.
Bereits im Mai hatten RSF-Kämpfer versucht, den Platz zu räumen, scheiterten aber an den Barrikaden und gut organisierten Demonstrant*innen. Am 13. Mai schossen sie mit scharfer Munition, töteten vier Menschen und verwundeten etwa 30 weitere. In den folgenden Tagen kam es zu weiteren Angriffe am Rande des Platzes, insbesondere um den 25. Mai herum, wobei mehrere Menschen getötet, andere verletzt und verhaftet wurden.
Am 2. Juni, dem vorletzten Tag des Ramadan, kamen Kolonnen von RSF-Fahrzeugen aus allen Regionen des Sudans in der Hauptstadt an. Von mehr als 10.000 Milizionären ist die Rede. Am 3. Juni gegen 6 Uhr morgens begannen sie, mit scharfer Munition in die Menge auf dem Al-Ghiyadah-Platz zu schießen, verbrannten die Zelte, verhafteten Demonstrant*innen. Sie nutzten die Gebäude der Universität Khartum und einer nahegelegenen Moschee, um Menschen tagelang einzusperren, zu schlagen und zu foltern. Mehrere Verhaftete starben, viele andere starben durch Schüsse oder wurden verletzt. Die Janjawid vergewaltigten auch Dutzende Frauen und posierten mit der Unterwäsche von Vergewaltigten für Fotos. Tote sollen noch auf dem Platz verbrannt worden sein, andere wurden in den Nil geworfen, wo sie erst einige Tage später wieder auftauchten.
Am 3. Juni wurden auf diese Weise an einem einzigen Tag mindestens 120 Menschen in Khartum und der Nachbarstadt Ondurman ermordet, über 500 verletzt. Auch zahlreiche Soldaten, die sich auf die Seite der Demonstrant*innen stellten, wurden verhaftet. RSF-Milizionäre zerstörten Geschäfte, Apotheken und Autos, schlugen Ärzte in Krankenhäusern und drohten, sie zu töten, wenn sie Demonstrant*innen behandelten, vergewaltigten Krankenhausmitarbeiterinnen und erschossen Verwundete.
Massaker und Generalstreik
»Heute ist der 5. Juni. Zwei Tage nach dem Massaker. Es fühlt sich an, als steckte ich immer noch in einem dieser dunklen Räume fest, die ganz klamm waren von dem stechenden Geruch der entsetzten Überlebenden, alle unsere Nerven bis aufs Äußerste gespannt. Ich danke Gott, dass ich die Angst in ihren Gesichtern nicht sehen konnte – und sie nicht die meine«, schreibt Lojain, eine junge Aktivistin aus Khartum, über die Ereignisse am Tag der Räumung des Protestcamps. Ihr Bericht, der auf revoltmag.org erschien, schildert den Horror, den die Demonstrant*innen in den Stunden der Räumung erlebten. Am 13. Juni bestätigte der herrschende Militärrat, dass er den Befehl hierzu gegeben hatte, und bedauerte »Fehler«, die dabei passiert seien. Hintergrund dieses symbolischen Entgegenkommens war ein Generalstreik, der das Land vom 9. bis 11. Juni lahmlegte. Das Oppositionsbündnis SPA hatte nach dem Massaker gefordert, so lange zivilen Ungehorsam zu leisten, bis der Militärrat zurücktritt. Zunächst reagierte dieser erneut mit Gewalt. Nachdem auch international der Druck auf die Militärregierung wuchs, kündigte er neue Verhandlungen mit der Opposition an, außerdem sollen Wahlen schon 2020 stattfinden. Die SPA rief daraufhin auf, den Streik vorläufig zu beenden.
Am Tag nach dem Massaker annullierte der Militärrat alle früheren Vereinbarungen mit dem Oppositionsbündnis SPA (Sudanese Professionals Association) und setzte alle Verhandlungen aus. Er kündigte Wahlen für 2020 an, aber weil nach diesem Tag klar ist, wie die Wahlen ausgehen werden, demonstriert die Opposition weiter und fordert den Rücktritt des Militärrats. Die Regierung hat seitdem das Internet gekappt. Trotzdem verbreitete sich der Aufruf der Opposition zum Generalstreik rasant. (Siehe Kasten)
Die Janjawid, verkleidet als die Rapid Support Forces, kontrollieren jetzt das Land. Seit 20 Jahren sind sie es gewohnt, mit brutaler Gewalt Menschen zu massakrieren.
Eine längere Version des Artikels erschien am 10. Juni unter dem Titel »Les Janjawids au pouvoir« auf dem Blog Sudfa und in der linken französischen Zeitschrift Lundimatin. Übersetzung: Jan Ole Arps
Anmerkungen:
1) »Khartum-Prozess« wird die Einbindung ostafrikanischer Staaten in das europäische Grenzregime ab 2014 genannt, mit dem Valetta-Abkommen 2015 wurde sie konkret ausgestaltet. Zu den Maßnahmen gehörte neben der Stärkung lokaler Grenzpolizeien auch der Aufbau eines Operationszentrums in Khartum, in dem europäische und sudanesische Polizeistellen seit Ende 2018 zusammenarbeiten. Auch die Bundespolizei schulte sudanesische Polizeibeamte, im Bereich Urkundendelikte (etwa gefälschte Pässe). Diese Kooperation wurde beschlossen, obwohl Sudans Langzeitdiktator Omar al-Baschir seit 2009 vom internationalem Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord in Darfur mit Haftbefehl gesucht wird.
2) Etwa der Bericht »Border Control From Hell« von Suliman Baldo.