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Wachstums­risiko Aufrüstung

Warum das Fünf-Prozent-Ziel die machtpolitischen Absichten der Nato-Staaten untergraben könnte

Von Axel Gehring

Drohne vor blauem Himmel mit großen Wolkenbergen
Arbeitsplätze im Anflug? Naja: Im Kalten Krieg konnte militärische Forschung Impulse für zivile Anwendungen setzen, heute konsumiert die Rüstungsindustrie Ergebnisse ziviler Forschung, etwa im Drohnenkrieg. Foto: Adonyi Gabór / PxHere

Eine neue Zeitenwende blieb diesmal aus: US-Senator Lindsey Graham begrüßte Anfang Juni in einem Interview beiläufig die Ankündigung der Bundesregierung, statt zwei nunmehr fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Verteidigung ausgeben zu wollen, eine Forderung, die US-Präsident Trump schon kurz vor seinem erneuten Amtsantritt erhoben hatte. Damals war sie von den meisten Politiker*innen als illusorisch abgetan worden. Doch seit ein Rückzug der USA aus der Nato im Raum und damit angeblich die »Verteidigungsfähigkeit« Europas in Frage steht, hat sich der Wind gedreht.

Bei ihrem Gipfel Ende Juni will sich die Nato auf verpflichtende Ausgaben in Höhe von fünf Prozent verständigen – zur Abschreckung gegen Russland und als Geste an Trump. Die Bundesregierung hat mit der Verfassungsänderung zur Schuldenbremse im März die juristischen Hindernisse abgebaut. Die nun verkündeten fünf Prozent waren im Wahlkampf übrigens eine AfD-Forderung. Die anderen Parteien nannten in ihren Programmen als Ziel »deutlich über zwei« Prozent oder ähnliches.

Tatsächlich sollen von den fünf Prozent, die nun bis 2032 erreicht werden sollen, »nur« 3,5 Prozent für Militär im engeren Sinne ausgegeben werden müssen. Die restlichen 1,5 Prozent können auch in Infrastruktur fließen. Denn was im neoliberalen Alltag bereits marode ist, kann der Belastung durch Krieg erst recht nicht standhalten – so das Kalkül. Doch selbst die 3,5 Prozent sind ein gewaltiger Aufwuchs: Von knapp 90 auf mindestens 150 Milliarden Euro würden die Verteidigungsausgaben steigen. Können »wir« uns das leisten?

Mitte des letzten Jahrhunderts, im Kalten Krieg, gab es in den kapitalistischen Zentren einen Zusammenhang zwischen dem Wachstum der Industriegesellschaften und der damaligen Hochrüstung: Technologien wie Radar, Jettriebwerke oder elektronische Großrechner hatten ihren Ursprung in militärischen Anwendungen. Die Miniaturisierung der Computer begann nicht erst in der Garage von Steve Jobs, sondern schon Ende der 1950er beim Einsatz für die militärische Luftfahrt. Rüstungsgüter wurden auf Halde produziert, schufen aber den staatlichen High-Tech-Absatz, der den zivil-privatwirtschaftlichen Anwendungen vorausging. Auf ähnliche wirtschaftliche Effekte der Aufrüstung werden auch heute wieder Hoffnungen gesetzt.

Doch sind sie berechtigt? Gibt Rüstungsforschung heute noch in ähnlicher Weise Impulse für Forschung wie im frühen Kalten Krieg? Oder konsumiert das Militär nicht primär Ergebnisse ziviler Forschung – zum Beispiel im Drohnenkrieg oder bei KI? Dort, wo Rüstung kaum mehr technologische Modernisierung bewirkt, sondern sich als Raubbau an den Produktiv- und Innovativkräften sowie an natürlichen Ressourcen entfaltet, wirkt sie nicht nur negativ auf unsere Lebensbedingungen zurück. Sie untergräbt dann auch das kapitalistische Wachstum und wird für die Staaten zum machtpolitischen Fallstrick: Die neue geopolitische Konkurrenz ist ein Ergebnis der globalen Verschiebung der Wachstumspole, vom Westen in Richtung China beispielsweise. Obwohl Rüstung dies militärisch »korrigieren« soll, kann sie also auch in die andere Richtung ausschlagen.

Gleiche Rüstungsziele für wirtschaftlich unterschiedlich starke Staaten verschieben zudem die Kräfteverhältnisse zwischen diesen Staaten. Nach dem Friedensforschungsinstitut SIPRI lag Deutschland im Jahr 2024 im globalen Ranking der Rüstungsausgaben mit 88,5 Milliarden US-Dollar auf Platz vier hinter den USA (997 Milliarden), China (314 Milliarden) und Russland (149 Milliarden). Für diese Platzierung musste Deutschland 1,9 Prozent seines BIP aufwenden. Die USA wenden 3,4 Prozent, China 1,7 und Russland 7,1 Prozent ihrer jeweiligen Wirtschaftsleistung auf. Bereits jetzt liegen die Atommächte Frankreich und Großbritannien in absoluten Ausgaben hinter Deutschland, obwohl sie etwas mehr ihres BIP für das Militär ausgeben. Mit dem Erreichen des neuen Ziels dürfte Deutschland seine Stellung innerhalb der EU weiter stärken. Deutschland wird dann, außer bei Atomwaffen, das militärische Schwergewicht auf dem Kontinent werden. Kann das wirklich jemand wollen?

Axel Gehring

ist Politökonom und Konfliktforscher und arbeitet in der Bundesgeschäftsstelle der Linkspartei auf dem Feld der Außenpolitik.

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