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|ak 692 | Geschlechter­­verhältnisse

Warten aufs Weniger-Fremdbestimmungsgesetz

Das Selbstbestimmungsgesetz greift als reformistisches Projekt zu kurz

Von Mine Pleasure Bouvar

Dass es überhaupt eine Novelle des Transsexuellengesetzes geben soll, ist auch ein Ergebnis von jahrelangem Aktivismus: Demonstrierende am 8. März 2023 in Hamburg. Foto: Anne Meerpohl

Im Jahr 1981 trat es in Kraft. Danach dauerte es gerade mal ein Jahr, bis wesentliche Teile des Transsexuellengesetzes (TSG) für verfassungswidrig erklärt wurden, das bisher regelt, wie transgeschlechtliche Menschen ihren personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag und gegebenenfalls ihre Vornamen ändern können. Seit Antritt der Ampelregierung steht fest: Das TSG und die bisherige Regelungen für intergeschlechtliche Personen im Personenstandsgesetz sollen in dieser Legislatur dem sogenannten Selbstbestimmungsgesetz weichen. Doch ein handfester Entwurf, der zuletzt für die Zeit vor Ostern angekündigt wurde, lässt auf sich warten. Und während die Haarspalterei um die Reform anhält, spitzt sich der andauernde queerfeindliche Kulturkampf auf dem Rücken trans- und intergeschlechtlicher Menschen weiter zu.

Bei den wesentlichen Neuerungen der Reform handelt es sich um eine Entpathologisierung des bisherigen Procedere zur Änderung des Namens und des Geschlechtseintrags und eine Zusammenführung der Regelungen, die bislang zwischen trans- und intergeschlechtlichen Personen unterscheiden. So sieht das TSG vor, dass transgeschlechtliche Personen ein gerichtliches Verfahren durchlaufen müssen, das an zwei psychiatrische Gutachten geknüpft ist. Offiziell wird hier zwar die rechtliche Änderung von medizinischen Standpunkten getrennt – zumindest seit operative Eingriffe, die zwangsweise mit Sterilisationen einhergehen, als Voraussetzung für die Anerkennung nach TSG vor zwölf Jahren für unzeitgemäß befunden wurden – dennoch bedeutet die psychiatrische Begutachtung eine Knüpfung der rechtlichen Anerkennung an die Pathologisierung von abinärer und Transgeschlechtlichkeit.

Hinzu kommt neben der entwürdigenden psychischen Belastung durch invasive Gutachten, die logistische und finanzielle Belastung durch den Begutachtungsprozess, der im unteren Durchschnitt sechs bis neun Monate dauert und selten unter 1.200 Euro kostet. Statt Gerichten und Psychiater*innen wird es künftig ein einfacher Verwaltungsakt beim Standesamt sein.

Vorweggenommen wurde dies bereits mit der Reform des Personenstandsrechts Ende 2018, die neben den bisherigen Eintragungsmöglichkeiten »männlich«, »weiblich« und der Streichung des Geschlechtseintrages die Option »divers« eingeführt und die Änderung des Eintrags beim Standesamt ermöglicht hatte. Der darauffolgende Beschluss des Bundesgerichtshofs von 2021 schuf jedoch eine künstliche, rechtliche Trennung zwischen inter- und transgeschlechtlichen Menschen auf der Grundlage enger diagnostischer Kriterien, die an der Pathologisierung von intergeschlechtlichen Personen festhielten.

Verzögerte Vereinfachung

Mit dieser Entwürdigung und der rechtlichen Unterscheidung zwischen Inter- und Transgeschlechtlichkeit mittels pathologisierenden Attesten, Diagnosen und Gutachten, die mehr Restriktionen schaffen, als sie alltagspraktische Relevanz haben, soll nun Schluss sein. Einfach zugänglich wird das Verfahren für Personen ab dem 18. Lebensjahr. Für Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre gilt die Entscheidungshoheit der Eltern und Erziehungsberechtigten. Danach können Jugendliche mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten selbst entscheiden – im Konfliktfall soll das Familiengericht die Entscheidung der Minderjährigen bewerten und gegebenenfalls, so wie es in anderen familienrechtlichen Angelegenheiten bereits gang und gäbe ist, ersatzweise die Zustimmung gewähren.

Die Reform sieht vor, dass die Personenstandsänderung erst nach drei Monaten rechtskräftig wird und dann erst nach einem Jahr eine erneute Änderung vorgenommen werden kann. Hier wird zwischen Geschlecht- und Namensänderung sowie vergleichbaren Personenstandsangelegenheiten wie Eheschließungen, für die diese Hürden nicht vorgesehen sind, unterschieden. Interessenvertretungen äußerten daher bereits Kritik an den geplanten Änderungen.

Ebenso kritisch ist die kontinuierliche Verzögerung des Referentenentwurfs und damit der letztendlichen Umsetzung des Gesetzes zu betrachten. Nicht nur bietet die ständige Verschiebung immer neue Angriffsflächen für queer- und insbesondere transfeindliche Stimmungsmache, zuletzt wurde eben diese Stimmungsmache durch den Justizminister Marco Buschmann (FDP) selbst aufgegriffen. Seit Januar verstrickt sich dieser in Aussagen zu einer vertrags- und hausrechtlichen Unterscheidung zwischen trans- und cisgeschlechtlichen Frauen, die die Selbstbestimmung der einen gegen, die angebliche Sicherheit der anderen aufzuwiegen versuchen.

Eine Entschädigung für Betroffene von Zwangsbehandlung wird ausgespart.

Dieser misogyne Fokus auf transweibliche Personen legt nahe, dass die Entscheidungsfindung des Justizministers durch transfeindliche Beeinflussung beeinträchtigt ist. Zuletzt intervenierte Ferda Ataman, die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, mit der Klarstellung, dass ein kategorischer Ausschluss von transgeschlechtlichen Personen durch das Hausrecht vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht gedeckt sei – ein Umstand, der in Anbetracht der Alltäglichkeit, mit der transweibliche Personen nicht nur in Saunen implizite und explizite Ausschlüsse erfahren, eher von relativer Bedeutung ist.

Organisierte Transfeindlichkeit

Wichtiger als Debatten darüber, ob ein Passus, der transweibliche Personen explizit diskriminieren würde, rechtlich umsetzbar ist, ist die Tatsache, dass diese Option überhaupt diskutiert wird. Die letzten Jahre zeigen einen globalen Anstieg politisch organisierter Transfeindlichkeit. Transfeindliche Argumentationsmuster, insbesondere strukturell antisemitische, transmisogyne (1) Verschwörungserzählungen, sind zu einem beliebten Werkzeug rechter und konservativer Akteur*innen geworden.

Die vernichtungsideologischen Untertöne treten mittlerweile immer offener zu Tage. So zitierte Michael Knowles (Daily Wire) Anfang März fast wörtlich die transfeindliche Radikalfeministin Janice Raymond, als er von einer »Eradication of Transgenderism« (dt. Auslöschung des Transgenderismus) sprach. Bereits 2018 beschrieb die marxistische Theoretikerin Joni Alizah Cohen die Kontinuität der Verwebung von Transmisogynie und Nazismus. Und zuletzt zeigte sich die Terf-Aktivistin Posie Parker in Melbourne Seite an Seite mit Hitlergruß zeigenden Neonazis.

Vor diesem Hintergrund der global vernetzten, faschistischen Querfronten aus Rechtsradikalen, Evangelikalen, Konservativen und Terfs sollte Marco Buschmanns offene Flanke für tendenziöse Beeinflussung zumindest bedenklich stimmen. Mit denselben transfeindlichen Argumenten wurde seit 2018 in den USA argumentativ der Weg geebnet, der zur massiven Einschränkung des Abtreibungsrechts sowie zur derzeitigen, anhaltenden systematischen Einschränkung von Transrechten führte. Buschmanns Lavieren verdeutlicht, wie zahnlos liberale Menschenrechtspolitik angesichts faschistischer Mobilisierung und stochastischem Terror bleibt.

Auf dem Weg zur befreiten Gesellschaft und umfassender, materieller Selbstbestimmung lässt das Gesetz wesentliche Punkte zudem unberührt. Die rechtliche Anerkennung bleibt geknüpft an Staatsbürger*innenschaft. Eine Entschädigung für Personen, die unter dem TSG und interfeindlicher Zwangsbehandlung gelitten haben, wird ausgespart und Zugänge zu gesellschaftlichen Ressourcen wie Arbeit, Wohnung und Gesundheit bleiben insbesondere für die Mehrheit der transgeschlechtlichen Personen prekär. Die Grenzen reformistischer Politik werden anhand des Weniger-Femdbestimmungsgesetzes wieder einmal deutlich.

Mine Pleasure Bouvar

studierte irgendwas mit Kulturwissenschaften und lohnarbeitet jetzt freiberuflich als politische Bildner_in zu den Schwerpunkten Transfeindlichkeit, Transmisogynie und Faschismus-Studien. Als queerkommunistische Aktivist_in graswurzelt sie* an der Unterwanderung des Cistems.

Anmerkung:

1)Transmisogynie bezeichnet die gezielte Abwertung, Lächerlich-Machung, Dämonisierung und Unterdrückung von Transweiblichkeit, transgeschlechtlichen Frauen und transweiblichen Personen. Der Begriff wurde wesentlich geprägt von Julia Serano und durch radikalere, dekoloniale Analysen von b. binaohan.

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