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Queere Bauernopfer

In den USA nehmen trans- und homofeindliche Gesetzesinitiativen stark zu – sie sind Teil faschistischer Mobilisierung und Spaltung linker Bewegungen

Von Veronika Kracher

Ein Mann steht mittig mit dem Rücken zur Kamera. Er trägt ein pinkes Cap. Auf seinem T-Shirt steht in pinker Schrift I love titties and tacos . com
Weiterhin erlaubt: heterosexueller Mann in Arizona. Foto: Kornelia Kugler

Das Jahr 2023 ist noch keine vier Monate alt, und trotzdem wurden in den Vereinigten Staaten bereits mehr LGBTQ-feindliche Gesetzentwürfe eingereicht als in den letzten fünf Jahren zusammen. Anfang März belief sich die Zahl der angestrebten neuen Gesetze auf 385, die meisten von ihnen richten sich explizit gegen transgeschlechtliche Menschen.

Nun ließe sich argumentieren, dass nur ein Bruchteil der Gesetzentwürfe tatsächlich auch durch die Parlamente ratifiziert wird: Letztes Jahr waren es »lediglich« 19 der 162 Vorschläge, die auch tatsächlich in Gesetzesform gegossen wurden. Das sind jedoch 19 Gesetze, die homosexuell begehrenden und transidenten Menschen ein Leben in Würde und Sicherheit verunmöglichen sollen. Auch zeigt allein die schiere Menge der diskutierten Regelungen, wie brutal und weit verbreitet der Hass gegen die queere Community in den USA ist.

Trumps Erbe

Der Großteil der Gesetzesinitiativen basiert auf der biologistischen Annahme von Zweigeschlechtlichkeit. In Tennessee, Oklahoma oder North Dakota soll es zum Beispiel unmöglich werden, den Geschlechtseintrag in Dokumenten zu ändern. In Arizona, Florida, Idaho und Texas sollen sogenannte Bathroom Bills (dt. Badezimmer-Gesetze) transgeschlechtlichen Menschen verbieten, die Toilette ihrer Wahl aufzusuchen. In Missouri, Oklahoma und Tennessee dürfen transgeschlechtliche Sportler*innen zukünftig nicht mehr an Wettkämpfen ihrer Geschlechtskategorie teilnehmen. Dies würde auch dazu führen, dass transgeschlechtliche Jungen gegen Mädchen antreten, was auch nicht im Sinne der Kräfte hinter diesem »Sports Ban« (dt. Sportverbot) wäre.

Um diese Verwirrung zu vermeiden, setzt sich die Republikanische Partei in zahlreichen Bundesstaaten (Arkansas, Florida, Georgia, Indiana, Kentucky, Missouri, Oklahoma, Tennessee, Texas, West Virginia) dafür ein, geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Jugendlichen direkt zu verbieten. Auch Sexualaufklärung zu queeren Themen soll unter anderem in Arkansas, Florida, Iowa und Oklahoma aus den Lehrplänen verschwinden. In North Dakota, Florida und Texas sollen zu subversiv dünkende Bücher, viele davon mit queeren, antirassistischen und feministischen Inhalten, aus den Schulbibliotheken entfernt werden. Besonders brutal in Bezug auf transgeschlechtliche Jugendliche ist ein Gesetzesentwurf in Florida: Hier soll der Staat die Möglichkeit bekommen, Eltern, die ihre Kinder bei einer Transition unterstützen, das Sorgerecht zu entziehen.

Ein weiteres Ziel der Kampagne sind Drag Queens. Reaktionäre Kräfte bedienen seit geraumer Zeit das schwulenfeindliche Klischee des »Groomers« (1), werfen Drag Queens also vor, sich an Kindern vergehen zu wollen. In Arkansas, Iowa, Kansas, Kentucky, Missouri, Montana, Oklahoma, Tennessee, Texas sollen Drag Performances und generell das Tragen »nicht geschlechtskonformer Kleidung« außerhalb von explizit an Erwachsene gerichtete Etablissements verboten werden. Das hat nicht nicht nur zur Folge, dass Drag auf Pride-Paraden unterbunden wird, sondern dass Polizeirepression und Gewalt gegen transgeschlechtliche Menschen, die auf der Straße als solche erkannt werden, juristisch legitimiert werden.

Die radikalste Form dieses Gesetzes könnte in Texas durchgesetzt werden. In einem Vorschlag, der von Aktivist*innen als »Kopfgeldjagd« bezeichnet wird, können besonders eifrige Transfeind*innen Drag Queens, die mal kurz vor dem Club eine rauchen gehen, der Polizei melden und dafür eine Belohnung von bis zu 5.000 Dollar einkassieren.

Queere Menschen mussten sich in einer patriarchalen Gesellschaft ihre Sichtbarkeit und Rechte immer erkämpfen. Doch seit der Wahl von Donald Trump sind diese Kämpfe eklatant härter geworden. Chauvinismus und aggressive Männlichkeit sind seit Jahrzehnten fester Bestandteil von Trumps Selbstinszenierung; so konnte er sowohl christlich-fundamentalistische Patriarchen als auch die Incels im Internet für sich begeistern. Seine Präsidentschaft hat die Alt-Right in ihrem antifeministischen und queerfeindlichen Denken und Handeln über vier Jahre hinweg bestärkt.

Der ehemalige Präsident, der zuletzt im Februar 2023 ein vor transfeindlichen und antikommunistischen Verschwörungsnarrativen triefendes Video veröffentlichte, ist nicht der einzige prominente Vertreter der Republikaner*innen, der den Kampf gegen transgeschlechtliche Menschen zu einem Hauptbestandteil seiner aktuellen politischen Agenda macht. Trumps Kurs hat inzwischen einen großen Teil der Partei im Griff. Einige seiner Parteikolleg*innen versuchen, den Multimillionär in Sachen Menschenfeindlichkeit noch zu übertreffen.

Ron de Santis, Gouverneur von Florida und Präsidentschaftskandidat, ist einer der lautstärksten und radikalsten Vertreter dieses weißen, christlichen Faschismus. »Florida ist der Staat, an dem das Woke-sein stirbt«, so de Santis über seine Politik. Überzeugte Anhänger*innen der QAnon-Verschwörungsideologie, die in queeren Existenzen nichts geringeres sehen als satanistische Pädophile, sind aus der Grand Old Party mittlerweile ebenfalls nicht mehr wegzudenken.

Inzwischen ist die Lage stellenweise so drastisch, dass Drag-Veranstaltungen oder queere Demonstrationen von mit Schusswaffen ausgestatteten Antifaschist* innen begleitet werden.

Außerhalb des politischen Systems wird der Kampf gegen queere Selbstbestimmung von News-Outlets wie FOX News und The Daily Wire getragen. Der Daily-Wire-Kommentator Michael Knowles rief auf der diesjährigen Conservative Political Action Conference dazu auf, »Transgeschlechtlichkeit aus dem öffentlichen Leben auszulöschen«. Von Medienpersönlichkeiten wie dem selbsternannten »katholischen Faschisten« Matt Walsh oder Nachrichtensprecher Tucker Carlson, der täglich Millionen von Amerikaner*innen in Panik versetzt wegen der ihre Kinder »frühsexualisierenden Translobby«. Von faschistischen Männergruppen wie den Proud Boys, die queere Bars und Pride Parades bedrohen. Von rechtsradikalen YouTuber*innen und Streamer*innen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, junge Männer nach rechtsaußen zu radikalisieren – wie zum Beispiel der rechtsextreme Troll Nick Fuentes, der inzwischen fester Bestandteil der Entourage des Rappers, Antisemiten und ebenfalls angehenden Präsidentschaftskandidaten Kanye West ist und seiner aus Incels und Cybernazis bestehende »Groyper Army«. Es sind Twitter-Accounts wie »Libs of TikTok«, dessen Betreiberin Chaya Raichik es sich zum Hobby gemacht hat, queere Personen und Institutionen für ihre zwei Millionen Follower*innen als Feindbild zu markieren und sich anschließend darüber zu freuen, wenn diese mit dem Tode bedroht werden (Raichik bezeichnet sich selbst übrigens stolz als »stochastische Terroristin«). Von christlichen Evangelikalen, die ihre eigenen sexuellen Übergriffe zu verschleiern versuchen, indem sie Drag Queens als »Groomer« bezeichnen. Von Rechtsterroristen wie jenem Mann, der im November 2023 in Colorado Springs in einer queeren Bar fünf Menschen ermordete.

Strategische Ausgrenzung

Besonders bezeichnend für die Kollaboration von Republikaner*innen und Faschist*innen ist der Anfang März von dem linken Blog Mother Jones veröffentlichte Mailverkehr des Politikers Fred Deutsch (South Dakota). Deutsch stand über Jahre hinweg mit rechtsextremen Organisationen wie finanziell bestens ausgestatteten konservativen Think Tanks und christlich-fundamentalistischen Gruppen in Kontakt. Gemeinsam entwickelten sie Pläne, gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten gerichtete Gesetzgebungen politisch und juristisch zu verankern. Eine dieser Organisationen, die Alliance Defending Freedom, spricht sich unter anderem für die Sterilisation von und dem Streichen von Gesundheitsversorgung für transgeschlechtliche Menschen aus, möchte die Adoption für gleichgeschlechtliche Paare verbieten und das Verbot von Abtreibung erweitern. »Diese Gesetzentwürfe kommen von nationalen Organisationen, deren Ziel es ist, LGBTQ-Menschen zu schaden«, so die Juristin und Menschenrechtlerin Cathryn Oakley im Gespräch mit Mother Jones.

Mitglieder der Community und ihre Angehörigen haben berechtigte Angst umeinander, vor allem in republikanisch regierten Staaten. Da gerade (nicht-weiße) transgeschlechtliche Personen zudem oft unter prekären finanziellen Bedingungen leben, ist der Umzug in einen liberalen Staat oftmals nicht möglich. Was bleibt, ist die gegenseitige Unterstützung durch Spenden und Community-Arbeit bis hin zum bewaffneten Selbstschutz. Inzwischen ist die Lage stellenweise so drastisch, dass in Staaten und Städten mit besonders hohem Bedrohungspotenzial durch Rechtsradikale, Drag-Veranstaltungen oder queere Demonstrationen regelmäßig von mit Schusswaffen ausgestatteten Antifaschist*innen begleitet werden.

Die Gesetzgebungsinitiativen sind Teil eines geballten Angriffes auf alle Menschen, die einer faschistisch-christlichen Gesellschaftsauffassung widersprechen. Sie gehen einher mit dem antifeministischen Kampf gegen das Recht auf Abtreibung, das mit der Abschaffung von Roe vs. Wade im Sommer 2022 erst begonnen hat. Repressionen gegen linke Demonstrant*innen oder in Gewerkschaften organisierte Arbeiter*innen, Angriffe auf Antirassismus und Critical Race Theory und generelle Panikmache gegen eine imaginierte, jüdisch-kulturmarxistische »Woke Culture«, die von Hollywood und den Universitäten aus Amerika zersetzen würde, sind ebenfalls Teil dieser Entwicklung. Die Kämpfe marginalisierter Gruppierungen gegeneinander auszuspielen, führt letztendlich zu ihrer aller Schwächung. Davon profitieren rechte Gruppen.

LGBTQ-feindliche Verschwörungserzählungen und Ressentiments sind jedoch kein alleiniges Problem der USA. Im europäischen Raum ist gerade Großbritannien ein besorgniserregendes Beispiel. Personen des öffentlichen Lebens, Aktivist*innen, Politiker*innen und Journalist*innen übertreffen sich gegenseitig in ihrer Panikmache gegen transgeschlechtliche Menschen.

Als das schottische Parlament 2022 ein Selbstbestimmungsgesetz beschloss, blockierte kurz darauf das britische Parlament dessen Einführung, um sowohl der schottischen Unabhängigkeit als auch den Rechten transgeschlechtlicher Personen den Riegel vorzuschieben. Auch in Deutschland ist das Geraune von »Groomern«, »Frühsexualisierung«, »Kulturmarxismus« und der »Translobby« schon längst angekommen und wird vom rechten Rand bis in den bürgerlichen Mainstream, als auch in Teilen einer sich »feministisch« schimpfenden Szene vertreten.

Gerade deshalb ist eine internationalistische und intersektionale Solidarität mit Queers und Genoss*innen in den USA so wichtig. Unsere Reichweite hier in Deutschland ist beschränkt, aber: Auf die Situation queerer Menschen in republikanisch regierten Staaten aufmerksam zu machen, ist ein wichtiger Schritt, so die Aktivistin Lizabeth Alexander im Gespräch mit ak. Der Krieg gegen queere und vor allem transgeschlechtliche Menschen wird international und auf allen Ebenen geführt. Deswegen ist es eine Notwendigkeit, und einer der wichtigsten feministischen Ansprüche unserer Zeit, den Kampf dagegen aufzunehmen.

Veronika Kracher

arbeitet zum Verhältnis von Antisemitismus und Antifeminismus, zur Alt-Right, zu Online-Rechtsradikalismus und vor allem zur Incel-Community. Ihr Buch zu Incels erschien Ende September 2020 im Ventil-Verlag.

Anmerkung:

1) Grooming bezeichnet die gezielte manipulative Kontaktaufnahme Erwachsener mit Kindern und Jugendlichen (und teils deren Eltern/Betreuer*innen), um diese für spätere sexuelle Übergriffe zugänglich zu machen.

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