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Applaus von allen Seiten

Die neue Regierung in Senegal gilt als links und panafrikanisch – was ist da dran?

Von Paul Dziedzic

Aufnahme Bassirou Diomaye Faye, der aus einer Lucke oben im Auto herausragt und leicht lächelnd in die Menge winkt. Hinter ihm rote Garden auf Pferden
Mit 44 Jahren wurde er Senegals jüngster Präsident: Bassirou Diomaye Faye. Foto: picture alliance / Anadolu | Senegalese Presidency / Handout

Ein als linker Panafrikanist bezeichneter Kandidat gewinnt die Präsidentschaftswahlen in Senegal und bekommt Glückwünsche aus allen Richtungen – nicht nur von den sozialen Bewegungen, die jahrelang für die von ihm vertretene Politik gekämpft haben, nein, sogar von seinem Vorgänger, der ihn Monate zuvor ins Gefängnis geworfen hatte, ebenso wie vom überheblich auftretenden Präsidenten der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und von der internationalen Presse. Das passiert nicht alle Tage. Bassirou Diomaye Faye und seine Partei sind auf dem Ticket des Systemwandels angetreten – getragen wurden sie von einem Jahrzehnt politischer Mobilisierungen.

»Heute erinnere ich mich schmerzlich an die Märtyrer*innen der senegalesischen Demokratie – die Amputierten, Verletzten und ehemaligen Gefangenen«, sagte Bassirou Diomaye Faye bei seiner Antrittsrede. Damit bezog er sich auf die jahrelangen Repressionen der Vorgängerregierung. Denn während viele empört auf die »anti-westlichen« Militärcoups in Westafrika blickten, drohte im Senegal ebenfalls ein Staatsstreich, der weit weniger skandalisiert wurde: Fayes Vorgänger Macky Sall wollte als Präsident das Limit von zwei Amtszeiten überschreiten, was einem Verfassungscoup gleichgekommen wäre. Massive Mobilisierungen von der Straße, Protest aus den eigenen Reihen und letztlich eine neue Oppositionspartei konnten ihn aufhalten.

Die Partei des nun gewählten Präsidenten ist eng verknüpft mit den sozialen Bewegungen des letzten Jahrzehnts. Die »Afrikanischen Patrioten aus Senegal für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit« (kurz Pastef) entstanden 2014. Das war auch die Geburtsstunde der Bewegung Y’en a marre (wir haben es satt), die von Künstler*innen, Arbeiter*innen und Journalist*innen gestartet wurde und auf radikale Reformen wie Landumverteilung, bessere Regierungsführung und ein Ende neokolonialer Beziehungen zu Frankreich drängten. Zeitgleich fanden sich in den Fluren senegalesischer Ämter junge Beamt*innen zusammen, die mit der Art, wie die Dinge in ihrem Land liefen, ebenfalls unzufrieden waren. Sie gründeten Pastef. Viele Mitglieder von Pastef waren in der von liberalen und konservativen Parteien dominierten Politik nicht Teil des »Establishments«. Bei den ersten Präsidentschaftswahlen 2019 holte die Partei, die vor allem bei jungen Leuten beliebt war, den dritten Platz und wurde somit zu einer ernstzunehmenden Akteur in der Opposition.

2021 kippte die Stimmung endgültig. Infolge der Pandemie stiegen die Preise, die Löhne stiegen jedoch nicht. Mehr junge Leute kamen in einen Arbeitsmarkt, der ihnen wenig zu bieten hatte. Die Maßnahmen der konservativen Regierung unter Macky Sall waren aus Sicht vieler unzureichend. Währenddessen zeichnete sich ab, dass Pastef an Popularität gewann. Sie prangerte Korruption und Neokolonialismus an und forderte einen Systemwandel. Der Versuch, Proteste mit einer Law- und Order-Politik einzudämmen, fachte die oppositionelle Stimmung nur an. Die Verhaftung von Pastef-Chef Ousmane Sonko brachte schließlich das Fass zum Überlaufen. Demonstrant*innen bauten Barrikaden und zündeten Polizeiautos an. Die Regierung bat die Armee um Unterstützung. Insgesamt starben zwischen 2021 und 2023 über 37 Menschen, mehr als 500 wurden verhaftet. Sall sah sich angesichts der harschen Reaktion seines Sicherheitsapparates auch mit interner Kritik konfrontiert; seinem Versuch, die Wahlen zu verschieben, schob das Verfassungsgericht letztlich einen Riegel vor.

Vom Gefängnis zum Präsidentenpalast

Bassirou Diomaye Faye, der noch zehn Tage vor der Wahl im Gefängnis saß, kündigte im Falle seines Sieges einen Systemwechsel an. Das brachte ihm den Erfolg. Im mittlerweile vorgelegten Regierungsprogramm klingen die geplanten Maßnahmen abgeschwächter als noch im Wahlkampf – das Potenzial für Konflikte, auch mit den sozialen Bewegungen, die einen Teil seiner Wähler*innenbasis bilden, bleibt damit bestehen. Die Frage ist, mit wem es sich die Partei verscherzen soll: mit denen, die sie in der Hoffnung auf einen fundamentalen Wandel wählten, oder mit der alten Garde, den Rohstoffmultis und mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich.

Die Frage ist, mit wem es sich die Partei verscherzen soll.

Pastef trat vor allem mit panafrikanischen Forderungen, wie mehr Souveränität, an, mit dem Ziel, den Einfluss aus dem nicht-afrikanischen Ausland einzudämmen. So soll die von Frankreich eingeführte und bis heute an den Euro gekoppelte koloniale Regionalwährung Franc-CFA möglicherweise abgeschafft werden. Das wäre gerade für importierende Sektoren und für die Reichen im Land ein Problem. Denn das würde bedeuten, das für sie die Preise steigen könnten, wenn der Euro an Stärke gegenüber der neuen Währung gewinnt. Dieses Vorhaben möchte die neue Regierung direkt auf der regionalen Ebene lösen. Doch das käme einer Verschiebung dieses Projektes gleich: Allzu viel Interesse dürften die anderen Mitglieder der Währungsunion BCEAO nicht haben.

Außerdem sollen die Fischereiabkommen mit der EU, die bald auslaufen, möglicherweise neu verhandelt werden. Der industrielle Fischfang aus Europa und Asien bedroht die Bestände und dadurch wiederum die nationale Fischereiwirtschaft, die drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und zehn Prozent der Exporte ausmacht. Über eine halbe Million Jobs hängen an der Fischerei.

Auch die bisherigen Öl- und Gasabkommen stehen auf dem Prüfstand. In Senegal wurden 2014 erhebliche Öl- und Gasfunde gemacht. Viele kritisieren, dass der Staat selbst aber nicht genug von der Ausbeutung seiner Ressourcen profitiert. Gleichzeitig versprach die Regierung, investitionsfreundlich bleiben zu wollen. Ob aus den Verträgen wirklich mehr herauszuholen ist für die senegalesische Bevölkerung, hängt also von der Bereitschaft der neuen Regierung ab, Konflikte mit den Multis loszutreten.

Eine weitere geplante Neuerung der Regierung ist die Stärkung des regionalen Zusammenhalts. So möchte sie die Länder der Sahel-Allianz AES – bestehend aus den Militärregierungen in Mali, Burkina Faso und Niger – wieder in die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS holen. Diese waren von der Organisation ausgeschlossen worden – zwischendurch drohten sie einander sogar mit Krieg. Diese Linie der Versöhnung verfolgt die neue Regierung in Dakar jedoch nicht einfach aus reiner Solidarität: Bei einigen, vor allem bei antiimperialistischen, Vorhaben gibt es durchaus ähnliche Interessen zwischen Senegal und den AES-Staaten, beispielsweise bei der Abschaffung des Franc-CFA.

Während einige Gruppen wie die Koalition »France Dégage« (Frankreich verzieh’ dich) die neue Regierung begrüßen, gibt es auch Kritik. Vor allem feministische Anliegen werden von der neuen Regierung kaum berücksichtigt. Im neuen Kabinett, bestehend aus 25 Ministerien, sind nur vier Frauen vertreten – das ist sogar weniger als unter der vorherigen Regierung. »Das Gefühl der Enttäuschung ist nicht neu. Die Marginalisierung der Frauen im öffentlichen Raum hält seit der Unabhängigkeit an«, schreibt die senegalesische Schriftstellerin, Wissenschaftlerin und Aktivistin Rama Salla Dieng im Review of African Political Economy. Dabei seien feministische Organisationen bei politischen Kämpfen immer vorne mit dabei gewesen: Die Gewalt, Verletzungen und Verhaftungen, an die der Präsident in seiner Antrittsrede erinnerte, haben auch Frauen erlebt. Auf der gleichen Plattform warnte der nigerianische Sozialist Salvador Ousmane davor, dass der Panafrikanismus auch konservative Züge hat, unter seinem Label »gibt es Bestrebungen, die sich gegen die Rechte der Frauen oder den Schutz queerer Menschen« richten, warnt er. Dass die neue Regierung also nicht nur panafrikanisch, sondern auch links ist, muss sie erst noch unter Beweis stellen.

Zwar ist bemerkenswert, wie sich die politischen Koordinaten in nur wenigen Monaten verschieben können. Vorerst scheint es so, als sei der innere Konflikt in Senegal befriedet, und auch regional könnte das Land einen moderierenden Einfluss ausüben und die Situation deeskalieren. Der Wahlsieg deutet auch auf eine Sehnsucht nach fundamentalen Veränderungen hin, nicht nur in Senegal. Pastef könnte als Partei zudem auch Inspiration für andere Länder sein. Doch ob und wie sie die Vorhaben, mit denen sie angetreten ist, umsetzen kann, bleibt fraglich. Anderswo hat sich gezeigt, dass eine mit einer linken Agenda antretende Regierung auch schnell scheitern kann. Applaus von allen Seiten wird Faye jedenfalls nicht für immer bekommen.