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Hands off Abyssinia

In den 1930er Jahren entstand gegen den Überfall Italiens auf Äthiopien die erste globale antikoloniale Bewegung

Von Paul Dziedzic und Johannes Tesfai

Historische Aufnahme. Mehrere Kämpfer lehnen sich an einem Hang in langem Gras. Sie zielen alle auf eine Anhöhe.
Italien konnte seine Herrschaft über Äthiopien nie stabilisieren. Guerillakämpfer*innen führten den Kampf fort. Foto: No 1 Army Film & Photographic Unit / Wikimedia / gemeinfrei.

Schwarze Menschen stehen in der adretten Mode der 1930er Jahre auf dem Gehweg in einer langen Schlange. Das matte Licht der grobkörnigen Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt ihre interessierten Gesichter. Nacheinander geben sie ihre persönlichen Daten einem Mann, der sie säuberlich in eine Liste einträgt. Auf seinem Tisch ein Schild, auf dem auf Englisch geschrieben steht: »Äthiopische Freiwillige hier registrieren.« Die Aufnahmen stammen aus dem New Yorker Stadtteil Harlem und zeigen Afroamerikaner*innen, die sich melden, um an der Seite Äthiopiens gegen eine Invasion Italiens zu kämpfen.

1935 überfiel das faschistische Italien das ostafrikanische Land. Mussolini und die Beamt*innen seines autoritären Staates wollten das christliche Kaiserreich kolonisieren. Sie sahen es als wichtigen Baustein, um dem gewünschten Weltmachtstatus Italiens näher zu kommen. Gleichzeitig traf der Konflikt auf eine Welt, die noch in Kolonien aufgeteilt war.

Äthiopien oder Abessinien, wie es damals genannt wurde, war zu dieser Zeit das einzige Land im Völkerbund, der Vorgängerorganisation der Vereinten Nationen, das auf dem afrikanischen Kontinent existierte. Zudem war es, neben Haiti und Liberia, das einzige Land mit einer mehrheitlich Schwarzen Bevölkerung, das im kolonialen Zeitalter seine Unabhängigkeit behaupten konnte. Es hatte Italien schon 1896 in der Schlacht von Adua besiegt und damit seine Kolonisierung verhindert. Für Viele auf dem afrikanischen Kontinent war der Sieg das Gegenbild zur eigenen Niederlage in den Kolonialkriegen. Für die Faschist*innen war es eine Niederlage, die aus den Geschichtsbüchern getilgt werden sollte.

Geopolitische Falle

Als Italien im Oktober 1935 dort ein zweites Mal mit seiner Armee einmarschierte, entpuppte sich das diplomatische Parkett als geopolitische Falle für das afrikanische Land. Zwar verhängte der Völkerbund Sanktionen über Italien, aber kriegswichtige Güter wie Öl waren davon ausgenommen. Der einzige Staat, der nach Äthiopien größeres Kriegsgerät lieferte, war das nationalsozialistische Deutschland. Historiker*innen gehen davon aus, dass die Nazis im Schatten der äthiopischen Krise ihren Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland vorbereiteten, der 1936 erfolgte. Andererseits wollte die nationalsozialistische Regierung seinen ideologischen und politischen Verbündeten Italien in dem Konflikt binden, um ihn abhängiger von sich zu machen und ungestört seine Expansionspläne Richtung italienische Grenze, namentlich Österreich, voranzutreiben. Gleichzeitig wirkte das vom Völkerbund auferlegte wirtschaftliche Embargo gegenüber Italien nicht. Denn Deutschland, das 1933 aus dem Völkerbund ausgetreten war, betrieb weiterhin einen regen Handel mit Italien. Auch die USA, die nie Teil des Völkerbundes waren, waren ein wichtiger Wirtschaftspartner.

Das vom Völkerbund auferlegte wirtschaftliche Embargo gegenüber Italien wirkte nicht.

In Europa war der Überfall auf Äthiopien kaum Thema in der bürgerlichen Öffentlichkeit. Die Kolonialmächte, vor allem Großbritannien, hegten selber Eroberungspläne für das vom Kolonialismus verschont gebliebene Land. In der Karibik, Afrika oder Nordamerika, aber auch in den Großstädten von Frankreich und Großbritannien entstand eine bedeutende internationale Kampagne, die eine Blaupause für eine globale Solidaritätsbewegung der kommenden Jahrzehnte liefern sollte.

Die Kriegsführung Italiens war etwas Neues. Das im Ersten Weltkrieg erprobte Gas warfen die faschistischen Truppen großflächig über den Schlachtfeldern ab, aber genauso über der einfachen Bevölkerung, verseuchten damit Wasserquellen oder töteten Nutztiere. Die Angriffe auf die Bewohner*innen des Landes waren vernichtend und total, auch durch eine bis dahin nie da gewesene Ausweitung des Luftkriegs. Innerhalb eines halben Jahres marschierten Truppen Italiens in der Hauptstadt Addis Abeba ein. Daraufhin sahen sie sich im ganzen Land mit einem ungleichen Guerillakrieg konfrontiert.

Dezentrale Solidarität

Politisch trafen zwei Bewegungen aufeinander, die durch den Krieg der Italiener*innen noch weiter wuchsen und näher aneinanderrückten. Die kommunistische Bewegung agitierte gegen den Kolonialismus und versuchte zu dieser Zeit, Parteien in den Kolonien aufzubauen. Gleichzeitig wuchs ein panafrikanisches Milieu in den Schwarzen Communities der Welt heran, das die Dekolonisierung mit neuen Mitteln vorantreiben wollte. Antikoloniale Befreiung und kommunistische Revolution fanden in der Solidarität mit der äthiopischen Bevölkerung einen gemeinsamen Nenner, dies mischte sich mit dem entstehenden Antifaschismus, der sich gegen die neuen autoritären Regime in Europa engagierte.

Wichtig war hier vor allem eine neue Gegenöffentlichkeit. Kommunistische und panafrikanische Zeitungen berichteten über den Kriegsverlauf und brachten Analysen zu diplomatischen und wirtschaftlichen Manövern der »alten« Kolonialmächte. Aber beim Schreiben und Kommentieren blieb es nicht: Schon bald nach der Invasion organisierten Gewerkschaften, panafrikanische Vereine und kommunistische Parteien auf beiden Seiten des Atlantiks eine Kampagne unter dem Motto »Hände weg von Äthiopien«.

In Südafrika waren die Formen des Widerstandes sehr divers. Ein Zulu-Anführer bot dem äthiopischen Kaiser 6.000 seiner Kämpfer*innen an, während in der Hafenstadt Durban das Beladen italienischer Schiffe durch Hafenarbeiter*innen boykottiert wurde. Schon vor dem Krieg gab es in Südafrika eine aktive Gewerkschaftsbewegung. Befeuert wurde die Boykottbewegung durch Versammlungen der Liga gegen den Imperialismus, einer Vorfeldorganisation der Komintern. Diesen »Boykott von unten« praktizierten auch Hafenarbeiter*innen in Trinidad & Tobago, wo eine Gewerkschaftsbewegung im Aufbau war. Die Länder in der Karibik litten besonders stark unter den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, die im New Yorker Börsencrash von 1929 ihren Anfang nahm. Gleichzeitig waren die Menschen in der Karibik es leid, von der Kolonialmacht Großbritannien regiert zu werden.

Auch aus den USA gab es vereinzelt Berichte von Boykotten. Doch hier wurden diese nicht nur von Hafenarbeiter*innen umgesetzt, die sich weigerten, Schiffe für Italien zu beladen. In den USA lebte eine große italienische Community, von der nicht wenige Mussolini zujubelten. In New York oder Chicago – Städte mit Pro-Mussolini-Bürgermeistern – kam es zu Boykotten von und Angriffe auf italienische Läden. Mehrmals gab es in New York Scharmützel zwischen weißen und Schwarzen Arbeiter*innen und Mussolini-Fans.

George Padmore sitzt im Anzug und liest interessiert eine Zeitung. Er lehnt sich auf einen Stapel Zeitungen. Er raucht eine Pfeife.
George Padmore verfolgt das Geschehen: Panafrikanische und kommunistische Presse liefen beim Thema Äthiopien heiß. Foto: Via Novara Media

Viele der Schriften, die in den Metropolen als »umstürzlerisch« verboten waren, erreichten die Kolonien dank organisierter Matrosen. Doch auch Kommentator*innen in Ghana, Sierra Leone oder Nigeria übten Kritik an ihrer eigenen Kolonialmacht und bereiteten dadurch den Boden für die spätere Unabhängigkeit. Samuel Kwadwo Boaten Asante schreibt, dass sich vor allem in Westafrika Akteure mehr für das Geschehen außerhalb der kolonialen Grenzen interessierten; eine weitere Voraussetzung für spätere Unabhängigkeitsbewegungen. Eine erste globale antikoloniale Bewegung war entstanden.

Für oder gegen den Kommunismus

Doch in dieser »Populären Front« gab es durchaus auch Diskussionen, ging doch die Verteidigung Äthiopiens einher mit der Aufrechterhaltung eines feudalen Kaiserreichs. Kaiser Haile Selassie repräsentierte vieles, was kommunistische Gruppen bekämpften. Für einige Linke bedeutete die Solidaritätsarbeit auch eine Abkehr von ihren Idealen. Die britische Linkskommunistin und Suffragette Sylvia Pankhurst war in der 1920er Jahren eine wichtige Protagonistin der englischen Arbeiter*innenbewegung und diskutierte mit Lenin und Anton Pannekoek über die Ausrichtung der Kommunistischen Internationale (Komintern). In London gab sie eine Zeitung zur Unterstützung Äthiopiens heraus, die eine beträchtliche Auflage hatte. Nach dem Ende des Krieges ging sie nach Äthiopien, wurde Anhängerin des Kaisers Haile Selassie und forschte bis zu ihrem Tod zur Kulturgeschichte Äthiopiens. Auch der karibische Kommunist George Padmore wendete sich vom Kommunismus ab, weil ihm die Komintern gegenüber Italien nicht konsequent genug war.

Das am Ende die Kolonialmacht Großbritannien den Kaiser zurück auf den Thron brachte, war eine doppelte Niederlage für die Solidaritätsbewegung. Zwar waren die Italiener*innen und ihre Ideen eines rassistisch segregierten Kolonialstaates verschwunden, aber nicht ohne die Hilfe der Weltmacht aus London, und die Monarchie war auch nicht Geschichte. Die Bewegung blieb aber ein Experimentierfeld antikolonialer Vernetzung. Sie war ein verbindendes Moment im »Schwarzen Atlantik«, vorangetrieben vor allem durch die kommunistische Fraktion.

Zwei afroamerikanische Piloten, John C. Robinson und Hubert Julian, schafften es nach Äthiopien. Sie flogen Einsätze für die winzige Luftwaffe des überfallenen Landes. Die jungen Afroamerikaner*innen, die sich an den Ständen der Defense Committees in Harlem für den Krieg meldeten, schafften es indes nie dahin. Die US-Regierung verweigerte ihnen die Ausreise, wie auch die Kolonialmächte ihren Untertanen. Die USA betrieben weiter Handel mit Italien.

Johannes Tesfai

ist Redakteur bei ak.

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