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Arbeitskampf hinter den Kulissen

Techniker*innen, Handwerker*innen und Künstler*innen, die für Nachschub bei Netflix & Co. sorgen, begehren auf

Von Kornelia Kugler

rund um einen Feuerlöscher lehnt eine riesige Menge Schilder(Aufschriften: "On Strike", "Fighting for living wages") an der Wand
Noch nie in ihrer 128-jährigen Geschichte hat die Gewerkschaft der Arbeiter*innen in der Unterhaltungsindustrie gestreikt - fast wäre es nun soweit gewesen. Foto: IATSE

Wir kämpfen dafür, dass die mächtigsten Medienkonzerne der Welt die Film- und Fernsehschaffenden, die ihre Inhalte produzieren, mit grundlegender Menschenwürde behandeln«, twittert die Gewerkschaft der Unterhaltungsindustrie für Theater-, Film- und Fernsehproduktionen IATSE. Mitte Oktober sah es so aus, als könnte die USA-weite Streikwelle »Striketober« auch in Hollywood ankommen und es auf den Kanälen von Netflix und Co tatsächlich »still werden«.

Nachdem monatelange Verhandlungen zwischen der IATSE und der Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP), dem Gewerbeverband der Produzent*innen, zu keiner Einigung geführt hatten, stimmten die Gewerkschaftsmitglieder mit 98.68 Prozent dafür, am 18. Oktober in einen landesweiten Streik zu treten. Die IATSE vertritt über 150.000 Techniker*innen, Handwerker*innen und Künstler*innen, die »below the line« arbeiten, wie es in der Branche heißt, also hinter den Kulissen dafür sorgen, dass die Kino-, Streaming- und TV-Programme produziert werden können.

Unter dem Hashtag #IALivingWage und in den Verhandlungen wurden ein Mindestlohn von 26 US-Dollar, längere Mindestpausenzeiten zwischen Drehtagen und Wochenenden, verbesserte Gesundheits- und Pensionsfonds, Einhaltung der Essenspausen und das Ende der Einstufung von Serien und Filmen, die für Streamingdienste wie Netflix hergestellt werden, als »New Media Productions« mit noch schlechteren Arbeitsbedingungen gefordert.

Im Auto schlafen

Rund um die Verhandlungen veröffentlichte der Instagram Account IATSE Stories (@ia_stories) anonyme Berichte über ausbeuterische Arbeitsbedingungen: Crew-Mitglieder, die in ihren Autos schlafen, weil die Zeit nicht reicht, um zwischen Drehtagen nach Hause zu fahren, Unfälle wegen Müdigkeit und durch Überarbeitung, zwölf- bis 18-stündige Arbeitstage ohne Pausen, um zu Essen oder auf die Toilette zu gehen, gescheiterte Beziehungen und Burnouts sind die Normalität. Gender und racial pay gaps kommen dazu. Werden on screen Diversität und Accessibility endlich mehr Aufmerksamkeit zuteil, machen es die Bedingungen, unter denen Filme und Serien hergestellt werden, vielen schwer, in der Industrie zu arbeiten: 18-Stunden-Tage privilegieren bestimmte Arten von Beziehungen und Arbeitsteilungen. Auch werden die extrem hohen Produktionskosten und die Bezahlung von Studio-Bossen und Stars im Vergleich zu den Gehältern der Arbeiter*innen kritisiert. In einem Beitrag auf IATSE Stories wird geschätzt, dass das Verhältnis des Gehalts eines CEOs zu dem einer Ausstatter*in 536 zu 1 beträgt. Auch das trägt zu den viel zu dichten Produktionszeitplänen bei: Eine zusätzliche Woche am Set für eine*n A-Listen-Schauspieler*in kostet viel mehr Geld als Bußgelder für die Überstunden von 100 »below the line«-Crewmitgliedern.

Als die Serien-Produktionen nach den Lockdowns wieder starteten, sollten die Ausfälle durch noch exzessivere Arbeitszeiten kompensiert werden.

Wie die anderen Striketober-Kämpfe hängt der Arbeitskampf der IATSE auch mit der Covid-19-Pandemie zusammen: Im Frühjahr 2020 mussten die Produktionen pausieren, erst nach und nach konnte die Arbeit wieder aufgenommen werden. Das führte, zusammen mit dem gleichzeitigen hohen Konsum von Streamingangeboten während der Lockdowns, dazu, dass neue Staffeln beliebter Serien nicht schnell genug nachgeliefert werden konnten. Als die Produktionen wieder starteten, sollten die Ausfälle durch noch exzessivere Arbeitszeiten kompensiert werden.

Probleme wie überlange Arbeitszeiten waren schon vor der Pandemie virulent in der Filmindustrie, aber durch den Druck, noch schneller noch mehr Serien und Filme zu produzieren, und den durch die »Great Resignation« (die große Kündigungswelle in den USA) entstandenen Arbeitskräftemangel, hat die Drohung zu streiken, der Gewerkschaft eine bessere Position in den Verhandlungen verschafft. »Aufgrund von Covid-19 beginnen die Leute zu erkennen, dass bis zum Umfallen zu arbeiten keine gute Art zu leben ist«, so Steve Dayan von der IASTE Sektion Local 399, die Transportkoordinator*innen, Drehortmanager*innen, Casting-Direktor*innen, Tierpfleger*innen und Fahrer*innen vertritt, in der LA Times. Die Fahrer*innen, die die Schauspieler*innen zu und von den Drehorten transportieren, arbeiten in 16-Stunden-Schichten.

Streik abgewendet

Am 16. Oktober wurde der Streik allerdings doch noch abgewendet. Die IATSE und die AMPTP erzielten eine vorläufige Einigung: Das neue »Hollywood Basic Agreement«, das die nächsten drei Jahre gelten soll, sieht Verbesserungen der Pausenzeiten zwischen Drehtagen und Wochenenden vor, höhere Essenszuschläge, jährlich drei Prozent Lohnsteigerungen und einen verbesserten Mindestlohn.

Die Gewerkschaft hat also zunächst nicht den ersten landesweiten Streik in ihrer 128-jährigen Geschichte ausgerufen. Es wird aber berichtet, dass viele IATSE-Mitglieder gegen die vorgeschlagene Vereinbarung stimmen wollen, weil sie die untragbaren Arbeitsbedingungen am Set nur wenig verändern würde. Einige Mitglieder sind der Meinung, dass die IATSE-Führung durch die Nichtnutzung der Streik-Autorisierung eine historische Chance vertan hat.

Dass in der Kulturindustrie oft genau jene Verwerfungen herrschen, die in ihren Produkten kritisiert werden, ist nichts Neues. In einer Branche, die so sehr von persönlichen Beziehungen abhängt, fällt es schwer, sich zu beschweren, geschweige denn zu organisieren. Machtmissbrauch und miese Arbeitsbedingungen werden gerade in Berufen, die kreative Selbstverwirklichung und kulturelles Kapital versprechen, oft hingenommen. Der*die Nächste steht schon bereit, um den Job zu noch schlechteren Bedingungen zu übernehmen. Am Set des Films »Rust« war am selben Tag, an dem die Kamerafrau Halyna Hutchins wahrscheinlich durch Nachlässigkeit im Umgang mit Setwaffen tödlich verunglückte, zuvor die gewerkschaftlich organisierte Kameracrew durch eine Non-Union-Crew ersetzt worden. Die Kameraleute hatten bessere Arbeitsbedingungen gefordert.

Kornelia Kugler

ist Filmemacherin und Teil des queerfeministischen Filmkollektivs Systrar Productions.