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Neuer wilder Trucker-Streik in Gräfenhausen

An der A5-Raststätte haben wieder georgische Fahrer des Unternehmens Mazur ihre LKW abgestellt, um gegen Lohnprellerei zu protestieren

Von Jan Ole Arps und Nelli Tügel

Blick durch zwei eng nebeneinander geparkte blaue LKW, durch die man das Fahrerhaus eines dritten mit der Aufschrift "Agmaz" sieht
Hat einmal geklappt, klappt vielleicht wieder: Zehn LKW stehen, Stand Mittwoch, teils beladen am Rastplatz Gräfenhausen und bewegen sich nicht mehr. Foto: Faire Mobilität

In Gräfenhausen ist wieder was los. Die Autobahnraststätte an der A5 zwischen Frankfurt am Main und Darmstadt, die im Frühjahr Schlagzeilen machte, als gut 60 LKW-Fahrer aus Georgien und Usbekistan dort mit einem mehrwöchigen wilden Streik die Zahlung ausstehenden Geldes, insgesamt 300.000 Euro, erkämpften, ist abermals Schauplatz eines spontanen Trucker-Streiks. Wieder geht es um vorenthaltene Zahlungen und ungerechte Abzüge, wieder sind es georgische Fahrer, die in den Ausstand getreten sind, und wieder fahren sie für die polnische Unternehmensgruppe Mazur, die schon im Frühjahr in der Kritik stand.

»Es sind die gleichen blauen LKW mit den gleichen Aufschriften, die wir schon im Frühjahr gesehen haben: Lukmaz, Agmaz, Imperia«, sagt Anna Weirich von der Beratungsstelle Faire Mobilität des Deutschen Gewerkschaftsbundes. »Der einzige Unterschied ist, dass auf manchen Planen die Logos abgeknibbelt sind, vielleicht, weil die Firma ein Imageproblem hat.«

Anna Weirich war im Frühjahr wochenlang in Gräfenhausen und hatte, gemeinsam mit ihren Gewerkschaftskollegen Edwin Atema von der niederländischen FNV, die Fahrer bei den Verhandlungen mit dem Unternehmen unterstützt. Seit Mittwochfrüh ist sie nun wieder vor Ort. »Es fühlt sich sehr vertraut an. Die Probleme sind die gleichen, die Forderungen der Fahrer nach Begleichung von Zahlungen, die Mazur ihnen schuldet, und der Rücknahme von Strafabzügen ebenfalls.« Überschneidungen mit denen, die im Frühjahr gestreikt hatten, gibt es nicht, von ihnen arbeitet niemand mehr für die Firma. Aber Tipps haben sich die nun Streikenden von ihren Ex-Kollegen offenbar geholt, unter anderem den Kontakt zu Faire Mobilität und dem georgischen Gewerkschaftsverband. »Auch die Polizei hatten die Kollegen bereits verständigt«, so Weirich.

Aktuell hätten zehn georgische Fahrer ihre Trucks am Rastplatz abgestellt, manche der Fahrzeuge mit Ladung. »Ob noch mehr kommen, weiß ich nicht; die Fahrer sagen, dass weitere Kollegen auf dem Weg nach Gräfenhausen seien. Das Problem betrifft jedenfalls mehr als die zehn Fahrer, die hier sind«, betont Weirich. Auch ein Vertreter des Unternehmens sei vor Ort, die Fahrer verhandelten schon telefonisch mit der Firma, einige sollen bereits Geld erhalten haben. Das wäre in der Tat eine Neuigkeit, eventuell ein Hinweis darauf, dass das Unternehmen versucht, weitere Negativschlagzeilen zu vermeiden.

Der Streik im Frühjahr

Im März und April hatte sich Unternehmer Lukas Mazur zunächst wochenlang geweigert, die Schulden bei den als scheinselbstständig tätigen Truckern zu begleichen, am Osterwochenende hatte er sogar einen paramilitärischen Schlägertrupp der Detektei Rutkowski geschickt, um die Arbeiter einzuschüchtern. Gegen den Trupp wird inzwischen ermittelt, unter anderem wegen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz – die Männer waren in einem gepanzerten Militärfahrzeug nach Gräfenhausen gereist.

Nach fünf Wochen zähen Ringens, das die bargeldlosen Fahrer wegen der großen Solidarität auch aus der Bevölkerung durchhalten konnten, knickte das Unternehmen schließlich ein. Vor allem ein wertvolles Bauteil, das der Konzern General Electric für den Weiterbau einer Anlage in der Schweiz benötigte, das aber auf der A5-Raststätte Gräfenhausen-West festhing, hatte am Ende dafür gesorgt, dass Unternehmer Mazur seine Blockadehaltung aufgeben musste.

Dass die Fahrer auf dieselbe Weise Druck machen und sogar den symbolischen Rastplatz abermals ansteuern, zeigt: Es spricht sich herum, wenn erfolgreich gekämpft wird.

Dass das Unternehmen sich nun von Anfang an gesprächsbereit gibt, könnte also durchaus daran liegen, dass es eine Wiederholung des Szenarios von März und April fürchtet. Dass die Fahrer auf dieselbe Weise Druck machen, offenkundig in dem Wissen, dass es funktionieren kann, und dafür sogar den symbolischen Rastplatz abermals ansteuern, zeigt wiederum, dass es sich herumspricht, wenn erfolgreich gekämpft wird.

Die schlechte Nachricht ist: Am Geschäftsmodell des Firmenkonsortiums hat sich nichts geändert. Die Unternehmensgruppe Mazur mit ihren über 1.000 Fahrzeugen gehört zu jenem Sub-Sub-Subunternehmersystem, bei dem Firmen aus Westeuropa westeuropäische Speditionen beauftragen, die den Warentransport wiederum über Fuhrunternehmen aus Osteuropa abwickeln, die ihrerseits – oft scheinselbstständige – Fahrer aus Nicht-EU-Ländern beschäftigen. Mit Hilfe solcher Auftragsketten drücken die Firmen die Transportkosten und unterlaufen geltendes Arbeitsrecht. Das Modell ist weit verbreitet. Wie viele Fahrer es genau betrifft, ist schwer zu sagen, da es hierzu kaum Daten gibt. Eine Annäherung ist über die Zahl der Fahrerlaubnisse möglich, die Menschen mit einem außerhalb der EU ausgestellten Führerschein brauchen, um hier zu fahren. Die Zahl dieser Fahrerlaubnisse hat sich zwischen 2012 und 2020 verfünffacht und lag 2020 bei knapp 230.000. Fast 90 Prozent davon wurden in den osteuropäischen EU-Staaten ausgestellt, gut 170.000 allein in Polen und Lettland.

Ausbeuterisches Geschäftsmodell

Für die Trucker heißt das, dass sie oft monatelang in ihren Fahrzeugen in Westeuropa unterwegs sind, fast nie den hiesigen Mindestlohn erhalten, der ihnen eigentlich zusteht, sondern zu Tagessätzen von 80 bis 90 Euro fahren. Oft schlafen sie die gesamte Zeit in den Kabinen, Kosten für die Benutzung sanitärer Anlagen auf den Raststätten müssen sie selbst tragen, oder sie werden mit den Löhnen verrechnet. Da ihre Visa, die sie zum Fahren innerhalb des Schengen-Raums benötigen, an den Arbeitsvertrag gekoppelt sind, sind sie zudem leicht erpressbar.

Beim Streik im Frühjahr hatten Mazur-Fahrer erzählt, dass bei der Firma überhaupt keine EU-Bürger fahren würden. Ihre Kollegen kämen aus den Philippinen, aus Nepal, der Türkei, Usbekistan und der Ukraine. Die Fahrer berichteten auch, dass die Löhne sich nach Nationalität unterscheiden. Ein geteiltes Schicksal: Selbst bei kleineren Schäden an den Fahrzeugen, etwa Kratzern oder Rissen in der Plane, drohten oft drastische Lohnabzüge von mehreren hundert Euro, obwohl solche Schäden versichert seien.

Gewerkschaftliche Organisierung ist unter diesen Umständen schwierig. Wilde Streiks wie der im Frühjahr in Gräfenhausen können unter bestimmten Bedingungen eher zum Erfolg führen. Zu diesen Bedingungen gehören neben einigen anderen Dingen: die Solidarität von Menschen, die in der Nähe wohnen, und öffentlicher Druck.

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.

Nelli Tügel

ist Redakteurin bei ak.

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