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»Nein zum Krieg!«

Linke Stimmen aus Russland und der Ukraine

Eine Person mit Maske und Schwarzer Mütze steht in einer Menge bei Nacht und hält ein Schild, wo in kyrillischer Schrift draufsteht "kein Krieg"
Am Abend der Invasion gingen in zahlreichen Städten in Russland Menschen auf die Straßen, um gegen den Krieg zu demonstrieren, hier in Moskau. Foto: Виталий Малышев / Avtozak LIVE , CC BY 4.0

In zwischenstaatlichen Eskalationen und Kriegen richten sich alle Blicke auf die Entscheidungen und nächsten Handlungen der Mächtigen. Wir wollen Stimmen von unten stärken und dokumentieren daher übersetzte Auszüge von Statements unterschiedlicher linker Gruppen aus beiden Ländern.

»Die Kriegstreiber sind im Gegensatz zu uns perfekt organisiert«

Erklärung russischer Sozialist*innen der Gruppe Socialisticheskaja Alternativa vom 24. Februar 2022

»Unter dem Deckmantel der Sorge um die Menschen im Donbass führt Putins Regime einen Krieg gegen die Ukraine. Es handelt sich um einen Angriffskrieg, mit dem imperiale Ziele verfolgt werden: die Strangulierung des ukrainischen Volkes und die Neuaufteilung der Einflusssphären in Osteuropa.

Wir bekunden unsere Solidarität mit der ukrainischen Arbeiter*innenklasse und allen Unterdrückten im Kampf gegen den russischen Imperialismus. Wir fordern ein sofortiges Ende dieses Krieges und die Rückkehr aller Truppen nach Hause! Heute träumt das Putin-Regime davon, den Status Russlands als Weltmacht wiederzuerlangen, der mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verloren gegangen ist. Putin fühlt sich stärker als je zuvor in den vergangenen 20 Jahren: Das Land hat 640 Milliarden Dollar an Devisenreserven angehäuft, eine Partnerschaft mit China aufgebaut und Europa von russischem Gas abhängig gemacht, die Opposition im eigenen Land ist unterdrückt, und die russische Bevölkerung wird durch immer neue Repressionen eingeschüchtert. Mit dem Angriff auf die Ukraine leitet der russische Imperialismus eine gewaltsame Neuaufteilung von ganz Osteuropa ein, dem Territorium, das für den westlichen Imperialismus, der dort seit langem Truppen und Stützpunkte unterhält, von Interesse ist. Putin (…) will also auch die osteuropäischen Nato-Mitglieder einschüchtern, um ihnen zu zeigen, wer der wahre Herr in der Region ist. Diese Kriegspolitik Putins droht, immer mehr Länder in den Konflikt hineinzuziehen, und könnte zu einem groß angelegten Krieg zwischen den verschiedenen imperialistischen Mächten eskalieren, wie es ihn in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat.

Wir müssen eine Anti-Kriegs-Bewegung von unten aufbauen, die in den Betrieben und Universitäten verankert und in der Lage ist, durch Streiks und Massenproteste ein Ende des Krieges und die Rückkehr der Truppen nach Hause durchzusetzen. Sprecht mit allen in eurem Umfeld – Familie, Freund*innen, Kolleg*innen, Kommiliton*innen – darüber, dass der Krieg beendet werden muss; dass Solidarität mit den Ukrainer*innen, die unter Putins militärischer Aggression leiden, notwendig ist. Geht alleine oder gemeinsam mit solidarischen Menschen auf die Straße, um Plakate aufzuhängen und Anti-Kriegs-Flugblätter zu verteilen. Es ist äußerst wichtig, die Haltung gegen den Krieg sichtbar zu machen: Viele Menschen wollen keinen Krieg, aber Putins Propaganda versucht, sie davon zu überzeugen, dass er unvermeidlich ist. Daher ist es wichtig, Antikriegspropaganda auf allen möglichen Wegen in der Öffentlichkeit zu betreiben, nicht nur im Internet.

Für jede Massenbewegung von unten ist die Organisierung der Schlüssel. Die Kriegstreiber sind im Gegensatz zu uns perfekt organisiert: Sie verfügen für ihre unmenschlichen Aktivitäten über eine Geheimdiplomatie, Sicherheitsräte, über Medien unter ihrer Kontrolle und unsere Steuergelder. Wir hingegen müssen einen enormen Aufwand betreiben, nur um eine Meinung öffentlich zu machen. Wir müssen Anti-Kriegs-Komitees an unseren Arbeitsplätzen und Universitäten gründen:

Die vorbereitenden Arbeiten in vorangegangenen Phasen eröffnen nun Möglichkeiten für Massenproteste. Es werden erhebliche Anstrengungen erforderlich sein, vor allem unter den repressiven Bedingungen in Russland, aber wir sind davon überzeugt, dass es weit mehr Kriegsgegner*innen gibt, als derzeit wahrgenommen wird; dies zeigen auch die Meinungsumfragen. Durch geschickte Agitation, Propaganda und Organisierung kann diesen Stimmungen ein direkter Ausdruck verliehen werden, der nicht mehr ignoriert werden kann. Hunderttausende Menschen auf der Straße, die den Abzug aller Truppen und ein Ende des Krieges fordern – das ist eines der Ziele der Antikriegsbewegung.

Wie die Erfahrung der Proteste gegen den Krieg im Irak und in Afghanistan zeigt, können diese jedoch erfolglos Monate und sogar Jahre andauern. Wir müssen den wichtigsten Teil der Kriegsmaschinerie treffen – die Wirtschaft und die Profite der herrschenden Klasse –, und dazu müssen wir Massenstreiks organisieren. Sie haben das stärkste Potenzial, selbst einen bereits laufenden Krieg zu beenden.

Der Erfolg der Streiktaktik wird nicht nur auf der Abneigung gegen den Krieg beruhen, sondern auch auf der angewachsenen Unzufriedenheit mit der Art und Weise, wie wir schon vor dem Krieg gelebt haben – mit ständig steigenden Preisen, niedrigen Löhnen, der Verzweiflung über Verschuldung und ohne die Möglichkeit, die Entscheidungen zu beeinflussen, die das Schicksal der Gesellschaft, in der wir leben, bestimmen. Die Anwendung der traditionellen Kampfmethoden der Arbeiter*innenklasse wäre ein geeigneter und inspirierender Schritt, um noch mehr Menschen in den Protest einzubeziehen und zu zeigen, wer hier eigentlich mächtig ist.

Die Anti-Kriegs-Bewegung hat das Potenzial, passende Instrumente und Taktiken für den Kampf. Es fehlt nur noch ihr – diejenigen, die durch ihre eigenen Anstrengungen beginnen, uns diesen Möglichkeiten näher zu bringen und eine organisierte Kraft gegen all die Kriegstreiber aufzubauen: die Politiker und Oligarchen, die nicht nur die Macht an sich gerissen haben, sondern auch das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden.«

Dank an Christoph Wälz für die Übersetzung. Der Aufruf im russischen Original

»Zeit für internationale Anti-Kriegs-Solidarität«

Ein Appell von Sozialist*innen der Gruppe Sotsialniy Rukh aus der Ukraine, bereits am 10. Januar 2022 erschienen

»Der Kreml hat die russische Armee an die ukrainischen Grenzen beordert und droht zu intervenieren, wenn die USA, die Nato und die Ukraine ihre Forderungen nicht erfüllen. Wir, die ukrainischen Sozialist*innen, rufen die internationale Linke auf, die imperialistische Politik der russischen Regierung zu verurteilen und Solidarität mit Menschen zu zeigen, die unter dem Krieg gelitten haben, der fast acht Jahre gedauert hat, und die möglicherweise unter einem neuen leiden.«

Der vollständige Aufruf in Englisch

»Wir erklären unsere Solidarität und Unterstützung für unsere Freund*innen in der Ukraine«

Statement von Friday for Future Russia vom 24. Februar 2022

»In einer Situation, in der die Welt unter Klima-, Umwelt- und anderen Krisen leidet, wird ein Krieg diese Krisen nur verschlimmern, aber nicht zu ihrer Lösung beitragen. (…) Wir wollen nicht mit Blut und Tod in Verbindung gebracht werden, weil wir das für uns und unsere Freund*innen nie wollten. Die Handlungen unserer Regierung sind nicht unsere Handlungen.«

Das vollständige Statement auf Englisch

»Solidarität statt Bomben«

Aus Moskau schreiben die Aktivist*innen von Food Not Bombs am 25. Februar 2022

»Wir werden uns nie auf die Seite dieses oder jenes Staates stellen, unsere Flagge ist schwarz, wir sind gegen Grenzen und Schmarotzer-Präsident*innen. Wir sind gegen Kriege und die Ermordung von Zivilist*innen. Paläste, Jachten, Gefängnisstrafen und Folter für oppositionelle Russ*innen reichen Putins imperialer Bande nicht aus (…), und so fallen die Verteidiger des Vaterlandes in die Ukraine ein und bombardieren Wohngebiete. (…) Wir müssen uns dem militaristischen Regime und dem Krieg, den es führt, mit aller Kraft widersetzen. Verbreitet Informationen unter euren Genoss*innen, kämpft so gut ihr könnt. No war but class war. Solidarität statt Bomben.«

Das vollständige Statement auf Englisch

Mehrere Demonstrant*innen haben sich eingehakt
Demonstrant*innen auf einer Antikriegsdemonstration in Moskau am 24. Februar 2022. Foto: Виталий Малышев / Avtozak LIVE , CC BY 4.0

»Für die Unabhängigkeit, das Leben und eine freie Zukunft«

Ein Einspruch und Aufruf ukrainischer Sozialist*innen und der Ukraine Solidarity Campaign vom 24. Februar 2022

»Russische Soldat*innen, Flugzeuge und gepanzerte Fahrzeuge greifen die ukrainischen Streitkräfte in allen Grenzregionen an (…). Ihre Raketen erreichen sogar Städte in der Westukraine. Die Verteidiger*innen der Ukraine leisten derzeit erbitterten Widerstand gegen die Besatzer*innen. Aufgrund dieser außergewöhnlichen Umstände sollte die ukrainische Regierung strategische Unternehmen verstaatlichen und das Eigentum von Milliardär*innen beschlagnahmen, um den Zugang der Bevölkerung zu Medikamenten, Transportmitteln, Wohnungen und Lebensmitteln zu gewährleisten. (…) Wir halten es für notwendig, uns an freiwilligen Aktivitäten zu beteiligen und gegenseitige Hilfe durch Gewerkschaften und andere Gemeinschaften zu organisieren. Wir rufen Sozialist*innen auf der ganzen Welt auf, auf die Straße zu gehen und ein Ende der russischen Aggression in der Ukraine zu fordern, es müssen strenge Sanktionen gegen die russische Wirtschaft verhängt werden (Abkopplung von SWIFT, Beschlagnahmung des Eigentums der Oligarchen), die russischen Truppen müssen abgezogen und die Bombardierung von Städten eingestellt werden, der Ukraine müssen die Auslandsschulden erlassen und humanitäre Hilfe für das Land geleistet werden. Es ist an der Zeit, gemeinsam für die Unabhängigkeit, das Leben und eine freie Zukunft zu kämpfen! Die Solidarität wird siegen!«

Der vollständige Aufruf auf Englisch

»Ein Akt imperialistischer Aggression«

Erklärung russischer Anarchist*innen (Autonome Aktion) vom 22. Februar 2022

»Wir wollen nicht für irgendwelche Staaten Stellung beziehen. Wir sind Anarchist*innen und sind gegen jede nationale Grenze. Aber wir sind gegen diese Annexion, weil sie nur neue Grenzen schafft, und die Entscheidung darüber trifft allein der autoritäre Führer – Wladimir Putin. Dies ist ein Akt imperialistischer Aggression durch Russland. Wir machen uns keine Illusionen über den ukrainischen Staat, aber es ist uns klar, dass er nicht der Hauptaggressor in dieser Geschichte ist – es handelt sich nicht um eine Konfrontation zwischen zwei gleichwertigen Übeln.«

Die Erklärung im Original auf Russisch und in der deutschen Übersetzung via CrimethInc

»Nicht ein einziger Rubel, nicht eine einzige Griwna aus unseren Taschen für den Krieg!«

Erklärung der anarchosyndikalistischen Sektion der Internationalen Vereinigung der Werktätigen in der russischen Region vom 25. Februar 2022

»Der Krieg hat begonnen. Was befürchtet wurde, wovor gewarnt wurde, was nicht zu glauben war, was aber unmittelbar bevorstand, ist eingetreten. Die herrschenden Eliten Russlands und der Ukraine, angestachelt und provoziert durch das globale Kapital, gierig nach Macht und aufgebläht mit Milliarden, die der Arbeiter*innenklassse gestohlen wurden, haben sich zu einem tödlichen Kampf zusammengefunden. Ihr Durst nach Profit und Herrschaft wird nun mit dem Blut der einfachen Menschen bezahlt – Menschen wie uns. Der erste Schuss wurde von dem stärkeren, räuberischeren und dreisteren der Banditen abgefeuert – dem Kreml. (…) Wir fordern die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten und den Rückzug aller Truppen auf die Grenzen und Trennlinien, die vor Kriegsbeginn bestanden. Wir fordern die Soldaten, die in den Kampf geschickt wurden, auf, sich nicht gegenseitig zu erschießen, geschweige denn, das Feuer auf Zivilist*innen zu eröffnen. Wir rufen dazu auf, sich massenhaft zu weigern, die kriminellen Befehle der Befehlshaber auszuführen. Wir rufen die Menschen im Hinterland auf beiden Seiten der Front, die Arbeiter*innen Russlands und der Ukraine auf, diesen Krieg nicht zu unterstützen, ihm nicht zu helfen – im Gegenteil, ihm mit aller Kraft zu widerstehen!«

Die ausführliche Version auf Russisch

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