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»Wir brauchen das Rügen-Gas nicht«

Charly Dietz von Ende Gelände über den Widerstand gegen Flüssiggas-Terminals und die Zusammenarbeit mit lokalen Bündnissen auf der Ostsee-Insel

Interview: Guido Speckmann

Personen in Maleranzügen mit Flagge auf Pipelineröhren.
Auch Bewohner*innen von Rügen wird klar, dass Instrumente wie Besetzungen für sie interessant sein können. Foto: Philippe Pernot

In Wilhelmshaven, Lubmin und Brunsbüttel wird verflüssigtes Erdgas (LNG) bereits in Terminals umgeschlagen. In Stade und Mukran auf Rügen soll es bald so weit sein. Doch gerade auf Rügen gibt es großen Widerstand gegen die Pläne der Bundesregierung, auf diese Weise den Ausfall russischen Erdgases zu kompensieren. Zuletzt gab es am 23. September eine gemeinsame Demonstration mit dem lokalen Bündnis Lebenswertes Rügen und Ende Gelände. ak sprach darüber mit Charly Dietz, eine der Pressesprecher*innen des Bündnisses aus der Anti-Atom- und Anti-Kohlekraft-Bewegung.

Linksradikale, die den Kapitalismus abschaffen wollen, Seit‘ an Seit‘ mit Bürger*innen auf Rügen, die sich um Heringe und den Tourismus auf ihrer Insel sorgen. Wie kam dieses ungewöhnliche Demobündnis Ende September in Sassnitz zustande?

Charly Dietz: Die Besonderheit auf der Insel Rügen ist, dass die lokale Bevölkerung seit Bekanntwerden der Pläne der Bundesregierung im Widerstand gegen den Bau des LNG-Terminals aktiv ist. Und wir stehen seitdem mit den Aktiven auf der Insel in Kontakt, weil sie die Situation vor Ort besser kennen. Ende Mai haben wir bereits gemeinsam mit den lokalen Initiativen das Frühjahrscamp auf Rügen organisiert und kleinere Aktionen durchgeführt.

Hatten die Bewohner*innen Rügens keine Vorbehalte euch gegenüber?

Anfangs schon, aber inzwischen haben sie schon alle möglichen Protestformen ausprobiert: Demonstrationen, Petitionen etc., aber die LNG-Pläne werden einfach durchgezogen. Daher wächst die Frustration und Desillusionierung. Vielen wird klar, dass mit vermeintlich demokratischen oder legalen Mitteln nicht immer etwas auszurichten ist und Instrumente wie ziviler Ungehorsam und Besetzungen auch für sie interessant sein können. Das ist ein spannender Prozess. Und ganz ohne Zusammenarbeit mit lokalen Bevölkerungen geht es natürlich auch für uns Linksradikale nicht.

Wie war denn die Anti-LNG-Demo am 23. September zusammengesetzt?

Es waren rund 150 Rüganer*innen da und 500 Menschen in Maleranzügen, die wir mobilisiert hatten.

Der LNG-Ausbau schafft Überkapazitäten und fossile Infrastrukturen, die enorm viel Geld kosten.

Bist du mit diesen Zahlen zufrieden?

Ich hätte mir natürlich noch mehr Menschen gewünscht, insbesondere aus der lokalen Bevölkerung.

Woran liegt es, dass es nicht mehr waren?

Wir merken derzeit, dass es schwieriger ist, zu Aktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung zu mobilisieren. Sowohl Klimaaktivist*innen als auch »normale« Bürger*innen haben die Brisanz des Themas Gas und die Rolle von Rügen schlicht noch nicht auf dem Zettel. Und natürlich ist die Anreise nach Rügen recht weit. In Anbetracht dessen sind wir insgesamt aber zufrieden mit der Aktion.

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Abgesehen von der langen Anreise – warum ist es schwieriger, zu Aktionen zu mobilisieren, die Dringlichkeit ist ja offensichtlich.

Ich glaube, dass der Dämpfer durch die Coronapandemie immer noch nachwirkt. Hinzu kommt, dass viele Leute ausgebrannt sind und sich aus den Strukturen zurückziehen, und Ende Gelände befindet sich in einer Findungsphase. Die großen Besetzungen in den Braunkohlerevieren, die starke Bilder lieferten, funktionierten bei Baustellenbesetzungen, wie es auf Rügen auch eine gab, nicht so gut. Gleichzeitig wird die Klimagerechtigkeitsbewegung vielfältiger, die Letzte Generation bekommt viel Aufmerksamkeit. Das führt zu Unsicherheiten und Fragen, wo man sich jetzt engagieren soll. Dieses Jahr gab es ja auch schon andere Aktionen: Wir waren in Lützerath, in Brunsbüttel haben wir eine andere LNG-Baustelle besetzt, und viele waren an Protesten gegen die Automesse IAA in München beteiligt. Schließlich werden die Krisen komplexer, es gibt nicht mehr den einen klaren Gegner wie Kohle oder Atom, sondern eine Vielzahl von Konflikten, die man alle gleichzeitig bearbeiten müsste.

Setzt Ende Gelände auch deshalb zunehmend auf kleinere Aktionen?

Wir setzen nicht unbedingt auf weniger Großaktionen, sondern auf regionalere. Die Aktion auf Rügen war vom Ostbündnis organisiert, während die in Brunsbüttel vom Nordbündnis veranstaltet wurde. Aber im Grundsatz stimmt das. Wir haben nicht mehr den einen großen Hebel; in der Vergangenheit waren das ein oder zwei große Anti-Kohle-Aktionen. Mit der Regionalisierung wollen wir schneller und reaktionsfähiger werden, um auf den Bau von Terminals reagieren zu können. In Brunsbüttel und auf Rügen hat das schon mal gut geklappt.

Du sagtest, die Brisanz des Thema Gases wäre vielen noch nicht klar…

Absolut, das Narrativ von Gas als eine saubere Brückentechnologie ist noch fest in den Köpfen vorhanden. Wir haben manchmal das Gefühl, wir müssten noch viel Aufklärungsarbeit leisten.

Ende Gelände sagt schon seit drei Jahren »Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge«. Mit dem Aufbau der LNG-Kapazitäten infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine hat das Thema noch einmal an Brisanz gewonnen. Was kritisiert ihr jetzt?

Vor allem die Überkapazitäten, die mit den Flüssiggasterminals geschaffen werden. Auf Rügen war auf der Demo sogar ein Experte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung dabei, der eine brandaktuelle Studie vorstellte. Das Ergebnis zeigt die Absurdität des Vorhabens der Bundesregierung: Wir brauchen das Gas von Rügen nicht, und es schafft Überkapazitäten und fossile Infrastrukturen, die enorm viel Geld kosten. Auch das LNG-Beschleunigungsgesetz hat seine Grundlage verloren, weil es derzeit keine Gasmangellage mehr gibt. Die Speicher sind voll.

Und eure generelle Kritik an Gas?

Über den gesamten Lebenszyklus betrachtet ist es ein ebenso großer Klimakiller wie Kohle. Zwar ist die Verbrennung sauberer, aber bei der Förderung und beim Transport entweicht viel Gas, unter anderem Methan, was noch klimaschädlicher ist als CO2. Darüber hinaus stammt ein Großteil des Gases, das auf Rügen ankommen soll, aus den USA. Dort wird das Gas mittels Fracking gefördert – eine Methode, die hierzulande aufgrund ökologischer Folgeschäden derzeit verboten ist. Dass der Import dieses Gases aber nicht untersagt ist, zeigt die Scheinheiligkeit des Vorhabens. Hinzu kommt, dass in den USA und anderen Förderregionen häufig arme oder indigene Menschen unter den Umweltzerstörungen zu leiden haben. In Katar, von wo die Regierung ebenfalls LNG importieren will, müssen Anti-Gas-Aktivist*innen teils um ihr Leben fürchten. Die Gasförderung ist eine Form extremer neokolonialer Ausbeutung.

Hast du den Eindruck, dass diese Argumente bei den Bewohner*innen Rügens ankommen?

Schwer zu sagen, weil wir ja keine Umfragen machen. Aber parallel zu den Protestaktionen veranstalten wir auch Camps mit den Leuten vor Ort, wo viel Bildungsarbeit gemacht wird. So auch auf Rügen, wo wir versucht haben, die Kämpfe gegen das Terminal mit denen in den Fördergebieten zu verbinden. Und ich denke schon, dass viele Rüganer*innen den Kampf um globale Gerechtigkeit besser verstehen und es ihnen nicht nur um ihren Hering oder den Tourismus geht.

Wie geht es jetzt weiter? Plant ihr weitere Aktionen? Die Röhren für das LNG-Terminal sollen ja schon Ende des Jahres verlegt sein.

Noch nicht konkret, aber die Stimmung ist auf jeden Fall so, dass es weitere Aktionen geben wird.

Guido Speckmann

ist Redakteur bei ak.

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