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»Klassenhass kann uns weiterbringen«

Die Aktivistin Lisa Poettinger über Strategien der Klimabewegung

Interview: Guido Speckmann

Aktivist*innen halten ein Banner mit der Aufschrift "Für wen machen Sie Politik, Kanzler Scholz?", im Hintergrund eine gediegene Villa mit Reetdach, das mit orangener Farbe besprüht ist.
Eine Frage, die sich mehr noch mit Blick auf Kanzler Merz stellt: Proteste der Letzten Generation 2023 auf der Reicheninsel Sylt. Foto: Letzte Generation

Die Klimabewegung ringt um Orientierung, während internationale Gipfel zunehmend als wirkungslos gelten. Im Gespräch erklärt Lisa Poettinger, warum sie von der COP30 kaum etwas erwartet, wo sie dennoch politische Hebel sieht – und weshalb Wut und Entschlossenheit für sie wichtiger geworden sind als Hoffnung.

Wenn dieses Interview erscheint, wird die 30. Weltklimakonferenz noch nicht beendet sein. Die beiden letzten Konferenzen in Baku und Dubai wurden als Lobbytreffen der fossilen Industrie kritisiert. Versprichst du dir etwas von der COP30?

Lisa Poettinger: Ehrlich gesagt, gar nichts. Zugegeben, die Konferenz findet im Regenwald statt, der Gastgeber ist ein eher linker Präsident, und es können mehr indigene Gemeinschaften, die direkt von der Klimakrise betroffen sind, protestieren und Druck ausüben. Für sie kann die COP30 eine wichtige Bühne sein, um ihre Botschaften zu verbreiten – wenn die Presse denn darüber berichtet. Von denjenigen, die an dieser Konferenz maßgeblich teilnehmen und die Macht innehaben, erwarte ich jedoch nichts. Man kann nur hoffen, dass das Spektakel die Gelegenheit bietet, dass Bündnisse von unten neu geknüpft und neue Vernetzungen geschaffen werden.

Welche Rolle spielt die Weltklimakonferenz in der Klimabewegung? Ist sie ein großes Thema?

Für viele Gruppen ist das schon der Fall, etwa für Debt for Climate, die eine globale anti-koloniale Perspektive hat und sich für Schuldenerlasse einsetzt. In meiner eigenen Gruppe, dem Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen in München, ist die COP nicht wichtig. Die Gruppe agiert lokal, ist relativ klein und hat vor allem das Ziel, Menschen mit antikapitalistischen Ideen in Verbindung zu bringen und ihnen Organisations-Skills zu vermitteln. 

Die Klimabewegung scheint derzeit orientierungslos zu sein. Oder wie nimmst du das wahr?

Zurzeit engagieren sich viele ehemalige Klimaaktivist*innen in der Antifa oder gegen die Militarisierung sowie gegen den Genozid im Gazastreifen. Sie bringen dort die Fähigkeiten ein, die sie in der Klimabewegung erworben haben. Bei uns selbst, dem Klimatreffen, verzeichnen wir nach wie vor Zulauf. Es kommen immer wieder neue junge Leute zu unseren zweiwöchentlichen Treffen. Natürlich gehen auch einige wieder. Die Klimafrage bewegt zwar viele Menschen, aber das Ohnmachtsgefühl ist aktuell sehr groß. Das liegt auch daran, dass die Klimabewegung in der Breite keine Klassenperspektive hat.

Spielte auch eine Rolle, dass die Grünen Teil der Ampelregierung waren?

Ja, während der Ampelregierung war die Bewegung paralysiert, weil die Grünen – für viele Gruppen der Klimabewegung eine verbündete Partei – in der Regierung waren. Und dabei haben sie viel Mist gebaut. Dennoch wollte man die Grünen nicht an den Pranger stellen. Das hat die Klimabewegung handlungsunfähig gemacht. Zudem wurde Klimaschutz unter der Ampel immer unbeliebter, da er mit steigenden Preisen aufgrund der CO2-Steuer in Verbindung gebracht wurde, jedoch kein Klimageld als sozialer Ausgleich eingeführt wurde.

Lisa Poettinger

wurde bekannt als Mitorganisatorin der »Demo gegen rechts« Anfang 2024, als es einen Shitstorm von rechter Seite gegen sie gab. Sie war aktiv bei Extinction Rebellion und engagiert sich derzeit im Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen in München. Anfang des Jahres verweigerte ihr der Freistaat Bayern aufgrund ihrer antikapitalistischen Haltung das Lehramtsreferendariat. Im Oekom-Verlag hat sie im August das Buch »Klimakollaps und soziale Kämpfe. Über Klimaschutz in einer ungerechten Welt« (212 Seiten, 18 EUR) veröffentlicht. Es gibt noch kostenlose Exemplare des Buches aus einem Freikontingent. Bestellungen an: info@oekom.de.

Foto: Lisa Poettinger

Die Kollapsbewegung um Tadzio Müller hat meiner Wahrnehmung nach die Diskussionen in den letzten Monaten mitbestimmt. Siehst du das ähnlich? 

Jein, Tadzio ist natürlich ein sehr pressefähiger Mensch, der definitiv auch eine Gruppe aufgebaut und ein erfolgreiches Kollapscamp mitorganisiert hat. In München spielen diese Strömung und ihre Diskurse aber kaum eine Rolle. Ich bin mir also nicht so sicher, wie viel an der Kollapsbewegung auf gute Pressearbeit zurückgeht und wie viel davon Teil einer realen Bewegung ist.

Und wie stehst du inhaltlich zu den Thesen der Kollapsbewegung?

Ich finde es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, wie eine solidarische Klimakrisenverwaltung aussehen könnte. Gesamtgesellschaftliche Veränderungen dürfen dadurch jedoch nicht ersetzt werden.

Du bezeichnest dich als Marxistin. Was denkst du, wenn Müller argumentiert, dass man den Kapitalismus nicht abschaffen könne, weil er kein Zentrum hat, mit dessen Eroberung er sich abschaffen ließe?

Zugegeben: Es ist schwierig, sich die Überwindung des Kapitalismus vorzustellen. Es müsste an so vielen Fronten etwas passieren, so viele Menschen müssten sich weltweit gegen ihn erheben. Aber grundsätzlich glaube ich, dass eine gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus möglich ist. Und solange das so ist, lohnt es sich, dafür zu kämpfen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass wir das Ende des Kapitalismus in einem für die Klimakrise relevanten Zeitrahmen erleben werden, was katastrophal ist.

Wir brauchen vor allem strukturelle Veränderungen und nicht nur die Abschaffung von SUVs, Privatjets und Yachten.

Wie steht es um den Labour turn der Klimagerechtigkeitsbewegung und den Climate turn der Gewerkschaftsbewegung?

Es gab eine Zeit lang die Kampagne »Wir fahren zusammen«, in deren Rahmen wir die Beschäftigten des ÖPNV in ihrem politischen Kampf unterstützt haben. In Bayern ist das zurzeit ein bisschen eingeschlafen, weil der Tarifvertrag deutlich länger läuft als in den anderen Bundesländern. Generell ist es derzeit sehr schwierig, mit dem Thema Klima Leute zu mobilisieren, die nicht direkt davon betroffen sind – ausgenommen Menschen aus der bildungsbürgerlichen Blase. Es braucht schon einen konkreten Ansatzpunkt, wie eine Tarifrunde oder die Planung von BMW, eine neue Autobahn durch das von Armut betroffene Viertel Hasenbergl zu bauen. Das haben wir gerade nicht. Deshalb helfen wir aktuell bei einer Kampagne gegen die neue Wehrpflicht mit. Auch dort lassen sich junge Leute erreichen, um sie für den antikapitalistischen Klimakampf zu sensibilisieren.

Was hältst du vom sogenannten Klimapopulismus, der auf eine gerechte Verteilung abhebt, weil Superreiche viel, viel mehr Emissionen ausstoßen als Durchschnittsverdiener? 

Klassenhass kann uns schon weiterbringen, aber das allein reicht nicht aus. Wir brauchen vor allem strukturelle Veränderungen und nicht nur die Abschaffung von SUVs, Privatjets und Yachten. Aber der Ansatz ist gut, weil er die Leute aus der schambehafteten Haltung herausholen kann, in die sie die Konsumkritik gebracht hat, und ihnen zeigt: »Hey, wir kämpfen nicht gegen dich, sondern gegen diejenigen, die sich alles Mögliche herausnehmen und ein großes Interesse am Erhalt des Systems haben.«

Aus einer Degrowth-Perspektive wird dem Klimapopulismus vorgehalten: Gut und schön, wenn den Reichen ihre Yachten genommen werden und sie nicht mehr so viel im Privatjet rumfliegen dürfen. Aber insgesamt muss ja der Energieverbrauch und der Materialverbrauch gesenkt werden. Da hilft eine gerechtere Verteilung des Produzierten auch nichts.

Wir brauchen Degrowth in vielen Bereichen der Gesellschaft, aber ich halte nichts davon, dass als Verzichtsdebatte zu kommunizieren, weil viele Menschen müssen bereits auf wahnsinnig viel verzichten und sind von Armut betroffen. Aber die Autoindustrie drastisch schrumpfen und dafür den ÖPNV-Bereich auszubauen – das ist sicher richtig.

Wir erleben seit einiger Zeit eine Faschisierung: Was hat das mit dem Klimakollaps zu tun

Faschist*innen haben schon immer behauptet, wir hätten nicht genug Ressourcen und müssten deshalb Menschengruppen ausschließen oder gar ermorden, um die Ressourcen ausschließlich für die eigene Gruppe zu nutzen. Die Klimakrise verknappt die globalen Ressourcen. Dadurch rückt auch der Sozialismus, der auf dem Versprechen von materiellem Reichtum beruht, der fair und gerecht verteilt wird, um den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden, weiter weg. Das ist eine äußerst beunruhigende Entwicklung, weil es letztendlich auf ein »Survival of the Fittest« hinausläuft. Und Faschist*innen sind natürlich schon lange gegen Klimaaktivist*innen. Wir haben eine globale und progressive Perspektive – genau das Gegenteil von dem, was Faschist*innen wollen. Der Rechtsrutsch betrifft uns Klimaaktivist*innen auch persönlich. Aktivist*innen der Letzten Generation werden von Leuten attackiert und vom bayerischen Staat in Präventivhaft genommen. Ich habe seit 2022 eine Adresssperrung im Melderegister, weil ich Morddrohungen von Rechten erhalte. Mein Berufsverbot steht im Kontext einer autoritären Wende. Es liegt also viel im Argen, immer mehr Menschen haben kein humanistisches Weltbild mehr. 

Wenn man das hört und die klimapolitische Entwicklung verfolgt, kann man in Depressionen verfallen…

Oder in Zynismus.

Ja, das auch. Wie schaffst du es, dass das bei dir nicht eintritt?

Um ehrlich zu sein, bin ich auch ein bisschen zynisch. Bevor ich politisch aktiv geworden bin, habe ich tiefen Weltschmerz, große Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit gespürt. Das politische Aktivwerden hat mir dann wieder Kraft gegeben. Hoffnung habe ich allerdings nicht angesichts der riesigen Herausforderungen, dafür aber Wut und Entschlossenheit, und das bewegt etwas. 

Was hat sich konkret bewegt?

Wir haben zum Beispiel den Bannwald in Planegg nahe München vor der Zerstörung durch ein Kieswerk gerettet. Im Juli hat ein Gericht bestätigt, dass die Erlaubnis zur Waldrodung rechtswidrig war. Der Bannwald erfülle eine wichtige Funktion in Zeiten der Klimakrise. Es gab einige Lippenbekenntnisse, die teilweise auch in Reformen umgesetzt wurden. Das reicht natürlich alles nicht. Was einen wirklich davon abhält, aufzugeben und in Resignation zu verfallen – wo uns die fossilen Konzerne doch nur allzu gerne sehen würden –, ist ein Blick in die Geschichte. Zum Beispiel auf die Frauenbewegung, die letztlich das Frauenwahlrecht erkämpft hat – aber das hat Jahrzehnte gedauert. Viele der Frauen haben das gar nicht mehr erlebt, aber sie haben ein Vermächtnis hinterlassen, auf dem wir heute noch aufbauen. Sie haben dafür gesorgt, dass wir Frauen heute in vielen Ländern etwas besser leben können. Sich in Erinnerung zu rufen, dass es für Erfolge von sozialen Bewegungen einen langen Atem braucht, finde ich wichtig. 

Letzte Frage: Wie ist der Stand bei deiner Klage gegen den Freistaat Bayern?

Es passiert gar nichts. Vielleicht müssten wir mal eine Klage wegen Nichttätigkeit einreichen.

Guido Speckmann

ist Redakteur bei ak.

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