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Manic Monday

In den Klein- und Mittelstädten im Osten haben die AfD und ihr politisches Vorfeld das Protestgeschehen fest in der Hand

Von Marcel Hartwig

Am 3. Oktober zogen, angeführt vom Thüringer Landeschef der AfD Björn Höcke, tausende Verschwörungsideolog*innen, Neonazis und Reichsbürger*innen durch Gera. Foto: Dani Luiz

Lubmin in Vorpommern, Ende September. Auf dem Kurplatz des Ortes am Greifswalder Bodden haben sich mehr als 3.500 Menschen eingefunden. Demonstriert wird gegen die Russland-Sanktionen und für die Öffnung der zu diesem Zeitpunkt technisch noch intakten Pipeline Nord Stream 2. Die Stimmung changiert zwischen Volksfest, politischer Demonstration und DDR-Nostalgie. Konsens auf dem Kurplatz ist, mit den Russen habe es zu allen Zeiten gutes Einvernehmen gegeben. Wer dies nicht so sieht, wie eine Gruppe junger ukrainischer Frauen, wird rabiat abgedrängt. Zum Schluss wird das DDR-Pionierlied »Kleine weiße Friedenstaube« intoniert.

Einst war Lubmin Standort eines der Kernkraftwerke (KKW) der DDR, sowjetischer Bauart. Das sicherte den Menschen der Region gutes Geld und einen festen Arbeitsplatz, wofür sie die Strahlengefahr in Kauf nahmen. Der Rückbau des KKW nach der Wende ging mit dem Verlust vieler Arbeitsplätze einher. Dass Lubmin einer der Endpunkte von Nord Stream 2 sein sollte, nährte in der Region die Hoffnung auf sozioökonomischen Aufstieg. In Ueckermünde, ebenfalls in Vorpommern, nahmen alle Stadtratsfraktionen und der Bürgermeister an der dortigen Demonstration teil.

Montag für Montag sind ostdeutsche Mittelstädte Schauplatz des Protests gegen Inflation und Energiekrise. Kundgebungen und Demonstrationen sind in Orten dieser Größenordnung ein gesellschaftliches Ereignis, durch welches eine öffentliche politische Hegemonie suggeriert wird, der sich niemand entziehen kann. Der wöchentliche Protest ist nicht zuletzt ein lokales Event, bei dem Vergemeinschaftung entsteht, die über die Sphäre des Politischen hinausreicht.

In Annaberg-Buchholz im Erzgebirge setzte sich der Oberbürgermeister an die Spitze des Protests. Die Initiator*innen verbaten sich vorab jedes sichtbare Zeichen von Parteien. Gemeinsam wandte man sich an die Bundesregierung dafür Sorge zu tragen, dass eine Energie-Notlage nicht eintrete.

Die örtlich beobachtbare Übernahme des Protestformats durch lokale Berühmtheiten bei gleichzeitiger Beteiligung extrem rechter Akteure verweist auf das Maß der Normalisierung rechter Akteur*innen im ostdeutschen lokalen Kontext.

Protestthemen, Protestakteur*innen

Auf den montäglichen Demonstrationen kommen konkrete Forderungen nach Umverteilung zugunsten prekär arbeitender Menschen wenig bis gar nicht vor. Es dominieren Themen und Forderungen, die inhaltlich wenig akzentuiert sind. Diese Diffusität, die auf den ersten Blick politische Unschärfe der Protestinhalte suggeriert, dürfte absichtsvoll gewählt sein, um nach vielen Seiten politisch anschlussfähig zu bleiben.

Auf den montäglichen Demonstrationen kommen konkrete Forderungen nach Umverteilung zugunsten prekär arbeitender Menschen wenig bis gar nicht vor.

Die in Dessau initiierten »Handwerker für den Frieden« erweitern das Protestspektrum um eine Gruppe, die in den Augen vieler im Osten anders als parteipolitische Akteur*innen nicht in dem Verdacht stehen, eine eigennützige politische Agenda zu vertreten. Karl Krökel, Initiator und Obermeister der Metallinnung in Dessau, wird nicht müde, seine Distanz zu Parteien zu betonen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er und seine Mitstreitenden keine politische Agenda hätten. Vernehmbar fordern sie die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland, die Rückkehr zu russischen Energielieferungen, die der Garant für die wirtschaftliche Existenz des Handwerks im Osten sind.

Krökel hat in seinem Leben schon viele Parteien ausprobiert: erst die SED, nach der Wende die LINKE, später kandidierte er für die AfD, ohne dort Mitglied zu sein. Zuletzt trat er auf Veranstaltungen gemeinsam mit Vertreter*innen der Partei Die Basis auf. Den Handwerkenden könnte für den Verlauf des Protests in den kommenden Monaten eine Schlüsselrolle zukommen. Sie repräsentieren den unteren Mittelstand in Ostdeutschland, dessen ökonomische Basis bei Weitem nicht das westdeutsche Niveau erreicht. Dementsprechend sind die finanziellen Rücklagen, die in schlechten Zeiten beliehen werden könnten. Sie könnten die Brücke zwischen dem politischen Vorfeld der AfD und jenen bilden, die auf der Suche nach einem Protestangebot dort fündig werden.

Die im Osten geringere Eigentums,- Erben und Rücklagenquote wird dazu beitragen, dass die Krise sehr viel stärker und schneller in den Haushalten ankommt, als im Westen.

Querfront?

Seit Wochen ist in der Presse zu lesen, bei den Protesten in Ostdeutschland sei die Querfront, also das absichtsvolle Zusammenspiel rechter und linker Protestakteur*innen bereits an der Tagesordnung. Um dies zu beurteilen, bedarf es einer Begriffsklärung. Eine politische Querfront liegt vor, wenn sich zwei zuvor gegensätzlich gegenüberstehende politische Positionen anlassbezogen oder ideologisch grundsätzlich aufeinander zu bewegen und zu neuen politischen Inhalten amalgamieren.

Eine punktuelle Überschneidung politischer Analysen zum Ukraine-Krieg und dessen Folgen zwischen linken und rechten bzw. verschwörungsideologischen Akteur*innen ist zweifelsohne für eine emanzipatorische Linke ebenso ein Problem, wie die Teilnahme rechter Akteur*innen an linken Protestformaten. Eine Querfront im politisch-historischen Sinne ist dies jedoch nicht. Diese wird von der extremen Rechten auch gar nicht erstrebt.

Deren Werben um Resonanz bei einem linken Publikum zielt vielmehr auf eine Übernahme rechter ideologischer Essentials durch linke Protestakteur*innen. Dass die extreme Rechte hierfür nach Andockpunkten in der Linken sucht, und diese auch findet, steht auf einem anderen Blatt. Eine Querfront jedoch ist erst dann gegeben, wenn sich Linke offensiv und absichtsvoll dazu bereitfinden, mit rechten Protestakteur*innen zur Erreichung eines angeblich höheren Ziels zu kooperieren.

Dass es dies im Umfeld mancher Demonstrationen gibt, zeigte sich zuletzt in Hamburg, wo rechte Querdenker gemeinsam mit dem einst linken Hamburger Forum in die Organisation eingebunden waren. Demonstrationsverläufe wie jener im September in Brandenburg an der Havel, wo bei einer vom Kreisvorsitzenden der Partei Die Linke angemeldeten Demonstration Querdenker und Neonazis erkennbar mitliefen, und offenkundig der Versuch unterblieb, diese von der Demonstration zu verweisen, zeigen, in welchem Umfeld die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten zu suchen ist. Ob deren jahrzehntelangen Normalisierung im politischen Raum Ostdeutschlands ist ein Mangel an Problembewusstsein im Umgang mit der Präsenz extrem rechter Akteur*innen keine Überraschung.

Höcke in Gera

Einen anderen Ton setzte am 3. Oktober der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke auf einer Demonstration in Gera, veranstaltet von einem extrem rechten Netzwerk bestehend aus Compact, den neonazistischen Freie Sachsen und der AfD. Seine dortige Rede ging deutlich über den Charakter einer Marktplatz-Rede hinaus. Alsbald würden in Deutschland »Hunger und Chaos« herrschen, so Höcke; eine Entwicklung, der er und seine Anhängerschaft ohnmächtig zusehen müssten, weil ihnen noch die Macht fehle, den Gang der Dinge zu ändern.

Erneut deutete Höcke sein Konzept einer »Volksopposition« an, in deren Kontext das Zusammenwirken außerparlamentarischer rechter Akteur*innen, mit Teilen eines »volkstreuen« Staatsapparates zu einem Umsturz der Verhältnisse im Land führen müsse. »Raumfremde Mächte«, so Höcke im Anschluss an Carl Schmitt, zwängen Deutschland und Europa zum dritten Mal in einem Jahrhundert einen Krieg auf. Gemeint sind die USA. Höckes Rede in Gera hatte weniger die sozialen Fragen der Krise im Blick, als vielmehr das politische Potenzial, welches sich aus der Krise für die AfD ergibt.

Linke Leerstellen

In der skizzierten Gemengelage haben es linke Ansätze schwer, sich Gehör zu verschaffen. Es fehlt vor Ort in den Regionen an Aktivist*innen, tragenden Strukturen und soziokulturellem Umfeld, das linken Lesarten der Krise und Auswege dort Resonanz verschaffen könnte, wo es notwendig wäre: in den Quartieren prekär Beschäftigter oder von Transferleistungen lebender Menschen. Es fehlt in jeder Hinsicht an Ressourcen, etwa eine effektive soziokulturell verankerte Stadtteilarbeit ins Werk zu setzen, und dauerhaft zu etablieren, was eine Voraussetzung für die Sichtbarkeit linker Antworten auf die Krise wäre. Linke Bündnisse wie »Genug ist genug« haben es im Osten schwer, jenseits des sehr kleinen habituell postmaterialistisch geprägten Milieus wahrgenommen zu werden. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den Betrieben in Ostdeutschland ist so gering wie die Tarifbindung, große Sozialverbände agieren vielfach als Filialen ihrer westdeutschen Mutterschiffe, ohne Kompetenz für die spezifischen ostdeutschen Gemengelagen in der sozialen Frage.

Die bloßen Zahlen der Protestorte und der Teilnehmenden lassen kaum einen Rückschluss auf den zukünftigen Charakter des Protests zu. Dass die Energie- und Inflationskrise in Ostdeutschland das mobilisierende thematische Ticket ist, die Systemfrage von rechts zu stellen; dieses Muster ist aus den rassistischen Mobilisierungen nach 2015 bekannt. Die Radikalisierung einer Teilmenge des rechten Protestpotentials findet etwa seinen Ausdruck im Zusammengehen zwischen AfD und Freie Sachsen, die durchaus in Konkurrenz zueinanderstehen. Eine rechte soziale Protestbewegung entsteht wohl dann, wenn sozialer Abstieg und Verarmung konkret fassbar werden und nicht durch solidarische Perspektiven organisatorisch und politisch gebunden werden können.

Marcel Hartwig

lebt in Leipzig und Halle. Er ist in der Jugendarbeit tätig.

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