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|ak 698 | Soziale Kämpfe

»Wir haben jetzt schon Rückschritte bei der Mitbestimmung«

Hamburg will einen Teil der städtischen Hafengesellschaft privatisieren – für die Beschäftigten eine schlechte Nachricht, sagt Betriebsrätin Sonja Petersen 

Interview: Lene Kempe

Streikende Hafenarbeiter, viele in Arneitskleidung, stehen in einer Reihe, hinter ihnen sind Hafenkräne zu sehen. Sie beteiligen sich am Abend des 7. November 2023 an einem wilden Streik gegen den Teilverkauf der Hafengesellschaft HHLA an den schweizer Reeder MSC.
»Der Hafen, das sind wir«, war am 6. November auf Transparenten der streikenden Hafenarbeiter*innen zu lesen. Viele wollen nicht hinnehmen, dass die Stadt die Zukunft des Hafens privaten Geschäftsinteressen unterwirft. Foto: Taro Tatura.

Ende September hatte der Hamburger Senat verkündet, 49,9 Prozent des städtischen Hafenterminalbetreibers HHLA an die Schweizer Großreederei MSC verkaufen zu wollen. Viele Hafenbeschäftigte gingen danach auf die Straße. Am 6. November schlossen sich weite Teile der Belegschaft am Burchardkai für 24 Stunden einem wilden Streik an, die HHLA reagierte mit Abmahnungen. Warum der MSC-Deal so umstritten ist und wieso die Entwicklung des Hamburger Hafens nicht nur die Menschen angeht, die dort arbeiten, erklärt Sonja Petersen im Interview.

Du arbeitest schon lange im Hafen. Was hast du gedacht, als du von dem Deal mit MSC erfahren hast?

Sonja Petersen: Ich war zunächst überrascht. Schon 2006 hat der damalige CDU-Senat versucht, die HHLA erst an die Deutsche Bahn und später an einen anderen Anbieter zu verkaufen. Damals wollte man ebenfalls nur knapp über 50 Prozent der Aktien behalten. Die Beschäftigten haben sich vehement dagegen gewehrt, so dass die Versuche letztlich scheiterten. Die SPD hat uns damals unterstützt. Danach war ein Verkauf der HHLA über viele Jahre kein Thema mehr.

Entsprechend haben wir mit dieser offenbar im Geheimen vorbereiteten Entscheidung schlichtweg nicht gerechnet. Allerdings kann ich mir schwer vorstellen, dass der HHLA-Vorstand, der auf die Bekanntgabe auffallend zurückhaltend reagiert hat, nicht daran beteiligt gewesen ist. Für uns war und ist es wichtig, dass die HHLA ein öffentliches Unternehmen ist und der Einfluss der Stadt auf die Unternehmens- und damit die Hafenpolitik erhalten bleibt.

Beim Einstieg von Cosco in den Terminal Tollerort gab es keine vergleichbaren Proteste der Hafenmitarbeiter*innen. Was ist jetzt der Unterschied?

Um das zu verstehen, muss man ein bisschen in der Geschichte zurückgehen. 2003 wurde die HHLA in einzelne GmbHs aufgespalten. Das Ziel war damals, anderen Unternehmen, vor allem Reedereien, Beteiligungen an einzelnen Terminals zu ermöglichen. Es gab die Erwartungshaltung, dass sich durch die Beteiligung von Partnern eine bestimmte Abfertigungsmenge von Containern an einzelnen Terminals binden ließe.  

Wir kennen das Thema »Terminalbeteiligungen« also schon länger. Hapag Lloyd ist zum Beispiel mit 25,1 Prozent am Container Terminal Altenwerder, kurz CTA, beteiligt und bekommt dafür 50 Prozent des Gewinns, Grimaldi ist mit 49 Prozent bei Unikai beteiligt und die belgische Firma Sea-Invest mit 49 Prozent am Frucht- und Kühlzentrum. Daher war die Cosco-Beteiligung nichts Neues. Dass dem Thema so viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, ist eher dem Handelskrieg mit China zuzuschreiben.

Das heißt, bei eurem Protest geht es nicht grundsätzlich darum, Beteiligungen an der HHLA zu verhindern?

Ich habe Beteiligungen immer kritisch gesehen. Die Handlungsfähigkeit des Unternehmens wird eingeschränkt und die langfristige Bindung von Mengen ist eine Illusion. Das sollte auch der Senat wissen. Die Beteiligung am CTA hat Hapag Lloyd nicht daran gehindert, große Dienste zu Eurogate nach Wilhelmshaven zu verlegen, und die Beteiligung von Sea-Invest am Frucht- und Kühlzentrum hat nicht verhindert, dass dort keine Schiffe mehr abgefertigt werden.

Der Verkauf der gesamten HHLA hat nun aber eine völlig andere Qualität und wirkt sich auf alle Terminals, alle Einzelgesellschaften aus. Im Endeffekt würde MSC dann bestimmen, welche Art Geschäftspolitik mit anderen Reedern, also mit der Konkurrenz, betrieben würde. Wie das funktionieren kann und vor allem wie das dem Hamburger Hafen helfen soll, ist schwer nachzuvollziehen.

Sonja Petersen

ist ver.di-Vertrauensfrau und Betriebsrätin bei der HHLA. Sie arbeitet seit 23 Jahren im Hamburger Hafen.

Was sind also eure Forderungen an den Senat?

Wir haben in einem offenen Brief bereits deutlich gemacht, dass wir verlangen, dass die HHLA ein Unternehmen bleibt, in dem die Stadt den beherrschenden Einfluss hat. Wir erwarten eine Hafenpolitik, die den Status als Universalhafen sichert. Unsere Arbeitsplätze sind auch ohne einen Verkauf an MSC erheblich unter Druck. Die HHLA plant, in den nächsten Jahren mindestens 500 Stellen abzubauen. Die Arbeitszeiten sollen außerdem »flexibilisiert« und Arbeitsprozesse automatisiert werden. Mit einem beherrschenden Einfluss von MSC würden sich solche Tendenzen verstärken.

Was das Thema Mitbestimmung angeht, wird ja viel darüber gesprochen, dass die doch erhalten bleibe, wenn MSC einsteigt, und dass die ohnehin doch so guten Arbeitsbedingungen nicht angetastet würden. Es stellt sich die Frage, was diese Art der Mitbestimmung wert ist. Ich war fünf Jahre lang Arbeitnehmervertreterin im Aufsichtsrat der HHLA. Sicherlich habe ich viele Informationen erhalten, aber ich habe nicht den Eindruck gewonnen, wirklich Einfluss nehmen zu können. Einfluss auf die Geschäftspolitik des größten Hamburger Hafenunternehmens können nur Senat und Bürgerschaft als Mehrheitseigentümerin nehmen, wenn sie dies wirklich wollen und sich nicht hinter Vorstandsentscheidungen zurückziehen.

Ob der Deal mit MSC wirklich zustande kommt, hängt immer noch von der politischen Diskussion in der Stadt ab.

Sonja Petersen

Es geht bei unseren Forderungen aber nicht nur um die Arbeitsplätze. Seehäfen haben als Schnittstelle nach Übersee eine große volkswirtschaftliche Bedeutung, und in Hamburg gibt es diese Handelsinfrastruktur seit Jahrhunderten. Gefordert wären jetzt Konzepte, die darauf aufbauen. Ein Ausverkauf aus Inkompetenz ist sicher nicht geeignet, Probleme zu lösen. Der Senat hat bisher außerdem gerne das Geld genommen, dass die HHLA in die Stadtkasse gespühlt hat. Das Interesse von MSC ist aber definitiv nicht, diese Kasse zu füllen.

Wir fordern also: kein Verkauf von Anteilen der Stadt, möglichst Rückkauf der frei gehandelten Aktien und Weiterentwicklung des gesamten Hamburger Hafens im Rahmen einer deutschen Hafenkooperation.

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Wenn MSC tatsächlich einsteigen sollte, was sind deine Befürchtungen mit Blick auf die Zukunft?

Die HHLA betreibt jetzt schon Arbeitsplatzabbau und eine rigide Rationalisierungspolitik. Ich kann mir schwer vorstellen, dass MSC diesen Kurs zugunsten der Beschäftigten ändern wird.

Was die Mitbestimmung angeht, so hatten wir seit 1970 einen Mitbestimmungstarifvertrag, der dem Betriebsrat erweiterte Mitbestimmungsrechte bei Kündigungen und organisatorischen Maßnahmen gewährt hat. Dieser Tarifvertrag wurde von der HHLA gekündigt, und eine Nachwirkung wird bestritten. Wir haben also jetzt schon einen Rückschritt bei der Mitbestimmung. Derzeit werden durch die HHLA viele Betriebsvereinbarungen gekündigt, um zu neuen, für die Beschäftigten schlechteren Regelungen zu kommen. Was also sollen wir vom Verkauf an MSC erwarten? Ob der Deal wirklich zustande kommt, hängt allerdings immer noch von der politischen Diskussion in der Stadt und der Entscheidung der Bürgerschaft ab.

Es wurde ja auch gemutmaßt, MSC könnte Container aus Bremerhaven nach Hamburg abziehen, um das Versprechen eines höheren Container-Aufgebots einzulösen. Das würde den Standortwettbewerb weiter anheizen…

MSC betreibt ein gemeinsames Terminal mit Eurogate in Bremerhaven. Es ist nicht davon auszugehen, dass MSC diese Beteiligung beendet. Möglich ist aber, dass Umschlagmengen von Eurogate Hamburg, wo MSC ebenfalls Kunde ist, zur HHLA verlagert werden. Dabei reden wir allerdings nicht über die in den Medien genannten Mengen. Ein Reeder hat nur einen begrenzten Einfluss auf die durch ihn transportierten Mengen. Dies entscheiden immer noch die Kund*innen, die bei ihm buchen.

Und was haben wir als HHLA Beschäftigte davon, auf Kosten anderer zu profitieren? Dieses Spiel gibt es seit vielen Jahren und hat den Beschäftigten auf keiner Seite langfristig geholfen. Leider stirbt aber derzeit jeder für sich allein. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass weitergehende Aktionen vom ver.di-Bundesvorstand in Berlin gewollt sind. Und leider gibt es wenig Kontakte auf Basisebene, Einzelpersonen mal ausgenommen.

Was wäre aus deiner Perspektive der richtige Weg für den Hamburger Hafen?

Ein zukunftsfähiger Weg für die HHLA, Hamburg und die deutschen Seehäfen wird nur in einer Hafenkooperation liegen. Ein Verkauf von öffentlichem Eigentum an MSC als dominierendem Reeder ist da mehr als kontraproduktiv. Eine Hafenkooperation setzt staatlichen Einfluss und eine nationale Hafenstrategie voraus. Das Thema ist schon älter, aber wenn es jetzt nicht angegangen wird, wird der Macht der international kooperierenden Reeder nichts entgegengesetzt werden können. Und das ist schlecht für uns als Beschäftigte und für alle Hamburgerinnen und Hamburger.

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