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Generalprobe für die Zukunft

Auch die Klimabewegung wird nach Gaza nicht mehr dieselbe sein – der Versuch einer Aufarbeitung

Von Elias König

Im Vordergrund ein Zelt, davor ein paar Sitzgelegenheiten, dahinter Schutt und kaputte Gebäude, im Hintergrund ein blauer, leicht bewölkter Himmel.
Stadt ohne Schatten, die Zelte bei Hitze Schmoröfen. Foto: Wikimedia Commons/ Jaber Jehad Badwan, CC BY-SA 4.0

Angesichts von Hitzewellen in Teilen Europas wird in letzter Zeit wieder mehr über den Umgang mit extremer Hitze diskutiert. Genügend Wasser trinken, den Körper nicht überlasten, im Schatten bleiben – diese Ratschläge können im Ernstfall Leben retten. Der in Gaza lebende Physiker Qasem Waleed schreibt, er könne bei solchen Diskussionen dennoch nur noch zynisch lächeln. Seine Heimat gleiche längst einem »glühenden Freiluftofen«. Israel habe den Großteil Gazas dem Erdboden gleichgemacht: »Erde wurde zu Staub, Parks zu Wüsten und Städte zu Friedhöfen. Gaza ist jetzt eine Stadt ohne Schatten.« Die Nylonzelte, in denen viele untergekommen sind, würden angesichts der sengenden Hitze zu wahren Schmoröfen: »Was einst eine Klimakrise war, ist jetzt Klimagrausamkeit – herbeigeführt durch militärische Gewalt.«

Es ist ein Genozid mit Ansage, wie die gut dokumentierten Zitate zahlreicher israelischer Entscheidungsträger*innen belegen. Feuer, Hitze und Durst spielen in diesen Aussagen eine besondere Rolle. Nun wird selbst der Sommer in Gaza zur perfiden Kriegswaffe.

Schon lange haben Klima-Linke vor diesen Verhältnissen gewarnt: Als »Generalprobe für die Zukunft« bezeichnete der kolumbianische Präsident Gustavo Petro die israelischen Kriegsverbrechen in Gaza schon Ende 2023. In seiner bemerkenswerten Rede auf dem Klimagipfel COP27 in Dubai zog Petro Parallelen zwischen der Situation in Gaza und dem möglichen Szenario einer weltweiten Klimaapartheid: einer Situation, in der der Globale Norden auch genozidale Gewalt in Kauf nimmt, um seine fossile Lebensweise zu verteidigen. Petro mahnte, es gehe darum, ein globales Gaza zu vermeiden. Bereits vor dem Gipfel hatten Greta Thunberg und Fridays for Future (FfF) Schweden sich mit einem Kommentar in mehreren Tageszeitungen an die Öffentlichkeit gewandt: »Wir sind schon immer politisch gewesen, weil wir schon immer eine Bewegung für Gerechtigkeit waren«, schrieb die Gruppe: »Für uns stand es nie zur Debatte, in Solidarität mit den Palästinenser*innen und allen betroffenen Zivilist*innen zu stehen.« In dieser Situation sei Schweigen Mittäterschaft: »Man kann nicht neutral bleiben, wenn ein Genozid im Gange ist.«

Nun wird selbst der Sommer in Gaza zur perfiden Kriegswaffe.

In Kolumbien selbst gelang ein halbes Jahr später ein wichtiger Durchbruch: Nach massivem Druck durch soziale Bewegungen und Gewerkschaften verhängte Petro für Kolumbien – bis dato Israels bei weitem wichtigster Kohlelieferant – einen sofortigen Kohleexportstopp nach Israel. Kohlelieferungen würden erst wieder aufgenommen, wenn Israel den Bedingungen des Internationalen Strafgerichtshofes nachkomme und seine Truppen aus dem Gazastreifen zurückziehe. Auf der nächsten UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan im November 2024 wurde die Forderung nach einem Kohle-, Öl- und Gasboykott zur zentralen Forderung der globalen Klimabewegung: Lautstark forderten Aktivist*innen den Stop von Öllieferungen an Israel. Im Mittelpunkt stand dabei diesmal die in Aserbaidschan beginnende Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipeline des britischen Ölkonzerns BP, durch die 28 Prozent der israelischen Ölimporte transportiert werden. In vielen Ländern brachten Klimaaktivist*innen sich auch auf lokaler Ebene mit ihrem Wissen und ihren Netzwerken in die palästinasolidarische Bewegung ein.

Konsens des Schweigens

In der Bundesrepublik fand diese Stoßrichtung zunächst nur wenig Anklang. Die Haltung zur israelischen Besatzung war hierzulande schon länger ein Streitthema in der Klimabewegung. In Bremen hatte sich im Sommer 2023 eine Fridays-for-Future-Ortsgruppe vollständig aufgelöst und der Bewegung in einem öffentlichen Statement unter anderem mangelnde »Solidarität mit den Palästinenser*innen« und »strukturellen Rassismus« vorgeworfen. Statements von Fridays for Future International zur Lage in Gaza wurden vom deutschen Ableger der Bewegung wiederholt explizit nicht unterstützt, die internationale Zusammenarbeit im Oktober 2023 auf Eis gelegt. Wer diesen Konsens des Schweigens nicht mittrug, hatte mit heftigen medialen und persönlichen Konsequenzen zu rechnen.

Insbesondere in den Springer-Medien wurde immer wieder gegen einzelne palästinasolidarische Klimaaktivist*innen gehetzt. Wie der Fall der Fridays-for-Future-Sprecherin Elisa Baş zeigt, gab es trotz der massiven Angriffe nur wenig Solidarität. Baş hatte auf ihrer Instagram-Seite einen offensichtlich problematischen Bild-Artikel des Präsidenten des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, (»Die Barbaren sind unter uns«) kritisiert und war daraufhin ins Visier des Bild-Redakteurs Julian Loevenich geraten. Zur Last gelegt wurden ihr in den Medien unter anderem Aussagen wie: »Schweigen hilft niemals den Unterdrückten, es schützt die Täter. Es nimmt die Unterdrückung billigend in Kauf, lässt es geschehen. Den Genozid und das Gezwungenwerden, zu einem Genozid zu schweigen.« Anstatt sich nach der Schmähkampagne durch Bild und andere Medien hinter Baş zu stellen, distanzierte sich Fridays for Future Deutschland und betonte, Baş würde nicht mehr als Bundesprecherin fungieren.

Die Letzte Generation, zu jener Zeit die medial präsenteste Klimagruppe in Deutschland, sagte Mitte Oktober 2023 kurzerhand eine geplante Protestaktion ab, um bei gleichzeitig stattfindenden palästinasolidarischen Protesten keine Polizeikräfte zu binden. Dies geschah zu Beginn einer beispiellosen Welle der Repression gegen ebenjene Bewegung: Es kam zu Hunderten Verhaftungen, darunter zahlreiche Minderjährige, zu politisch motivierten Abschiebungen (ak 714), zu Einreise- und Betätigungsverboten, zu Veranstaltungsverboten, zu Sprachverboten auf Demonstrationen, zu Pauschalverboten palästinensischer Symbole sowie zu einer Verschärfung der Berliner Hochschulgesetze.

Spätes Umdenken

Die enorme staatliche Repression hätte ein gemeinsamer Bezugspunkt sein können – stattdessen trieb sie einen Keil zwischen die Bewegungen. Kleinere palästinasolidarische Kollektive wie Klima für Palästina, Climate Justice Berlin Kollektiv (ehemals Black Earth Kollektiv), BIPOC for Future, sowie einzelne FfF-Gruppen blieben innerhalb der Gesamtbewegung lange isoliert.

In letzter Zeit aber zeichnet sich ein deutlicher Kurswandel ab. Den Anfang machte Ende Gelände im Dezember 2024 mit einem offenen Brief, in dem sich die Gruppe unter anderem für das lange Schweigen zur Situation in Israel-Palästina entschuldigte und gelobte, sich bei »Protesten und Demonstrationen weiterhin und verstärkt einzubringen«. Im Mai dieses Jahres äußerte sich auch Luisa Neubauer von Fridays for Future in einer viel diskutierten Rede zum Thema – ihr Herz zerbreche über Gaza – und forderte die Aussetzung von Waffenexporten nach Israel.

Es ist ein spätes, aber wichtiges Umdenken. Mit Blick auf das akute Leid in Palästina braucht es jede*n einzelne*n von uns, insbesondere in Deutschland. Dennoch: Die Haltung zum Genozid hat die hiesige Klimabewegung gerade auf der internationalen Bühne nachhaltig geschwächt. Das zeigen auch die Reaktionen auf Neubauers Rede. In den sozialen Medien forderten Aktivist*innen aus aller Welt Accountability von ihren deutschen Genoss*innen. Vielfach wurde die Rede mit dem prägnanten Buchtitel des ägyptisch-kanadischen Schriftstellers Omar El Akkad kommentiert: »Eines Tages werden alle immer schon dagegen gewesen sein«.

Wenn das die Generalprobe war, wurde sie im ersten Teil gründlich vergeigt: Gaza liegt in Trümmern und ein gerechter Frieden in Israel-Palästina erscheint momentan in etwa so realistisch wie die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels. Nach Gaza einfach weiterzumachen, als sei nichts geschehen, ist moralisch und strategisch verwerflich. Auf lange Sicht wird mehr Aufarbeitung nötig sein. Dabei sollte genauso Raum für Trauer, Reue, Wut, und Versöhnung wie für eine Debatte über Antisemitismus, Rassismus und Faschisierung sowie für eine Auseinandersetzung mit der Funktionsweise des fossilen Imperialismus sein. Ohne den sei die Unterstützung des Westens für die israelische Politik nämlich gar nicht zu verstehen, argumentiert etwa der Politikwissenschaftler Adam Hanieh.

Westasien spiele als wichtigster Öl- und Gasproduzent der Welt noch immer eine zentrale strategische Rolle in der fossilen Weltordnung. Insbesondere mit Blick auf eine sich anbahnende Blockkonfrontation mit China sei die Kontrolle über diese Ressourcen für Washington und Brüssel essenziell und Israel neben Saudi-Arabien eine der zentralen Säulen amerikanischer Machtprojektion in der Region. Die massive Unterstützung Israels ist nach dieser Lesart nicht etwa hauptsächlich das Werk einer gewieften Israellobby (eine gängige antisemitische Erzählung), sondern deckt sich größtenteils mit dem eigenen geopolitischen Interesse. Haniehs Analyse mag auch Fragen aufwerfen, doch bietet sie viele Denkanstöße für eine internationalistische und antiimperialistische Klimabewegung. »Vielleicht können wir«, schließt Petro seine Generalprobe-Rede, »wenn heute ein freies Palästina aus seinen Ruinen neu ersteht, morgen eine Menschlichkeit wiederfinden, die inmitten der Überreste der Klimakrise weiterlebt.«

Elias König

promoviert an der Universität Twente zur politischen Theorie der Klimakrise. Er ist der Autor von »Klimagerechtigkeit – Warum wir eine sozial-ökologische Revolution brauchen« (Unrast).

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