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|ak 714 | Deutschland

Unerwünscht, ausgebürgert, abgeschoben

Für die Staatsräson werden postfaschistische Errungenschaften angegriffen

Von Sanaz Azimipour

Auf einer Demonstration hält jemand ein Schild hoch, auf dem ein Meme abgebildet ist. Eine Zeichentrickfigur sitzt lächelnd in einem brennenden Haus und sagt: Staatsräson
Mit der deutschen Staatsräson hat sich die Politik ein neues Repressionswerkzeug geschaffen. Foto: Montecruz Fotos

In der Regel verläuft die Repression von Gruppen nach einem Muster: Es beginnt mit Diffamierungen, woraufhin Einschüchterungen, Angriffe und die Inhaftierung Einzelner folgen. Es endet mit dem Entzug von Rechten für die verfolgte Gruppe. Manchmal ist es direkter Zwang, etwa bei Abschiebungen, manchmal geschieht es durch den schleichenden Entzug grundlegender Rechte: das Recht auf Wohnen, auf Bewegungsfreiheit oder auf die Freiheit selbst.

Mit einer kürzlich erfolgten Aufforderung der Berliner Landesregierung an vier Studierende, drei davon EU-Bürger*innen sowie ein US-Bürger, sie sollten freiwillig das Land verlassen, ansonsten erwarte sie eine Ausweisung, wurde nun ein weiterer Höhepunkt in der aufenthaltsrechtlichen Repressionsspirale der letzten Jahre erreicht. Begründet wird die angedrohte Ausweisung der Studierenden mit deren mutmaßlicher Teilnahme im Oktober 2024 an einer Besetzung des Präsidiums der Freien Universität Berlin, aus Protest gegen die israelische Militäroffensive in Gaza. Alexander Gorski, einer der Anwälte der Betroffenen, berichtete, die Betroffenen wüssten nicht im Einzelnen, was ihnen überhaupt vorgeworfen wird, keine der vier Personen wurde für ein Vergehen verurteilt. Dass drei der Betroffenen durch die EU-Freizügigkeit besonderen Schutz genießen müssten, macht diesen Fall ebenfalls besonders pikant.

Dies ist natürlich kein Einzelfall, sondern Kontinuität einer systematischen Praxis: Abschiebung ist ein zentrales Instrument deutscher Repressions- und Sicherheitspolitik, von der Abschiebung kurdischer Aktivist*innen aufgrund angeblicher »Nähe zur PKK« über Menschen mit unsicherem Aufenthalt aus der Berliner Oranienplatz-Bewegung, die für die Rechte Geflüchteter kämpfen, bis hin zu Rom*nja und Sinti*zze, die den Holocaust überlebten, die bis heute oft staatenlos geblieben sind.

Werkzeug der Ordnung

Abschiebepolitiken erfüllen politische Funktionen, indem sie den materiellen und politischen Status quo regulieren. Durch Abschiebungen, Ausweisungen, Ausreiseaufforderungen und neuerdings dem Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit wird staatlich reguliert, welche Leben als lebenswert gelten. Sie regulieren, wessen Existenz als schützenswert gilt – und wessen nicht. Dies drückt sich in Politiken aus, die insbesondere rassifizierte und prekarisierte Körper kontrollieren, entrechten und zerstören, um Disziplin und Gehorsam herzustellen. Durch solche Gewaltmechanismen wird reproduziert, welche politische Einstellung, welches Eigentumsprofil, welche »kulturellen Normen« erwünscht sind und was passiert, wenn sich nicht an diese Vorgaben gehalten wird.

Wer möchte schon mit »Terroristen« solidarisch sein?

Nun will die neue Regierung die Logik des Abschieberegimes noch weiter ausdehnen – bis hin zur Ausbürgerung von Menschen, die bereits einen deutschen Pass besitzen. Im Sondierungspapier von CDU und SPD, das neben weiteren migrationspolitischen Verschärfungen formuliert wurde, heißt es: »Wir werden verfassungsrechtlich prüfen, ob wir Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen, die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen können – sofern sie eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen.«  Dies ist natürlich keine bloße Absichtserklärung, sondern ein politisches Signal, vor allem an Migrant*innen erster, zweiter und dritter Generation. Jede Abschiebung, jede Ausbürgerung steht exemplarisch für alle (noch) Nicht-Abgeschobenen. Man kennt diese Muster aus autoritären Kontexten, sei es aus Iran, Türkei oder anderen Staaten: Sicherheitsapparate bestrafen einzelne Bürger*innen exemplarisch, um allen anderen eine Lehre zu erteilen.

Was als Störung der öffentlichen Ordnung gilt, gerät zunehmend in den Fokus des sicherheitspolitischen Diskurses – »Terrorist« ist dabei häufig eine vage definierte Kategorie, um politische Gegner*innen zu diskreditieren und zu delegitimieren. Ähnlich verhält es sich mit dem in jüngster Zeit zunehmend beliebten Wort Terrorunterstützer*innen. In Iran und der Türkei werden häufig Kurd*innen, Araber*innen und andere rassifizierte Gruppen zu »Terroristen« erklärt. In Deutschland betrifft es aktuell Kurdi*nnen, Palästina-Solidaritätsaktivist*innen und Linke. Mit solchen vagen Begriffen versucht der deutsche Staat, repressive Maßnahmen zu rechtfertigen und Solidarität mit Betroffenen zu kriminalisieren. Denn wer möchte schon mit »Terroristen« solidarisch sein?

Das rechtliche Konstrukt der doppelten Staatsbürgerschaft wird dabei zur Voraussetzung selektiver Entrechtung. Was historisch mit rassistischer Gewalt verbunden war, wird heute mit neuen Begriffen legitimiert. Die »Ausbürgerung von Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten« ist nichts anderes als die erweiterte Logik der Abschiebung: Sie erlaubt dem Staat, Menschen, denen die vollen Bürgerrechte zugestanden wurden, wieder zu entrechten und abzuschieben. Die Einbürgerung, die rechtlich eigentlich den Zweck hat, prekäre Aufenthaltsbedingungen zu beenden und Schutz zu gewährleisten, wird so zur Drohkulisse, dauerhaft untergraben und entwertet.

Prekäres Papier schafft prekäres Leben

Wer seinen Aufenthalt riskiert hat, ist gezwungen, in prekäre Arbeitsverhältnisse zu gehen, denn »Beschäftigung« sichert in der Regel den Aufenthalt, sowohl bei Aufenthaltstiteln, die an eine Erwerbstätigkeit gebunden sind (z.B. Arbeitsvisum), als auch bei Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die nun auf anderen Wegen bleiben müssen, etwa durch eine Beschäftigungsduldung. Wer keine Bleibeperspektive hat, muss oft in gewaltvollen Beziehungen bleiben, um die eigene, mühsam aufgebaute Existenz nicht zu verlieren. Wer demnächst einen Termin in der Ausländerbehörde hat oder mit Duldung lebt, überlegt sich, auf welche Demo er*sie geht oder was er*sie auf Social Media liked. Anpassung an die staatlich gewünschte Meinung inklusive ihrem Menschenbild ist keine Option, sondern wird zur Überlebensstrategie.

Ein Pass fragt nicht, ob man sich etwa deutsch, afghanisch oder deutsch-afghanisch fühlt, sondern regelt, welcher Wert dem Leben der Besitzer*in zugesprochen wird. Der Pass bestimmt, wer unter welchen Bedingungen wie bleiben, leben und arbeiten darf. Es ging nie wirklich darum, wer »deutsch« ist, es war nie ein »Kulturkampf«, sondern immer die Frage des Niveaus der Prekarisierung. Wer eingebürgert wird, steigt in der Leiter der Würdenträger*innen um eine Ebene auf. Um Beispiele zu finden, genügt ein Blick an die europäischen Außengrenzen und auf die Behandlung von Nicht-Europäer*innen im Vergleich zu ihren Expat-Nachbar*innen.

Diese Ungleichbehandlung basiert nicht nur auf rassistischen Vorurteilen, sondern ist eine bewusste politische Entscheidung darüber, wie Rassismus und Kapitalismus konkret praktiziert werden. Menschen mit Pässen aus dem Globalen Süden haben in der Regel weniger Rechte und Privilegien als Menschen aus dem Globalen Norden. Bewegungsfreiheit, Zugang zu höherer Bildung, das Recht auf sichere Arbeit und höhere Löhne – all das ist nicht universell, sondern passabhängig, schließlich benötigt die imperiale Metropole ein Heer von Ausbeutbaren.

Die ungleiche Verteilung von Einbürgerungsrechten zeigt, wie »das Recht auf Rechte« konstruiert wird. Staatsbürgerschaft war historisch immer an Weißsein, Männlichkeit und Eigentum gebunden. In den USA erhielten Schwarze Menschen erst 1870 Bürgerrechte, indigene Völker sogar erst 1924. In Frankreich wurde die Unterscheidung zwischen »Franzosen« und »Kolonialuntertanen« erst 1946 abgeschafft. Auch Frauen waren lange Zeit vom vollen Bürger*innenstatus ausgeschlossen, ebenso wie Menschen ohne Eigentum.

80 Jahre nach der Kapitulation der Nazis wird erneut ganz selbstverständlich über Ausbürgerungen gesprochen.

In Deutschland hat das geltende Abstammungsprinzip eine blutsideologisch verankerte Geschichte. Es leitet sich aus Rassetheorien ab und war zentraler Bestandteil nationalsozialistischer Politik. Das sogenannte Blutsprinzip sollte dazu dienen, »volksfremde« Menschen – etwa Juden*Jüdinnen oder Sinti*zze und Romn*ja von der »nordisch-germanischen Rasse« zu trennen. Vor allem die SS, aber auch Hitler selbst, sahen in der Staatsbürgerschaft ein Instrument der rassistischen Selektion.

In der NS-Zeit war der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit ein zentrales Mittel der Verfolgung: Jüdischen Menschen, Sinti*zze und Rom*nja, Kommunist*innen und vielen anderen wurde die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt – oft verbunden mit der Enteignung ihres Vermögens. Diese Politiken machten die Betroffenen häufig staatenlos – rechtlich unsichtbar, entrechtet und ausgrenzbar. Viele Nachfahr*innen – insbesondere aus der Roma-Community – leiden bis heute unter den materiellen und rechtlichen Folgen dieser Aberkennung.

Heute, 80 Jahre nach der Kapitulation der Nationalsozialist*innen, wird erneut ganz selbstverständlich über Ausbürgerungen gesprochen. Von der Idee, IS-Kämpfer, die aus Syrien zurückkehrten, die Staatsbürgerschaft abzuerkennen (CSU), verlagert sich der Diskurs nun auf die Verteidigung Israels. Unter dem Deckmantel der Staatsräson werden systematisch repressive Praktiken legitimiert und Menschenrechte ausgehöhlt.

Wie viele ähnliche Maßnahmen wurde die Verschärfung des Staatsbürgerrechts ursprünglich von der AfD gefordert. Bereits 2017 sprach sich die Partei für die »Ausbürgerung krimineller Staatsbürger mit Migrationshintergrund« aus, was in der Folge auch von Politiker*innen anderer rechter Parteien aufgegriffen wurde. Im Mai 2021 – nach Protesten in Solidarität mit Palästina – beschlossen CDU/CSU und SPD, dass bereits bei geringfügigen Gesetzesverstößen keine Einbürgerung mehr möglich sein solle, wenn diese als »antisemitisch, rassistisch oder fremdenfeindlich motiviert« bewertet wird. Dies soll nun auf »antisemitische, rassistische oder fremdenfeindlich motivierte« Gesetzesverstöße von Doppelstaatler*innen ausgeweitet werden; ihnen soll zukünftig der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit drohen. Was einst als eine  »Lehre aus der Deutschen Geschichte« und 2017 noch als Tabubruch galt, nämlich dass niemandem die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt wird, ist längst aufgeweicht und heute Verhandlungsmasse in den Koalitionsgesprächen zwischen SPD und CDU.

Wer ernsthafte Bündnisse eingehen will, muss sich mit genau jenen Wirklichkeiten auseinandersetzen, die allzu oft als bloß »bürokratisch« verharmlost werden. Ausbürgerung, Abschiebung und Entrechtung betreffen nicht nur einzelne Gruppen – sie sind strukturelle Repressionsmaßnahmen, die jederzeit ausgeweitet werden können. Was heute migrantische Communities, Palästina-solidarische oder linke Aktivist*innen trifft, kann und wird jede Form von Dissens treffen, sollte es ins politische Kalkül der Herrschenden passen.

Sanaz Azimipour

ist Aktivist*in, Autor*in und Referent*in. Sie ist in verschiedenen Bewegungen organisiert und arbeitet sowohl akademisch als auch aktivistisch zu sozialen Bewegungen, Transnationalismus und feministischer Philosophie.