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|ak 719 | Diskussion |Reihe: Funktioniert das?

Funktioniert das? Freude an Krawall und Aufstand

Von Lea Fauth

Man sieht zwei Vermummte, die tanzen.
Auch schön! Im November 2019 ging ein Video aus Chile viral, der Riot Tango, bei dem zwei Menschen inmitten brennender Barrikaden tanzten. Foto: Twitter / Chiledesperto

Es gibt diese wahnsinnig schlechten Spielfilme über linke Gruppen oder Terrorgruppen. Zum Beispiel »Und morgen die ganze Welt«, oder, wirklich grottenschlecht: »Stammheim«. Diese Filme wollen ihren Protagonist*innen irgendwie nahekommen, aber gleichzeitig auch nicht, um sich bloß nicht mit der gezeigten Sache gemein zu machen. Ein Aspekt, der die Filme besonders schlecht macht, ist die Grimmigkeit, mit der Menschen in Aktion gezeigt werden. Mit was für einem freudlosen Ernst da die Autoreifen von Nazis zerstochen werden, wie durchweg verbittert und klischeehaft gemein alle zueinander sind!

Aus der offensichtlichen Sorge, ein allzu positives Bild der Protagonist*innen zu zeichnen, wird das Gegenteil: eine unrealistische Verzerrung, die auf Teufel komm raus um Düsterkeit bemüht ist. Dabei wird völlig verkannt, dass Menschen – ganz unabhängig davon, ob ihre Handlungen politisch, moralisch oder strategisch richtig sind – die einen oder anderen Dinge eben nicht oder nicht nur aus Gruppenzwang oder Wut tun, sondern noch einen weiteren Ansporn haben: Freude und Solidarität. Blockbuster-Regisseur*innen wissen das besser: Adrenalin kickt nicht nur beim Publikum, wenn etwa Ocean’s Eleven ein Casinohotel ausräumen.

Es liegt auf der Hand, dass auch die Handelnden etwas zu feiern haben, wenn sie eine Autobahn überwinden und ein Kohlekraftwerk besetzen, einer Faschistin eine Torte ins Gesicht werfen oder wenn sie Luigi Mangione heißen und einen CEO umbringen. Man braucht diese Sachen nicht durchweg gutheißen, um festzustellen, dass da – neben allen Konsequenzen von Repression bis Knast – Freude im Spiel ist.

Unbewusst passiert dabei womöglich etwas ähnliches wie beim Witzeerzählen. Dafür muss ich jetzt kurz etwas Unspaßiges tun und den ollen Sigmund Freud zitieren. Der Witz ermöglicht demnach die Befriedigung eines Triebes »gegen ein im Weg stehendes Hindernis« – meistens Dinge, die verboten, tabu oder unmöglich sind. Der Witz »umgeht dieses Hindernis und schöpft somit Lust aus einer durch das Hindernis unzugänglich gewordenen Lustquelle«. Deshalb lachen wir. Dasselbe passiert auch bei Aufstand und Aktion.

Dieses scheinbar banale »Zusammen sind wir stärker« ist ein Ausbruch aus dem so verbreiteten Gefühl der völligen Ohnmacht. Das ist wichtig, um sich als handelndes Subjekt zu erleben. Es führt dazu, dass man sich andere Verhältnisse wenigstens mal vorstellen kann.

Es ist das überraschende Gefühl, den Verhältnissen nicht ausgeliefert zu sein. Eine Szene in Paris bei den Massenprotesten gegen die Rentenreform 2023 verdeutlicht das: Bei einer unangemeldeten Demo werden Demonstrant*innen eingekesselt, alles scheint vorbei. Aber dann versammeln sich immer mehr Menschen auf dem Platz. Erst unscheinbar am Rand, dann Slogans rufend, schließlich den Polizeikessel umkreisend, immer zahlreicher, immer enger, bis der Polizeikessel eingekesselt ist und seine Gefangenen freigibt, um selbst abzuhauen. Was für ein Jubel. Dieses scheinbar banale »Zusammen sind wir stärker« ist ein Ausbruch aus dem so verbreiteten Gefühl der völligen Ohnmacht. Das ist wichtig, um sich als handelndes Subjekt zu erleben und zu begreifen. Es führt dazu, dass man sich andere Verhältnisse wenigstens mal vorstellen und auf sie hinarbeiten kann. Und dass Außenstehende Lust bekommen, auch mitzumachen.

Natürlich darf dieses Gefühl nicht mit Strategie oder politischem Anspruch verwechselt werden, geschweige denn sie ersetzen. Verselbstständigt es sich, wird es kopf- und inhaltslos. Aber es bleibt ein entscheidender Bestandteil des Aufstands, auch als strategisches Element.

Das hat auch GenZ verstanden. Seit Ende September finden sich in Madagaskar, Nepal, Peru, Marokko, Philippinen und Serbien junge Leute zusammen, die Massenproteste gegen ihre korrupten Regierungen organisieren. (Siehe S. 17 bis 19) In Marokko ist der Discord-Account von GenZ 212 innerhalb von wenigen Wochen von etwa 3.000 auf 150.000 Mitglieder gewachsen – die den Protest aus dem Netz ganz real auf die Straße bringen. Die Jolly Roger Piratenflagge aus der japanischen Mangaserie »One Piece« ist zuerst nur in Indonesien verwendet worden, mittlerweile aber auch Meme und Protestsymbol in so unterschiedlichen Ländern wie Peru, Madagaskar und Philippinen. Solche gemeinsamen Referenzen machen Spaß und Mut.

Die Freude an Protest und Krawall kann man anerkennen, ohne die Situationen zu verharmlosen oder zu romantisieren. In Marokko starben drei Menschen, als die Polizei Anfang Oktober in die Menge schoss, in Madagaskar gibt es bisher 22 Tote. Mitte Oktober hat sich das madagassische Militär auf die Seite des Protests gestellt und die Regierung gestürzt. Bleibt fraglich, ob es nun besser wird. In Ägypten und Sudan hat nach der Revolution die Machtübernahme des Militärs zu einer Katastrophe geführt. Man kann auch festhalten: Nicht überall sind die GenZ-Bewegungen antikapitalistisch, in Marokko bekennt sich die Bewegung sogar zur dort herrschenden Monarchie. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Erst in der Mobilisierung können Menschen zusammenkommen und in Austausch darüber treten, für welche Gesellschaft sie eigentlich kämpfen möchten.

Lea Fauth

war Redakteurin bei der taz und ist jetzt freie Journalistin für Print und Hörfunk. Sie hat Philosophie und Literatur in Frankreich, Brasilien und Portugal studiert.

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