analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 667 | Soziale Kämpfe

Enteignung in Times of Corona

Die Berliner Kampagne zur Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen geht in die nächste Runde

Von Jan Ole Arps

Den Wohnungskonzernen 240.000 Wohnungen wegnehmen klingt erstmal nach einer super Idee. Foto: ak

Dass Konservative wie Friedrich Merz von »Neidsteuern« schwadronieren, wäre wohl vor einigen Jahren noch nicht passiert. Der Anlass hätte schlicht gefehlt. Dass man Reichen und Unternehmen etwas wegnehmen muss, um die Bedarfe der Allgemeinheit zu finanzieren, hat jahrelang kaum jemand öffentlich ausgesprochen. Dass diese schöne Idee nun wieder Gesprächsthema ist, ist auch dem Einsatz der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen zu verdanken. Ihr Vorschlag lautet, dass Wohnungskonzerne nicht mehr als 3.000 Wohnungen besitzen dürfen. Alles darüber hinaus soll enteignet und in kommunalen Besitz überführt werden. In Berlin betrifft das mindestens 240.000 Wohnungen – elf Prozent aller Wohnungen in der Stadt.

Das Volksbegehren der Initiative, das genau diesen Vorschlag umsetzen will, geht nun in die nächste Runde. Ab 26. Februar werden Unterschriften gesammelt. Innerhalb von vier Monaten muss die Kampagne 175.000 Unterzeichner*innen finden. Wenn das gelingt, wird parallel zur Bundestagswahl im September in Berlin über das Vorhaben abgestimmt. Spricht sich eine Mehrheit der Wähler*innen dafür aus, muss der Senat ein entsprechendes Gesetz ausarbeiten.

Ich bin seit 50 Jahren in Berlin politisch aktiv und habe noch nie eine solche Motivation erlebt, bei einer Kampagne mitzumachen.

Michael Prütz, Deutsche Wohnen & Co enteignen

Kann das klappen, trotz Pandemie und Kontaktbeschränkungen? Michael Prütz, ein Sprecher von Deutsche Wohnen & Co enteignen, ist optimistisch. »Ich bin seit 50 Jahren in Berlin politisch aktiv und habe noch nie eine solche Motivation erlebt, bei einer Kampagne mitzumachen«, sagt er. 400 Aktive engagierten sich, in jedem Bezirk gebe es Kiez-Teams, die per Zoom-Meetings die Unterschriftensammlung vorbereiten, in manchen Bezirken sogar mehrere. Nun arbeite man an einem Hygienekonzept. Die Initiative habe große Mengen FFP2-Masken bestellt und plane, so viele Kugelschreiber zu ordern, dass jede*r Unterzeichner*in den Stift anschließend behalten kann. Um all das zu finanzieren, sammelt die Initiative noch bis Ende Januar Geld per Crowdfunding.

Woher kommt die Enteignungseuphorie?

Woher kommt die Enteignungseuphorie? Der Hauptgrund dürfte die katastrophale Situation auf dem Berliner Mietmarkt sein. Berlin erlebt seit Mitte des ersten 2000er Jahrzehnts eine regelrechte Mietpreisexplosion. Inzwischen ist die Stadt einer der Spitzenreiter, was Wohnungspreise angeht. Die Preise für Eigentumswohnungen steigen pro Jahr um zehn bis 15 Prozent, die Mietpreise bei Neuvermietungen gingen in den letzten Jahren ebenfalls steil nach oben. Wegen des Mietendeckels sind nun zwar die Bestandsmieten eine Weile vor Erhöhungen sicher. Aber viele Vermieter*innen halten Wohnungen zurück – und bei Neubauwohnungen steigen die Mieten umso stärker. In einer Stadt, in der viele Menschen wenig verdienen und fast 85 Prozent zur Miete wohnen, bedeutet all das hohe finanzielle Belastungen und oft Verdrängung.

Dass die Mieten seit Jahren in die Höhe schießen, hat seine Ursache sowohl in Versäumnissen beim öffentlichen Wohnungsbau, vor allem von Sozialwohnungen, als auch darin, dass städtische und landeseigene Wohnungen in den 1990er und 2000er Jahren im großen Stil privatisiert wurden. Auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und die Spekulation mit Wohnraum treiben die Preise. Und schließlich drängen immer mehr professionelle Investor*innen und Wohnungskonzerne auf den Mietmarkt.

In Berlin ist in den letzten Jahren eine breite Mieterbewegung entstanden. In den Innenstadtbezirken gibt es kaum einen Straßenzug, in dem nicht aus irgendeinem Haus Transparente hängen.

In der Stadt ist deshalb in den letzten Jahren eine breite Mieterbewegung entstanden. In den Innenstadtbezirken gibt es kaum einen Straßenzug, in dem nicht aus irgendeinem Haus Transparente hängen, auf denen Mieter*innen sich gegen den Verkauf ihres Hauses oder erzwungene Luxusmodernisierungen aussprechen. Mit dem Rückenwind der Bewegung führte der Berliner Senat im Frühjahr 2020 den Mietendeckel ein, der die Mieten für fünf Jahre auf dem Niveau vom 18. Juni 2019 einfriert und es Mieter*innen inzwischen auch ermöglicht, zu hohe Mieten abzusenken. Und immer wieder gelingt es Hausgemeinschaften, den Senat dazu zu bewegen, vom Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen und einzelne Gebäude privaten Investoren wegzukaufen.

Doch so erleichternd ein Vorkauf durch die Stadt für die Bewohner*innen eines Hauses ist: Die Maßnahme ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Kaufpreis für die Häuser ist hoch; am Ende müssen städtische Gelder genutzt werden, um Immobilieninvestor*innen ein Haus zu Marktpreisen wieder abzunehmen – mitunter eines, das die Stadt Jahre zuvor für einen Bruchteil des Rückkaufpreises veräußert hat.

Hier setzt Deutsche Wohnen & Co enteignen an. Ihr Vorhaben sieht zwar vor, dass Unternehmen bei Enteignung eine Entschädigung erhalten. Doch die soll deutlich unter dem Marktwert liegen.

Was steht für die Mieter*innen auf dem Spiel?

Sollte die Kampagne Erfolg haben, wäre das ein Gewinn für alle Mieter*innen, ist Prütz überzeugt. Er hofft, dass Immobilienspekulant*innen dann einen Bogen um die Stadt machen. Allerdings ist der Sieg noch lange nicht sicher. Von den Berliner Koalitionsparteien steht nur die Linkspartei hinter dem Vorhaben. Die SPD lehnt Enteignungen ab. Die Grünen erklären, dass sie den Grundgedanken der Initiative zwar unterstützen. Sie wollen aber keine Enteignung nach Bestandsgröße, sondern sprechen sich für qualitative Kriterien aus, etwa die Enteignung von Unternehmen, die ihre Mieter*innen besonders schlecht behandeln. »Völlig unrealistisch«, meint Prütz, »wie soll das gehen? Du kannst nicht das Wohlverhalten einzelner Vermieter zum Kriterium machen, das würde vom Bundesverfassungsgericht sofort kassiert werden.«

Klagen sind auch bei einem Erfolg des Volksbegehrens zu erwarten. Hierüber macht sich Prütz allerdings weniger Sorgen. Auch wenn es eine solche Enteignung noch nie gegeben hat, die Möglichkeit ist in Artikel 15 des Grundgesetzes verankert. Der Artikel besagt, dass Grund und Boden und die darauf stehenden Häuser und Produktionsmittel in Gemeineigentum überführt werden können. Modellurteile auf Bundesebene gibt es nicht, weil der Paragraf noch nie zur Anwendung kam. Die rechtliche Auseinandersetzung sei daher Ländersache, meint Prütz. »Wir betreten juristisches Neuland, es wird spannend.«

Schwieriger könnte es für den Mietendeckel werden. Bis Sommer 2021 will das Bundesverfassungsgericht über dessen Zulässigkeit entscheiden. Sollte das Gesetz kippen, drohen vielen Mieter*innen hohe Nachzahlungen. Immerhin: In dem Fall hätte die Berliner Mieterbewegung mit der Enteignungsinitiative noch ein zweites Eisen im Feuer, um den steilen Anstieg der Mietpreise zu bremsen. Sollte beides scheitern, wäre sie wieder allein auf die kleinteilige Arbeit in den Häusern und Wohnblöcken zurückgeworfen.

Die Selbstorganisierung von Mieter*innen des Wohnungskonzerns Deutsche Wohnen zu fördern, ist eigentlich das zweite große Arbeitsfeld von Deutsche Wohnen & Co enteignen. In vielen Häusern hat sie in den letzten Jahren Mieterversammlungen organisiert, teilweise geplante Luxusmodernisierungen verhindert. Diese Arbeit ruht derzeit. Die Corona-Situation macht Hausversammlungen unmöglich; die Online-Organisierung ist keine praktikable Alternative. Die Kampagne hofft, so Prütz, diese Aktivitäten im Frühjahr oder Sommer wieder aufnehmen zu können.

Das Volksbegehren hat schon jetzt einiges erreicht, zum Beispiel Licht in den undurchsichtigen Berliner Immobilienmarkt gebracht. War die Initiative zunächst davon ausgegangen, dass es nur zwölf Konzerne gibt, die mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin besitzen, stellte sich im Zuge weiterer Recherchen heraus, dass es mindestens 17 sind. Im Fall eines Erfolgs eine gute Nachricht: noch mehr Wohnungen, die kommunalisiert werden können.

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.