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Nur eine Fußnote der 68er-Bewegung?

Iranische Linke waren in der BRD lange vor dem Schahbesuch aktiv – ihre Geschichte bleibt bis heute unterbeleuchtet

Von Bahareh Sharifi

Foto einer Demonstration. Auf der Straße stehen Polizisten vor einer Barriere. Hinter der Barriere stehen dicht einander Demonstrantinnen und Demonstraten.
Demonstration gegen den Schah in West-Berlin, 1967. Schon seit Jahren mobilisierten iranische Oppositionelle gegen das Regime. Foto: Ludwig Binder / Stiftung Haus der Geschichte / Wikimedia , CC BY-SA 2.0

Am 22. Oktober 2022 fand die größte Demonstration in der Geschichte der iranischen Diaspora statt. Bis zu 100.000 Menschen aus ganz Europa gingen in Berlin auf die Straße, um sich mit der aktuellen revolutionären Bewegung im Iran zu solidarisieren, die 5 Wochen vorher ihren Anfang nahm. Nicht zum ersten Mal wurde Berlin Schauplatz der Geschichte der iranischen Diaspora. Wie sehr diese Geschichte mit der westdeutschen Nachkriegsgeschichte verwoben ist, und welche Rolle die iranische Linke darin spielte, scheint heutzutage noch kaum bekannt zu sein.

Am 2. Juni 1967 gingen Tausende, zumeist Studierende in West-Berlin, auf die Straßen, um gegen den Staatsbesuch des Schahs, Reza Mohammad Pahlavi und sein repressives Regime zu demonstrieren. Doch der massive Polizeieinsatz und der Todesschuss gegen den Studenten Benno Ohnesorg wurden zur Zäsur für eine ganze Generation. »(A)ls die Studenten auf die Straße gingen um die Wahrheit über Persien bekannt zu machen, (…) da kam auch die Wahrheit über den Staat raus, in dem wir selbst leben, da kam raus, dass man einen Polizeistaatschef nicht empfangen kann, ohne selbst mit dem Polizeistaat zu sympathisieren. Die Proteste gegen einen Polizeistaatchef entlarvten unseren Staat selbst als Polizeistaat. Polizei- und Presseterror erreichten am 2. Juni in Berlin ihren Höhepunkt« kommentierte Ulrike Meinhof, damals noch Redakteurin der konkret, die Ereignisse in einem Fernsehbeitrag der ARD.

Das sich fortschreibende repressive politische Klima der Nachkriegs-BRD erlebte die aufkommende westdeutsche Linke als ein fortwährendes Unbehagen und sah die Gefahr, in jüngst vergangene Zeiten zurückzufallen. Die wenige Monate zuvor gebildete Große Koalition stellte nun eine Mehrheit, um lang geplante Notstandsgesetze im Grundgesetz zu verankern. In der Publikation »Schahbesuch 1967« zeichnet Historiker Eckard Michels nach, wie sehr sich für linke Kräfte der Eindruck verstärkte, dass damit ein dauerhafter Ausnahmezustand ausgerufen und politische Aktivitäten eingeschränkt werden könnten. Der Schahbesuch war dabei lediglich Katalysator einer sich anbahnenden autoritären Staatsräson, die staatlichen Repressionen eine Art Notstandsübung. So wurden rückblickend die Proteste gegen das Schah-Regime zur Fußnote der 68er-Bewegung.

Ein Jahrzehnt der Mobilisierung

In der deutschen Geschichtserzählung tauchen Iraner*innen selbst nur als Statist*innen auf, »Jubel-« und »Prügelperser« die zugewiesene begriffliche Dichotomie. Während weiße deutsche Studierende gegen Menschenrechtsverletzungen im Iran auf die Straße gingen, jubelten Iraner*innen dem Schah unhinterfragt zu, um im nächsten Schritt auf die Protestierenden einzuprügeln, so die Erzählung. Die iranische Linke findet höchstens in der Figur des Autoren und Journalisten Bahman Nirumand Erwähnung. Er hatte am Vorabend des Schahbesuchs bei einer Veranstaltung des AStA der Freien Universität Berlin einen Vortrag über die politische Situation im Iran gehalten. Der Rest der iranischen Opposition in der BRD geriet in Vergessenheit. Dabei waren sie es, so Michels, die maßgeblich zu Protesten in Berlin und den anderen Orten der Staatsreise des Schahs mobilisiert hatten.

Foto einer Veranstaltung. In der Mitte am Rednerpult steht Bahman Nirumand, vor ihm drei Mikrophone. Um ihn herum sitzen studierende und hören zu.
Der Autor und Journalist Bahman Nirumand bei einer Info-Veranstaltung am Vorabend des Schah-Besuchs. Foto: Ludwig Binder / Stiftung Haus der Geschichte / Wikimedia , CC BY-SA 2.0

Bereits seit Anfang der 1960er Jahre hatte sich in Westdeutschland zumeist innerhalb der Studierendenschaft eine iranische Opposition gebildet, die die massiven sozio-ökonomischen Ungleichheiten und das repressive politische Klima durch das Pahlavi-Regime anprangerte. Prominenteste Vertretung war dabei die 1960 in Heidelberg gegründete Konföderation Iranischer Studenten. Der zunächst von der Regierung geförderte, international agierende Dachverband sollte zum kulturellen Zusammenhalt innerhalb der Studierendenschaft dienen, politisierte sich aber bereits in den Anfangsjahren und wurde zur treibenden Kraft innerhalb der iranischen Opposition im globalen Norden.

Bereits vor dem Schahbesuch hatte die iranische Opposition regelmäßig politische Aktionen organisiert. Als im Frühjahr 1962 Studierendenstreiks an der Teheraner Universität militärisch niedergeschlagen wurden, hatten iranische Studierende in westdeutschen Städten zu Protesten aufgerufen. Und als einen Monat später der iranische Premierminister Amini auf Staatsbesuch in die BRD kam, wurden Iraner*innen bei Protesten in West-Berlin festgenommen. Auch gegen Staatsbesuche in Iran wurde protestiert. Im Oktober 1963 traten in Erlangen iranische Studierende in einen Hungerstreik, um gegen die Iran-Reise des Bundespräsidenten Heinrich Lübke zu protestieren. Doch die Proteste erfuhren kaum öffentliche Resonanz. Selbst bei den Mobilisierungen gegen den Schahbesuch 1967 stießen sie unter ihren deutschen Kommiliton*innen auf Desinteresse. Der Fokus der internationalen Solidarität, insbesondere beim West-Berliner SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) um Rudi Dutschke, lag zu diesem Zeitpunkt auf dem Vietnamkrieg. Erst durch die Unterstützung der iranischen Studierenden durch die Kommune 1 konnte auch eine breitere Mobilisierung unter der deutschen Studierendenschaft erreicht werden.

Die Ereignisse um den Schahbesuch sind nicht nur exemplarisch für die Überschreibung der Geschichte der migrantischen Linken, sondern auch für die staatlichen Repressionen, mit denen sie konfrontiert waren.

Die Ereignisse um den Schahbesuch sind aber nicht nur exemplarisch für die Überschreibung der Geschichte der migrantischen Linken, sondern auch für die staatlichen Repressionen, mit denen sie konfrontiert waren. Während die deutsche linke Studierendenschaft vor dem 2. Juni 1967 noch kaum im Fokus der staatlichen Behörden stand, fanden im Vorfeld des Schahbesuchs quer durch die Bundesrepublik Repressionen gegen iranische Aktivist*innen statt. Die Dokumente von Hunderten Iraner*innen wurden überprüft. Die Maßnahmen reichten von der Untersagung politischer Betätigung am Wohnort, teilweise im gesamten Bundesland, bis hin zur Residenzpflicht am Wohnort. In München hingegen mussten über hundert Iraner*innen Oberbayern für einige Tage verlassen. In manchen Städten mussten sie sich mehrmals am Tag bei einer zugewiesenen Polizeistelle melden.

Die juristische Grundlage dafür lieferte das 1965 verabschiedete Ausländergesetz, das die Ausländerpolizeiverordnung von 1938 ablöste. Zwar wurde dadurch das Aufenthaltsrecht novelliert, jedoch ermöglichte das Gesetz, wie auch sein Vorgänger aus der Nazi-Zeit weiterhin, die Rechte von Ausländer*innen einzuschränken, soweit sie »die Belange der Bundesrepublik« beeinträchtigten. So kam es im Vorfeld des Schahbesuchs zum ersten Mal zur Kollektivanwendung des neuen Ausländergesetzes.

Deutsch-iranische Geheimdienstkooperation

Die entsprechenden Informationen dazu hatten die deutschen Behörden von der iranischen Geheimpolizei (SAVAK) erhalten. Bereits seit Ende der 1950er Jahre hatte die SAVAK Verbindungen zum Verfassungsschutz, um durch dessen Unterstützung Mitglieder der kommunistischen Tudeh-Partei in der DDR auszuspionieren. 1953 fiel Mossadeghs Regierung infolge eines von Großbritannien und die USA orchestrierten Militärputsches, da er die Verstaatlichung der iranischen Ölindustrie erwirkt hatte, die mehrheitlich in britischem Besitz war. Der Putsch wurde jedoch der Tudeh-Partei zugeschoben. Um der Verfolgung durch das daraufhin regierende Schah-Regime zu entgehen, flohen zentrale Tudeh-Mitglieder in die DDR.

Die bereits seit Anfang der 1950er Jahre bestehenden diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen der BRD mit dem Iran wurden um die Zusammenarbeit der beiden Geheimdienste ausgebaut. Die BRD erhoffte sich durch die Spionagetätigkeiten der SAVAK mehr über die SED-Kader herauszufinden. Ab 1962 bezog dann die SAVAK in Köln ihren Hauptstützpunkt in Europa, um auch gegen die iranische Opposition in der BRD vorzugehen. So waren die beim Schahbesuch als »Prügelperser« bekannt gewordenen Schläger letztlich SAVAK-Mitarbeiter, die damit beauftragt waren, jedweden oppositionellen Protest zu unterdrücken.

Durch Skandalisierung der iranischen Linken war spätestens ab Mitte der 1960er auch der deutschen Öffentlichkeit bekannt, dass die SAVAK in der BRD operierte. Da es jedoch hieß, dass sie sich hauptsächlich auf kommunistische Kräfte konzentrierte, sorgte dies jenseits der Linken für wenig Aufregung.

Tatsächlich dauerte es noch 10 Jahre, bis die Zusammenarbeit zu einem Politikum wurde. Während einer Besetzungsaktion in der iranischen Botschaft in Genf im Sommer 1976 konfiszierten iranische Linke Geheimdienstmaterialien der SAVAK, die die enge Zusammenarbeit mit europäischen Behörden und Geheimdiensten nachwiesen. Noch Monate zuvor hatte die Bundesregierung behauptet, dass es keine direkte Zusammenarbeit gäbe. Ein öffentlichkeitswirksamer Hungerstreik in Hannover im Frühjahr 1977 von Mitgliedern der Konföderation durchbrach schließlich die bis dato verhängte Informationssperre der Bundesregierung. Die Bundesregierung bestätigte offiziell, dass seit 1959 der Verfassungsschutz mit der SAVAK zusammengearbeitet hatte.

Zu diesem Zeitpunkt bröckelte das Schah-Regime bereits, wenige Monate später begannen die Proteste, die als Iranische Revolution in die Geschichte eingingen. Doch damit nahm die Geschichte der SAVAK in der BRD kein Ende, wenn man zum Beispiel den obskuren Fall eines 2003 vor dem Berliner Landesgericht wegen Spionage verurteilten Deutsch-Iraners betrachtet. Bis zur Revolution war er als Vize-Konsul der iranischen Botschaft in West-Berlin tätig und für die Führung der Mitarbeiter*innen der SAVAK zuständig. Ab den 1990ern sammelte er für die Nachfolgeorganisation Vevak, dem Geheimdienst des Islamischen Regimes, Informationen über Monarchist*innen und SAVAK-Mitarbeiter*innen, die wie er nach der Revolution in der Bundesrepublik Asyl erhalten hatten.

Auch dieser Tage lassen sich Kontinuitäten beobachten, beispielsweise wenn der Sohn des Schahs von Teilen der iranischen Diaspora penetrant als Nachfolger der Islamischen Regierung gehandelt wird oder die jüngst von der Autorin Düzen Tekkal im Bundestag vorgestellte Petition, die unter anderem »erhöhte Schutzmaßnahmen für Exil-Iraner*innen durch den deutschen Verfassungsschutz« fordert. Ein Blick in die Geschichte wäre da hilfreich, um nicht erneut repressiven Kräften Vorschub zu leisten, weder in Iran noch in Deutschland.

Porträt von Bahareh Sharifi

Bahareh Sharifi

ist Kultursoziologin und forscht zur linken Bewegungsgeschichte migrantischer und geflüchteter Communities. Zudem entwickelt sie Antidiskriminierungs- sowie Empowermentmaßnahmen für den Kulturbereich.

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