Das gute Leben im Alter geht alle was an
Die Rente ist in Frankreich ein Mobilisierungsbooster, und zwar generationenübergreifend – warum?
Von Lea Fauth

Zwei Jahre nach ihrer Verabschiedung ist die Rentenreform in Frankreich immer noch Thema. Gewerkschaften mobilisieren, Oppositionsparteien wollen sie rückgängig machen, und für Juni haben die Abgeordneten der Kommunistischen Partei einen entsprechenden Resolutionsantrag ins Parlament eingebracht. Kaum ein Thema mobilisiert in Frankreich mehr als die Rente. Anfang 2023 führte die Rentenreform zu einem massiven Streik, der Monate andauerte.
Kurz gesagt ging es in der Reform neben anderen Einsparungen darum, das Renteneintrittsalter von 62 auf 65 Jahre anzuheben. Allerdings trügt dieses offizielle Wording, da es eigentlich um eine Erhöhung der Beitragsjahre auf 43 ging. Durch Studium, Ausbildung, Kinderbetreuung oder andere Umstände können viele Französ*innen seit der Reform faktisch erst ab 67 Jahren in Rente gehen.
Während des Streiks wurden Industriehäfen und Ölraffinerien blockiert, ebenso Autobahnen und Zufahrtsstrecken zu den Großstädten. In Paris fuhr teilweise der öffentliche Verkehr nicht, und der nicht mehr abgeholte Müll türmte sich an den Straßenrändern meterhoch, bei unangemeldeten abendlichen Spontandemonstrationen wurde er teilweise angezündet. Das Benzin an den nicht mehr belieferten Tankstellen wurde knapp, und auch um ausreichend Kerosin an den Flughäfen bangte die Regierung kurzzeitig. Mitarbeiter*innen von Elektrizitätswerken stellten gezielt den Strom in manchen Städten oder auch bei bestimmten Politiker*innen ab.
Rente wird in Frankreich seit jeher als fundamentaler und selbstverständlicher Bestandteil der Sozialpolitik mitgedacht.
Aus deutscher Perspektive drängt sich die Frage auf, warum Renten in Frankreich überhaupt so stark mobilisieren. Auch unter Jüngeren: Universitäten wurden und werden bei den Rentenprotesten mitunter als erstes verbarrikadiert und besetzt. Vermutlich ist auch für Französ*innen der Ruhestand eine ferne und daher abstrakte Vorstellung; doch wird Rente in Frankreich seit jeher als fundamentaler und selbstverständlicher Bestandteil der Sozialpolitik mitgedacht. 1981 senkte der sozialistische Präsident François Mitterand das Rentenalter auf 60 Jahre, seither gilt dies als soziale Errungenschaft, hinter die man nicht zurückfallen möchte. Auch gilt die Rentenreform als Einfallstor für weitere Privatisierungs- und Sparmaßnahmen, die den Sozialstaat zersetzen. Als essenzieller Bestandteil sozialer Kämpfe hat der Rentenprotest 2023 Jung und Alt auf die Straße gebracht. Auch jene, die schon längst in Rente waren und selbst nicht von der Reform betroffen sein würden.
Wie es passieren konnte, dass die verhasste Rentenreform trotz des monatelangen Streiks von der Macron-Regierung am Ende durchgesetzt wurde, animiert die innerlinke Debatte. Im heterogenen Bündnis Intersyndicale sind Gewerkschaften mit teilweise sehr unterschiedlichen politischen Ausrichtungen vertreten, darunter auch die katholisch konservative CFDT. Die radikaleren Bündnismitglieder kritisierten, dass der Streik nicht weit genug gegangen sei, nicht lange genug gehalten habe, um tatsächlich wirtschaftlichen Schaden anzurichten und somit ein öffentliches Druckmittel in der Hand zu haben. Konservative Gewerkschaften fürchteten hingegen, die breite Unterstützung der Bevölkerung könne bei zu radikalen Entscheidungen wegbrechen.
Wahr ist auch, dass Präsident Emmanuel Macron die Reform ohne parlamentarische Mehrheit, also per Dekret durchgesetzt hat und angesichts des massiven Chaos im Land ungewöhnlich hart geblieben ist. Man hat schon Rücktritte und Einlenken bei deutlich schwächerem öffentlichen Druck gesehen – sei es in Deutschland oder in Frankreich. Bei einer Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Frühjahr 2023 antwortete der Gelbwesten-Experte und Autor Guillaume Paoli auf die Frage, warum Macron gegen alle Vernunft und trotz schwindender Unterstützung in den eigenen Reihen so eisern weitermache: »Ich weiß es einfach nicht!«