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|Thema in ak 673: Mieterprotest & Enteignung

»Die Leute hassen die Vermieter«

Was ist jetzt nötig, damit die Enteignung in Berlin wirklich gelingt? Zwei Aktivistinnen der Kampagne geben Auskunft

Interview: Jan Ole Arps und Nelli Tügel

Fast eine Million Stimmen für Enteignung werden am 26. September gebraucht. Wo sollen sie herkommen? Die Kampagne sucht jetzt in den Außenbezirken. Foto: Christian Mang

Wie unbeliebt kann man sein? Die Deutsche Wohnen hat das Kunststück vollbracht, ihre Mieter*innen so schlecht zu behandeln, dass eine nach ihr benannte Enteignungsinitiative mehrere Hunderttausend Unterschriften sammeln konnte. 240.000 Wohnungen könnten in Berlin in Gemeineigentum überführt werden – wenn der Volksentscheid zur Vergesellschaftung der großen Wohnungskonzerne erfolgreich ist. Parallel zur Bundestagswahl Ende September wird abgestimmt. Wie stehen die Chancen? Was plant die Mieter*innenbewegung für den Wahlkampf? Wie sieht es außerhalb von Kreuzberg und Neukölln aus? Und was kann man von den Erfahrungen mit der Mieter*innenorganisierung für die Wohnungskämpfe in anderen Städten lernen? Darüber haben wir mit Nina Scholz und Mira Wallis von der Starthilfe AG der Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen gesprochen.

Herzlichen Glückwunsch zu fast 360.000 Unterschriften. Warum lieben so viele Berliner*innen die Idee, den großen Unternehmen die Wohnungen wegzunehmen?

Mira Wallis: Die Frage heißt glaube ich: Wie kommt es, dass so viele Berliner*innen die Wohnungskonzerne so hassen? Es ist ein Thema, das einfach sehr viele Menschen betrifft.

Nina Scholz: Dass es so viel Zuspruch für die Forderung gibt, ist gar nicht selbstverständlich. Als 2018 die Enteignungsidee das erste Mal vorgeschlagen wurde in der berlinweiten Vernetzung der Deutsche-Wohnen-Mieter*innen, schien es uns, die das vorgeschlagen haben, total logisch: Die Deutsche Wohnen arbeitet nach Profitlogik, sie muss mit den Mieten spekulieren, man kommt deshalb aus den Abwehrkämpfen nicht raus. Es bleibt einem gar nichts anderes als die Enteignung, um diese Spirale zu stoppen. Aber manche Leute auf der Mietervernetzung waren erstmal gar nicht begeistert.

Warum?

Nina Scholz: Einer hat zum Beispiel zu mir gesagt: Ich stell mich doch nicht in Reinickendorf in die Fußgängerzone und sag zu meinem Nachbarn »Enteignung«, wie stellst du dir das vor? Zusammen mit den Nachbarn gegen den Vermieter zu kämpfen, ist schon heftig, aber sich auch noch für die Enteignung einzusetzen – dafür gab es 2018 selbst bei denen, die sehr gebeutelt waren von dem Unternehmen, noch viel Ablehnung, vor allem in Westberlin.

Wir machen keine Versprechungen. Wir sagen den Leuten ehrlich, wir legen uns mit riesigen Konzernen an, wir brauchen jeden, mach bitte mit.

Nina Scholz

Jetzt wird am 26. September, parallel zur Bundestags- und zur Berliner Abgeordnetenhauswahl, über den Volksentscheid abgestimmt. Die beinahe 360.000 Unterschriften sind ein beeindruckendes Ergebnis. Allerdings darf ein ganzes Drittel davon, meist mangels Wahlberechtigung wegen der Staatsbürgerschaft, nicht abstimmen. Wie soll es gelingen, eine Million Ja-Stimmen zusammenzubekommen?

Nina Scholz: Das wird eine Mammutaufgabe. Wir konzentrieren uns jetzt auf die Außenbezirke. Dort waren wir schon bei der Unterschriftensammlung, aber leichter konnte man Unterschriften am Wochenende auf dem Tempelhofer Feld sammeln. Ich finde die Vorstellung einschüchternd, dass ich Menschen, die normalerweise aus guten Gründen nicht wählen gehen, weil sie desillusioniert sind – und davon begegnet man vielen bei den Haustürgesprächen – nun davon überzeugen möchte, dass sie diesmal zur Wahl gehen. Das ist ganz was anderes, als nach einer Unterschrift zu fragen. Ich glaube, dass es total wichtig ist, dass wir früh mit den Haustürgesprächen angefangen haben. Es ist in der Kampagne immer wieder angezweifelt worden, ob wir damit nicht Ressourcen verschwenden. Aber dadurch gibt es jetzt eine große Basis von Leuten, die das schon mal gemacht haben.

Was ist jetzt geplant?

Mira Wallis: Zum einen gibt es jetzt Kiezteampartnerschaften zwischen Außenbezirken und Innenstadtbezirken, um die Basis zu schaffen, dass genug Leute Haustürgespräche führen. Neukölln ist zum Beispiel ein sehr starkes Kiezteam, aber im Vergleich zu Marzahn leben da viel weniger Wahlberechtigte. Deshalb unterstützen Aktive aus Neukölln nun das Kiezteam Marzahn. Wir werden nicht auf große Wahlevents setzen, sondern niedrigschwellige Wahlkampfstände mit Kaffee und Kuchen machen, von denen Leute losziehen und Gespräche führen können. Natürlich werden wir auch Plakate aufhängen. Es soll einen Film geben und einen Bus, mit dem wir durch die Bezirke fahren. Und dann sind noch Workshops geplant, um noch mehr Leute sprechfähig für die Kampagne zu machen und ihnen Argumente für die Gespräche an der Haustür und auf der Straße an die Hand zu geben.

Parallel beginnen der Bundestagswahlkampf und der Abgeordnetenhauswahlkampf, es wird Unmengen Wahlkampfstände und -plakate geben. Wie wollt ihr da rausstechen?

Nina Scholz: Wenn wir versuchen, mit dem Wahlkampf der Parteien zu konkurrieren, werden wir untergehen. Unsere Stärke liegt in den Einzelgesprächen. Man merkt, dass die Menschen auf uns anders reagieren als auf Parteien. Viele sind begeistert, wenn sie sehen, da stehen Menschen und opfern ihre Freizeit, ohne dass sie ein Posten erwartet. Ich denke, das ist es, womit wir punkten: dass es ein gemeinsamer Kampf ist. Wir machen keine Versprechungen. Wir sagen den Leuten ehrlich, wir legen uns da mit riesigen Konzernen an, die werden nicht klein beigeben, wir brauchen jeden, macht bitte mit.

Was erwartet ihr von der Gegenseite?

Nina Scholz: Ich rechne mit dem Schlimmsten, die Kapitalseite wird auf jeden Fall losschlagen. In Marzahn verbreitet Mario Czaja, der frühere Senator für Gesundheit und Soziales und jetzt CDU-Kandidat in Marzahn-Hellersdorf, schon die Lüge von der geplanten Enteignung der Genossenschaften. Er spricht die ehemaligen DDR-Bürger so auf »Das ist euer Erbe, was hier enteignet werden soll« an. Sowas wird noch viel mehr passieren.

Mira Wallis (links) und Nina Scholz (rechts).
Foto: ak

Mira Wallis und Nina Scholz

sind in der Starthilfe AG der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen aktiv. Die Starthilfe AG unterstützt Mieter*innen, die sich organisieren wollen, bietet Beratung und hat eine hilfreiche Broschüre mit Tipps veröffentlicht. Kontakt zur Starthilfe AG: starthilfe@dwenteignen.de. Broschüre runterladen: deutsche-wohnen-protest.de.

Gehen wir mal davon aus, im September kommt die nötige Mehrheit zusammen. Wenn wir weiter einen rot-rot-grünen Senat haben, bleibt immer noch das Problem: Die SPD ist gegen Enteignung, die Grünen sind auch nicht wirklich dafür. Und die Linkspartei hat entweder zu wenig zu melden, oder wenn es hart auf hart kommt, kann man sich auch nicht sicher sein, was sie machen. Der Senat hantiert schon jetzt mit tendenziösen Informationen wie in der Stellungnahme zur Wahl, wo exorbitante Entschädigungssummen genannt werden. Was muss nach der Wahl passieren, damit so ein Vergesellschaftungsgesetz überhaupt kommt?

Nina Scholz: Ich weiß nicht, wie es andere beim Sammeln gemacht haben, aber ich habe da niemanden angelogen so nach dem Motto, unterschreib jetzt, und dann kommt als nächstes die Vergesellschaftung. Wenn die Leute gefragt haben, wie realistisch das ist, dann ist das der Punkt, wo wir den Leuten klar machen, dass wir weiter darum kämpfen müssen. Wie genau, darüber denken wir nach, wenn das Volksbegehren gewonnen ist.

Ist der Senat durch ein erfolgreiches Volksbegehren eigentlich daran gebunden, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen?

Mira Wallis: Wir fordern vom Berliner Senat, alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind. Dazu gehört auch die Enteignung nach Artikel 15 Grundgesetz. Unser Volksentscheid ist aber ein Beschlussvolksentscheid und kein Gesetzesvolksentscheid und damit juristisch nicht einklagbar. Deshalb hat die Kampagne parallel einen Gesetzesvorschlag erarbeitet. Das ist unser konkreter Vorschlag, und die Hoffnung ist, dass mit genug Druck das Gesetz, das der Senat ausarbeiten würde, sich möglichst stark an dem orientiert. Unsere Aufgabe ist es, die soziale Basis dafür zu schaffen, die Forderung anschließend weiter durchkämpfen zu können.

Ein Vergesellschaftungsgesetz wird unter anderem vom Senat juristisch umstritten genannt, vor allem, weil die Berliner Landesverfassung Vergesellschaftungen ausschließt. Droht es am Ende gekippt zu werden wie der Mietendeckel?

Nina Scholz: Da, wo ich unterwegs bin, begegne ich solchen Einwänden wenig. Ich begegne dem, dass die Leute die Vermieter hassen. Die Entscheidung zum Mietendeckel war natürlich für viele Leute total demotivierend. Aber ehrlich gesagt: Zur Miete zu wohnen, ist total demotivierend, weil man in einer Stadt wie Berlin permanent auf dem Schleudersitz sitzt. Unsere Aufgabe im Organizing ist es, diese Ohnmacht zu überwinden und eine kollektive Wut dagegen zu setzen.

Mira Wallis: Bei den Haustürgesprächen merkt man, welche Nachwirkungen der Mietendeckel hat. Dass viele krasse Nachzahlungen haben, damit total alleingelassen waren. Wenn ich dann erkläre, dass die Vergesellschaftung nicht auf fünf Jahre angelegt ist und dass die vergesellschafteten Wohnungen nicht wieder privatisiert werden können, überzeugt das viele.

Nina Scholz: Ältere Mieter der Deutschen Wohnen erinnern sich auch noch, wie es vorher bei der GSW war, der städtischen Gesellschaft, die ihre Wohnungen an die Deutsche Wohnen privatisiert hat. Da war nicht alles super, aber es ist nicht mit ihren Mieten spekuliert worden. Gerade älteren Mieter*innen macht das eine riesige Angst, die wollen einfach weg von der Deutsche Wohnen.

Am Ende eines Haustürgesprächs muss eine konkrete Verabredung stehen. Zu fragen, ob jemand theoretisch Bock hätte, bringt nicht viel.

Mira Wallis

Wie viele organisierte Hausgemeinschaften gibt es eigentlich in Berlin?

Nina Scholz: Keine Ahnung, das verändert sich so schnell. Es gab Deutsche-Wohnen-Mietertreffen, da haben Leute aus 30 Initiativen gesessen, nur von Deutsche Wohnen. Und es gibt noch unendlich viel mehr. Aber die zerfallen auch wieder nach konkreten Kämpfen.

Mira Wallis: Mit den großen Ankäufen durch den Heimstaden-Konzern hat es letztes Jahr nochmal einen Schub gegeben, da haben sich viele Hausgemeinschaften neu organisiert.

Ihr seid in der Starthilfe AG aktiv, die die Organisierung von Mieter*innen unterstützt. Was macht ihr dort?

Nina Scholz: Nach den ersten größeren Treffen der Deutsche-Wohnen-Mieter vor vier Jahren haben wir gemerkt, dass Mieter*innen immer mit den gleichen Fragen kommen: Ich hab hier diese Betriebskosten, die ich nicht verstehe; ich will mit meinen Nachbarn kämpfen, wie mach ich das? Daher kam die Idee auf, es bräuchte eine Art Starthilfekabel für all die Leute, die was machen wollen: dass wir Erfahrungen weitergeben, wie man an der Haustür am besten mit den Nachbar*innen spricht, wie man zu einer Mieterversammlung einlädt, sich auf ein Ziel einigt und das durchkämpft. Im Mai 2018 gab es dann das erste Starthilfetreffen der Kampagne von Deutsche Wohnen & Co enteignen. Ich habe damals mit Mieterinitiaven gesprochen, die am Mietenvolksentscheid beteiligt waren, und die haben mir mitgegeben, dass in solchen Kampagnen die Anliegen der Betroffenen oft untergehen. Deshalb haben wir gesagt, ohne die Mieterinitiativen kann es den Volksentscheid nicht geben. Aber wenn die Aktivisten der Kampagne erstmal loslegen und die Kampagnenlogik sich durchsetzt, hat das schnell keinen Platz mehr. Deshalb haben wir die AG gegründet, die einen Fuß in der Mietervernetzung bei der Deutsche Wohnen und in der Mieterbewegung hat und den anderen Fuß in der Kampagne. Wir hatten uns das als Bindeglied gedacht, auch wenn man ehrlicherweise sagen muss, dass das nicht so funktioniert hat.

Was hat nicht funktioniert?

Nina Scholz: Was wir damals unterschätzt haben, ist, dass Leute, die konkret kämpfen, egal ob sie am Ende gegen ihren Vermieter gewinnen oder verlieren, danach nicht unbedingt den nächsten Schritt machen und in den Aktivistenstatus wechseln. Wir haben gedacht, aus den kurzfristigen Organisierungen wachsen langfristige Organisierungen. Aber so funktioniert es nicht automatisch. Gegen einen Vermieter zu kämpfen, ist einfach nervenaufreibend und kräftezehrend. Mein Haus ist auch gerade verkauft worden an einen Investor, und zu der ganzen Lohnarbeit und allem anderen, was man zu tun hat, muss man sich noch mit den Nachbar*innen zusammenschließen, Forderungen aufstellen, mit der Presse reden, mit Politikern reden – wenn das vorbei ist, ist man so fertig, da möchte man am liebsten erstmal seine Ruhe und niemanden mehr sehen.

Bei der Enteignung helfen

Nur noch wenige Wochen, dann wird abgestimmt. Die Kampagne braucht jetzt jede Unterstützung. Du wohnst in Berlin und willst dich einbringen? Am besten schließt du dich einem Kiezteam an. Kontaktadressen und sonstige Mitmachmöglichkeiten findest du auf www.dwenteignen.de/mitmachen (dort kannst du auch die Enteignungs-App runterladen) oder auf den Social Media Kanälen von Deutsche Wohnen & Co enteignen. Du willst beim Telefon-Organizing helfen? Schreib eine Mail an starthilfe@dwenteignen.de. Du willst Teil der bundesweiten Enteignen-Vernetzung werden, die auch am 11. September zur großen Mietendemo nach Berlin mobilisiert und am Folgetag die Kiezteams bei Haustürgesprächen unterstützt? Schreib eine Mail an bundesweit@dwenteignen.de. Du willst Geld spenden? Infos findest du auf www.dwenteignen.de/spenden.

Das heißt, ihr habt vor allem negative Erfahrungen gemacht?

Nina Scholz: Nein, im Gegenteil, das war eine Sache, die nicht funktioniert hat. Wichtiger ist aber, dass wir in der Starthilfe vermitteln, dass Organizing ein Handwerk ist, das jeder lernen kann. Es gibt nur ein paar Sachen, die man wissen muss, die haben wir in einer Broschüre aufgeschrieben und geben wir in Workshops weiter. Das hat sich total bewährt. Und wir haben gemerkt: Das, was wir beim Mieter-Organizing gemacht haben, können wir auch in den Volksentscheid einbringen.

Mira Wallis: Die Starthilfe ist ein Ort, wo Sachen ausprobiert und weiterentwickelt werden. Dadurch sammeln sich viele Erfahrungen an, und ich finde es zum Beispiel toll, wie sich das Konzept des Blitzes weiter entwickelt hat und jetzt auch im Wahlkampf eine Rolle spielt – und man weiß noch gar nicht, wie diese Erfahrungen in Zukunft die linken Bewegungen in Berlin verändern werden.

Blitz?

Nina Scholz: Das haben wir von der IG Metall übernommen. Bei einem Organizing-Blitz gehen viele Leute in einen Betrieb und sprechen in einem konkreten Zeitraum mit sehr vielen Beschäftigten. Das haben wir auf Häuser umgemodelt. Wir haben es zum Beispiel bei den 23 Häusern, die die Deutsche Wohnen letztes Jahr gekauft hat, gemacht. Oder bei den Heimstaden-Häusern. Wir haben uns dafür einen Pool an Leuten gesucht, haben ihnen eine Organizing-Mini-Schulung gegeben und sie auf die Häuser verteilt. Dann sind sie ausgeschwärmt, haben Kontakte gesammelt und den Leuten gesagt, dass am nächsten Tag eine Mieterversammlung wegen des Hauskaufs stattfindet. Daraufhin haben wir am mit 100 Leuten oder mehr eine Mieterversammlung gemacht und dadurch in diese Häuser ordentlich Power reingebracht. In der Kampagne haben wir das Konzept auf die Haustürgespräche übertragen.

Mira Wallis: Es klingt ziemlich naheliegend, aber ist aus meiner Sicht echt revolutionär, dass man linke Aktivisten befähigt, mit Leuten zu sprechen, statt nur irgendwo einen Flyer abzuwerfen und sich dann zu wundern, warum niemand kommt. Und es muss am Ende eine konkrete Verabredung herauskommen. Zu fragen, ob jemand theoretisch Bock hätte, bringt nicht viel. Besser ist zu sagen, dann und dann ist die Mieter*innenversammlung, auf der wollen wir das und das besprechen und einen Plan machen, wie wir das gewinnen können, bist du dabei?

Man kann noch gar nicht abschätzen, wie sehr die Erfahrungen mit dem Mieterorganizing die linken Bewegungen in Berlin verändern werden.

Mira Wallis

Was gibt es noch in eurem Werkzeugkasten außer dem Blitz?

Nina Scholz: Eine Erfahrung, die ich total wichtig finde: Es gibt ganz oft bei so einem Anliegen drei, vier Leute, die vorpreschen, und das sind dann auch die Leute, die die Aufgaben haben. Eine Mieterinitiative ist ungleich erfolgreicher und langlebiger, wenn von Anfang an die Last auf mehr Schultern verteilt ist. Sonst brechen die drei Leute irgendwann zusammen oder sind frustriert mit den Nachbarn. Eine der ersten Sachen, die man machen muss, ist deshalb, die Verantwortung auf möglichst viele aufzuteilen.

Mira Wallis: Andere Säulen waren Workshops für die Initiativen, zum Beispiel: Wie kann ich mit der Presse sprechen? Wie organisiere ich eine Mieterversammlung? Das ruht momentan wegen der Kampagne. Und die dritte Säule war Beratung, dass wir Initiativen in ihrem Prozess begleitet haben.

Nina, du bist in Marzahn-Hellersdorf aktiv. Welche Erfahrungen hast du dort gemacht, gibt es spezielle Herausforderungen?

Nina Scholz: In Marzahn-Hellersdorf gibt es sehr viele Deutsche-Wohnen-Wohnungen, aber nie kamen Mieter*innen von dort zum Mieter*innen-Protest Deutsche Wohnen. Ein Kiezteam gab es auch nicht, also haben wir gesagt: Da geben wir jetzt Starthilfe. Ich weiß nicht, ob man heute einen anderen Weg gehen könnte, aber es war Corona und Lockdown, daher haben wir einfach alle politisch aktiven Gruppen, die uns eingefallen sind von Linkspartei und Mieterverein über zivilgesellschaftliche Gruppen bis zu ASH-Student*innen, angeschrieben und gesagt, wir wollen ein Kiezteam gründen. Das war im Nachhinein betrachtet erstmal ein Hemmschuh. Denn bei anderen Kiezteams sind Leute gekommen, die Bock hatten mitzumachen, während bei uns oft auch Vertreter von Gruppen saßen. Bis heute ist es so, dass ein großer Teil des Kiezteams nicht in Marzahn-Hellersdorf wohnt. Letzte Woche haben wir endlich mal ein Grillen gemacht, um auch mal was zu machen, was nicht mit Politik zu tun hat. Ich habe das Gefühl, wir wachsen langsam zusammen.

Ist es in anderen Außenbezirken auch so?

Nina Scholz: In Steglitz-Zehlendorf gibt es seit Jahren sehr aktive Kämpfer*innen gegen die Deutsche Wohnen, und das ist ja noch ein härteres Pflaster, im CDU-Bezirk. Wir haben in Spandau auch eine kleine, aber sehr vitale Gruppe, die hat sich aus dem Aufstehen-Kreis gegründet. In Hohenschönhausen und Köpenick haben wir dagegen nur wenig Aktive.

In Marzahn-Hellersdorf gibt es kaum Orte, an denen man sich trifft, keinen bestimmten Platz, keine Cafés oder Kneipen. Deshalb heißt sich organisieren in Marzahn-Hellersdorf, ganz viel soziale Infrastruktur aufbauen.

Nina Scholz

Also im Osten eigentlich nicht.

Nina Scholz: Genau. Und man muss auch sagen, dass viele Marzahner*innen mit der Deutsche Wohnen zufrieden sind. In Hellersdorf ist es nochmal anders, aber in Marzahn ist der Verdrängungsdruck noch nicht in dem Maße angekommen.

Mira Wallis: Weil du das mit dem Grillen angesprochen hast: Der soziale Effekt ist generell enorm gewesen bei den Kiezteams. Auch weil die sich den Winter über alle nur online getroffen haben. Wir hatten eine »Siegesfeier«, als wir die Unterschriften eingereicht haben – das war das erste Mal, dass alle zusammen gekommen sind. Da habe ich gemerkt, wie viele neue Kontakte es untereinander gibt durch die Kiezteams.

Nina Scholz: Ich habe das Gefühl, wir hinken in Marzahn-Hellersdorf genau deswegen hinterher. Beim Sammeln haben wir uns zwar kennengelernt, aber dadurch, dass viele nicht dort wohnen, ist man sich sonst nicht begegnet. Außerdem ist Marzahn-Hellersdorf flächenmäßig riesig, und es gibt stadtplanerisch keine Orte, an denen man sich trifft, keinen bestimmten Platz, keine Cafés oder Kneipen. Es gibt das Einkaufszentrum Eastgate und ansonsten die Siedlungen. Deshalb heißt sich organisieren in Marzahn-Hellersdorf, ganz viel soziale Infrastruktur aufbauen.

Die Enteignungsinitiative wird auch in anderen Städten aufmerksam beobachtet. Was ratet ihr Menschen, die sich in ihrer Stadt für einen Enteignungsvolksentscheid zusammenschließen wollen?

Mira Wallis: Ach, ich dachte, ihr fragt, wie können Leute aus anderen Städten uns helfen …

Ah ja, auch wichtig! Also wie?

Mira Wallis: Zum einen bauen wir Telefon-Organizing-Teams auf, so Call-Center mäßig. Auch da gibt es einen kleinen Workshop: Wie kann ich am Telefon Leute ansprechen etc. Außerdem soll es am 11. September eine große Mietendemo geben – und am Folgetag eine große Haustüraktion, an der sich Leute, die dafür nach Berlin kommen, beteiligen können. Und Geld spenden: Davon brauchen wir jetzt jede Menge.

Und was können Leute tun, die anderswo eine Enteignungsinitiative starten wollen?

Nina Scholz: Das werden wir tatsächlich öfter gefragt. Ich versuche dann immer zu erzählen, was es schon für eine lebendige Mieterbewegung gab. Dass es eine soziale Basis gibt, damit man überhaupt einer solchen Forderung Nachdruck verleihen kann, ist total wichtig. Und auch wenn es Widersprüche gibt zwischen der Kampagnenlogik und dem Mieterorganizing, würde es die Kampagne nicht ohne die Mieter*innen geben und ohne den Druck, den sie erzeugen können. Ich finde, damit fängt man an. Also sage ich: Kämpft erstmal mit den Leuten, und wenn ihr dann Veranstaltungen macht, und 80 Prozent der Leute gehören nicht zum aktivistischen Milieu, und ihr trefft die auch garantiert nicht in der linken Kneipe, dann ist vielleicht der Zeitpunkt, wo man gut über so eine Kampagne anfangen kann nachzudenken.

Nelli Tügel

ist Redakteurin bei ak.

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.

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