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Eine neue Phase des Kampfes

Die PKK hat ihre Auflösung bekanntgegeben – doch die Gegenseite will keinen Frieden, sondern lediglich ihr politisches Überleben sichern

Von Hêlîn Dirik

Besê Hozat und Cemîl Bayik sitzen auf Stühlen beim PKK-Kongress. Besê Hozat spricht und hält einen Notizblock und einen Stift in der Hand. Cemîl Bayik blickt neben ihr lächelnd in den Raum. Im Hintergrund sind weitere Stühle und Bilder von gefallenen Kämpfer*innen an der Wand.
Besê Hozat und PKK-Mitbegründer Cemîl Bayik, beide Ko-Vorsitzende des Exekutivrats der Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK), beim 12. PKK-Kongress im Mai 2025. Foto: ANF

Eine Ära geht zu Ende: Die kurdische Arbeiterpartei PKK ist dem Aufruf ihres inhaftierten Vorsitzenden Abdullah Öcalan vom 27. Februar gefolgt und hat 47 Jahre nach ihrer Gründung ihre Auflösung und das Ende ihres bewaffneten Kampfes verkündet. Zwischen dem 5. und 7. Mai hielt sie mit 232 Delegierten in den Medya-Verteidigungsgebieten einen außerordentlichen Kongress ab, auf dem sie, auch selbstkritisch, auf die Geschichte ihres Widerstandes und vergangene Lösungsprozesse zurückblickte. Der bewaffnete Kampf habe seine historische Aufgabe erfüllt, indem er die Unterdrückung und Leugnung der Kurd*innen durchbrach, heißt es in der Abschlusserklärung des Kongresses. Nun sei die Zeit reif, um die kurdische Frage auf anderen Wegen zu lösen. Dieser historische Moment sei nicht als ein Ende, sondern als der Beginn eines Erneuerungsprozesses einzuordnen, wie ihn die kurdische Bewegung immer wieder durchlebt hat.

Dass nun eine Phase intensiver Friedensbemühungen bevorsteht, an dem sich alle Seiten beteiligen müssen, steht von kurdischer Seite aus fest. Von der Gegenseite kann das nicht behauptet werden. Noch ist abzuwarten, was von der türkischen Regierung kommt und was die von ihr angekündigten Reformen sind. Von ehrlichen Absichten im Sinne einer Lösung der kurdischen Frage fehlt bislang jedoch jede Spur: In den letzten Monaten gingen die türkischen Angriffe auf die Guerilla, Drohnenattacken in Rojava und Repressionen unvermindert weiter. Für die Regierung ist dieser Prozess reines Kalkül: Um ihre Macht zu erhalten und eine weitere Amtszeit zu sichern, braucht sie die kurdischen Stimmen, die bei vergangenen Kommunalwahlen zum Erfolg der Oppositionspartei CHP beigetragen hatten. Dass sie die Opposition um jeden Preis schwächen will, hat sie jüngst durch die Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoğlu demonstriert, die im März eine neue Protestwelle im Land auslöste.

Auch konstruiert die Regierung jetzt das Narrativ, sie habe die PKK in die Knie gezwungen, und will sich den »Erfolg« auf die Fahnen schreiben, eine »Türkei ohne Terror« geschaffen zu haben – ein Begriff, der aktuell in sämtlichen Erklärungen der Regierung auftaucht und der die Rolle des Staates im Konflikt komplett negiert. Dass sie staatliche Gewalt und die chauvinistische Gründungsideologie adressiert, ist von der türkischen Regierung sowieso nicht zu erwarten. Stattdessen packt sie altbekannte nationalistische Phrasen vom »vereinten Vaterland« aus – mit einem Zusatz, denn jetzt taucht auffällig oft die Erzählung von der historischen »kurdisch-türkischen Brüderlichkeit« auf. So betonte etwa Erdoğans Chefberater Mehmet Uçum kürzlich auf X den gemeinsamen türkisch-kurdischen Kampf im türkischen Befreiungskrieg und in der Gründung der Republik – besonders irritierend, wenn man bedenkt, dass gerade diese Ereignisse symbolisch für die Unterdrückung und Gewalt an Minderheiten stehen – und spricht vom bevorstehenden »türkisch-kurdischen Jahrhundert«.

Die Türkei setzt die Erzählung fort, die PKK sei die Ursache des Konflikts gewesen – als sei dieser Staat nicht auf einem blutigen Nationalismus gegründet worden.

Was nach Versöhnung klingen soll, ist in Wirklichkeit eine Fortsetzung des Narrativs, die PKK sei die Ursache des Konflikts gewesen – als sei dieser Staat nicht auf einem blutigen Nationalismus gegründet worden. Eine Aufarbeitung der Gewalt und Zerstörung in Kurdistan sind nicht im Interesse der Regierung. Ein Antrag der linken DEM-Partei, im türkischen Parlament eine Untersuchung bisheriger internationaler Konfliktlösungsmodellen und ihrer potenziellen Anwendbarkeit für die Türkei einzuleiten, wurde einen Tag nach der PKK-Erklärung mit Stimmen der AKP und der mit ihr regierenden Rechtsaußen-Partei MHP abgelehnt.

Und doch kommt der Schritt der PKK nicht aus Naivität oder Schwäche. Ihre Stärke habe die PKK unter Beweis gestellt, so Exekutivratsmitglied Murat Karayılan, die Niederlegung der Waffen sei aber ein notwendiger Schritt, um eine neue Phase des Kampfes beginnen zu lassen. In den Ansprachen auf dem Kongress wurde betont, dass der Widerstand längst über Kurdistan hinausgehe, dass die Vision der Bewegung alle Unterdrückten der Welt anspreche und deshalb neue, offenere und vielfältigere Formen der Organisierung entstehen müssten. Diese werden nicht weniger radikal, vielmehr soll der Kampf neue Gestalt annehmen, an die Gesellschaft übergeben werden und sich vertiefen, auf dem Erbe, das die Kämpfer*innen und Zehntausenden Gefallenen hinterlassen haben. Der Kampf gegen das Patriarchat soll dabei zentral sein: Gut die Hälfte der 21-seitigen Bewertung, die Öcalan an den Kongress übermittelte, sei eine Analyse der Geschlechterverhältnisse, erklärt Besê Hozat, Ko-Vorsitzende des Exekutivrats der Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK). Die politische Organisierung im Sinne einer sozialistischen und feministischen Transformation der Gesellschaft werden Generationen von Menschen, die von der kurdischen Bewegung geprägt wurden, weiterhin entschlossen fortsetzen.

Hêlîn Dirik

ist Redakteurin bei ak.

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