Auf dem Weg in die nächste Pandemie?
Während das Vogelgrippevirus weiterhin zirkuliert und mutiert, zerstört die Trump-Regierung das öffentliche Gesundheitswesen
Von Eva Gelinsky

Seit Beginn des letzten Ausbruchs der Vogelgrippe 2022 sind allein in den USA mehr als 100 Millionen Vögel verendet oder getötet worden. Seit 2024 zirkuliert das Virus auch in Milchkühen (ak 706), Stand Ende Februar sind 976 Herden in 17 Bundesstaaten betroffen. Trotz umfangreicher Biosicherheitsmaßnahmen grassiert das Virus auch in Geflügelbetrieben. Die Krankheit hat allein in den letzten acht Wochen zum Tod oder zur Keulung von 27 Millionen Legehennen geführt; Eier sind in den USA inzwischen rar und teuer. Die Zahlen machen zwei Dinge deutlich. Erstens: Die US-Behörden haben die Lage nicht im Griff. Zweitens: Je länger das Virus unkontrolliert in Vögeln, Säugetieren und vereinzelt auch Menschen zirkulieren kann, desto wahrscheinlicher ist es, dass es zu Mutationen kommt, die eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung erlauben.
Anfang 2025 berichteten Wissenschaftler im Fachmagazin Nature, dass das Virus der Variante B3.13 (1), das vor allem in Milchkühen zirkuliert, nach nur wenigen Monaten mutiert sei. Nur einen Monat später wurde bei der Überprüfung eines Milchtanks im US-Bundesstaat Nevada die Variante D 1.1 festgestellt, die bislang nur Vögel betroffen hatte. Forschende vom Friedrich-Löffler-Institut für Tiergesundheit in Deutschland sind beunruhigt, dass es jetzt auch diese Virusvariante geschafft hat, sich an Milchkühe anzupassen. Dies ist der Hintergrund, warum Virolog*innen auf der ganzen Welt immer eindringlicher fordern, dass endlich wirksame Maßnahmen zur Eindämmung des Virus ergriffen werden. Doch das Chaos, das die Trump-Administration auch im Gesundheitsbereich auslöst, lässt das Schlimmste befürchten.
Unkontrollierte Ausbreitung
Nachdem das Landwirtschaftsministerium (USDA) im März 2024 den Ausbruch von H5N1 in Kühen bekannt gegeben hatte und die Kontrolle übernahm, geriet die Zusammenarbeit auf lokaler Ebene ins Stocken. Während es für Vogelgrippeausbrüche auf Geflügelbetrieben Biosicherheitsregeln und staatliche Entschädigungszahlungen gibt, herrschte Unklarheit, wie mit dem Virus bei Milchvieh umzugehen sei. Landwirt*innen befürchteten, die Regierung könnte den Verkauf ihrer Milch blockieren oder sogar verlangen, dass kranke Kühe getötet werden, so wie dies bei infiziertem Geflügel vorgeschrieben ist. Daher verweigerten viele Betriebe den lokalen Gesundheitsbehörden den Zutritt zu ihren Ställen. Gleichzeitig waren die lokalen Tierärzt*innen bestürzt über die Untätigkeit der staatlichen Behörden. Das USDA kündigte zwar an, dass es selbst Studien durchführen würde; doch nichts geschah. Das USDA, das Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und die Food and Drug Administration traten geschlossen auf und sprachen von einem »One Health«-Ansatz. Doch in Wirklichkeit übernahmen die Landwirtschaftsbehörden die Führung.
Immer wieder hörten die Ärzt*innen, dass den Betrieben ihre Tiere wichtiger seien, als die Menschen, die für sie arbeiten.
Wie gefährlich dieser Ansatz ist, wurde nur wenig später klar. Im Juli breitete sich die Vogelgrippe von Molkereien in Colorado auf Geflügelfarmen aus. Um sie einzudämmen, stellten die Geflügelbetriebe Zeitarbeiter*innen ein. Diese fingen die infizierten Vögel, vergasten sie mit Kohlendioxid und entsorgten die Kadaver. Viele verrichteten die gefährliche Arbeit ohne Schutzbrillen, Gesichtsmasken und Handschuhe. Mehrere Arbeiter*innen wurden infiziert. Verbreitet waren starke Bindehautentzündungen, einige hatten zusätzliche Symptome wie Fieber, Körperschmerzen und Übelkeit.
Viele Landarbeiter*innen sind illegal oder nur mit befristeten Visa in den USA. Genauso prekär wie ihre Arbeits- und Lebenssituation ist auch ihre Gesundheitsversorgung. Immer wieder hörten die lokalen Ärzt*innen, dass den Betrieben ihre Tiere wichtiger seien, als die Menschen, die für sie arbeiten. Viele Infektionen von Arbeiter*innen in Geflügel- und Milchviehbetrieben dürften daher unentdeckt geblieben sein. Dabei wird seit Monaten gewarnt: »Wenn man verhindern will, dass das Virus eine neue Pandemie auslöst, muss man sich auf den Schutz von Landarbeitern konzentrieren, da dies der wahrscheinlichste Weg ist, wie sich das Virus an den menschlichen Körper anpasst«, so eine Arbeitsmedizinerin. »Die Tatsache, dass dies nicht geschieht, macht mich wahnsinnig.«
Chaos und Unberechenbarkeit
Mit der Übernahme der Trump-Administration und dem Beginn des autoritären Staatsumbaus spitzt sich die Situation weiter zu. Als eine der ersten Amtshandlungen kündigte Donald Trump die Zusammenarbeit mit der World Health Organisation (WHO) auf. In einem nächsten Schritt wurde die Veröffentlichung von Daten und wichtigen Studien unterbunden. Ein Memo des Gesundheitsministeriums stoppte »jedes zur Veröffentlichung vorgesehene Dokument«. Eine Freigabe sei erst möglich, »wenn es von einem Beauftragten des Präsidenten geprüft und genehmigt wurde.«
Zwar hatten sich Beamt*innen des Weißen Hauses bereits während der ersten Trump-Administration in wissenschaftliche Studien zu Covid eingemischt; die politische Beurteilung von Dokumenten, das Abschalten von Behördenwebseiten und der Stopp von Veröffentlichungen sind indes neu. Mitte Februar entließen Trump und Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Tausende von Mitarbeiter*innen im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Im US-Landwirtschaftsministerium erhielten Hunderte von Bundesbediensteten, die an vorderster Front mit dem Ausbruch der Vogelgrippe zu tun hatten, Kündigungsschreiben, die allerdings einige Tage später wieder zurückgenommen wurden.
Ähnlich chaotisch lief es beim Centers for Disease Control and Prevention (CDC): Erst nach massiven Protesten wurde eine Gruppe von »Krankheitsdetektiven«, die als Epidemic Intelligence Service (EIS) bekannt ist, von Kündigungen verschont. »Es gibt im Moment eine echte Angst unter den Fachleuten des öffentlichen Gesundheitswesens darüber, was sie sagen dürfen und was nicht, und die Vogelgrippe-Daten unter Verschluss zu halten und sie wochenlang zu verzögern, wenn es um einen Ausbruch dieses Ausmaßes geht, ist extrem gefährlich«, so eine Epidemiologin gegenüber der Website der Nonprofit-Organisation Truthout.
Im Januar gewährte die scheidende Biden-Regierung dem Pharmaunternehmen Moderna 590 Millionen Dollar für die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen pandemische Grippestämme, einschließlich H5N1. Auf die Frage, wie schnell die USA angesichts des derzeitigen politischen Klimas die Produktion auf ein Niveau hochfahren könnten, das im Falle einer Vogelgrippepandemie einen breiten Schutz der Bevölkerung gewährleistet, gab sich eine Wissenschaftsjournalistin der New York Times betont zurückhaltend. Angesichts jahrelanger Social-Media-Kampagnen gegen Impfstoffe und einem Gesundheitsminister, der Impfgegner ist, sei fraglich, ob eine schnelle Impfstoffentwicklung, wie man sie während Covid mit dem Projekt Operation Warp Speed erlebt habe, jemals wieder in den USA möglich sein werde.
Anmerkung:
1) Es gibt zwei Hauptvarianten von H5N1: B3.13 verbreitet sich vor allem bei Kühen; D1.1 kommt bislang vor allem bei Wild- und Nutzgeflügel vor.