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Dem nationalen Taumel widerstehen

Russland überfällt die Ukraine, und Deutschland will militärische Supermacht werden – ein paar Leitplanken für Linke

Von ak-Redaktion

Menschen rodeln auf einem verschneiten Abhang vor Hochäusern
Wir verzichten in dieser Ausgabe auf dehumanisierende Kriegsfotos und zeigen stattdessen Bilder der ukrainischen Fotografin Lisa Bukreyeva vom Alltag in Kiew. Dieses wurde im Januar dieses Jahres aufgenommen. Mehr Bilder auf bukreyeva.com oder auf Instagram: @lisa_kalev

Dieser Text steht auf der Titelseite unserer gedruckten Ausgabe und ist als eine Art Einleitung in unsere Beiträge zum Krieg in der Ukraine zu lesen.

Es ist laut um uns herum: die erschütternden Bilder des Krieges in der Ukraine, der nationalistische Taumel, der die Bundesrepublik erfasst hat, befeuert durch liberale Medien, die das »sicherheitspolitische Erwachen« Deutschlands feiern. Alles geht sehr schnell dieser Tage, und vieles ist ins Rutschen geraten – wo zwei Jahre Pandemie schon den Boden gelockert hatten. Mittendrin eine hilflos dastehende Linke. In dieser Situation einen kühlen Kopf zu bewahren, ist nicht leicht. Wir haben viele Fragen, wollen an dieser Stelle aber auch ein paar positionierende Leitplanken formulieren.

Erstens: Das Entsetzen darüber, dass es »heute wieder« Krieg gibt, ist geheuchelt. Und scheinheilig ist es, EU und Nato als Friedensprojekte rehabilitieren zu wollen. Doch der Verweis darauf ersetzt nicht die Auseinandersetzung damit, welche Rolle Russland in Osteuropa, Zentralasien, aber ebenso in anderen Teilen der Welt wie Nord- oder Westafrika spielt und welche Interessen dort auch mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden. Ebenso wenig ersetzt eine Auseinandersetzung mit der drohenden Ausweitung des Krieges in Europa jene mit den schon jetzt spürbaren Folgen in anderen Teilen der Welt.

Zweitens: Was können wir tun, um nicht in unserer Ohnmacht zu verbleiben und den Ereignissen hinterherzulaufen, wie es bisher weitgehend der Fall ist? Wir sehen es als eine der dringendsten Aufgaben für Linke in Deutschland an, dagegen aktiv zu werden, dass dieses Land zu neuer militärischer Macht kommt, dagegen, dass im Windschatten dieses Krieges Nationalismus und Militarismus erstarken, dass ein erinnerungspolitischer Schlussstrich gezogen wird, wie ihn die AfD nie erreichen wird. Ein mächtiges Deutschland hat noch nie etwas Gutes über die Welt gebracht. Deutschland ist schon längst die Supermacht in der EU und diktiert anderen Staaten seine Politik, bisher vor allem durch ökonomische Macht. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem dieser Status auch militärisch komplettiert werden soll – mit unabsehbaren Folgen. Dabei ist die »Geburt des neuen Deutschlands« (Die Welt) als Teil einer »Souverän-Werdung« der EU zu begreifen, zu der konsequenterweise auch jener Rassismus gehört, der in den vergangenen Jahren Tausende Menschen vor den Toren der EU das Leben gekostet hat.

Drittens: Es kommt jetzt darauf an, den drohenden Sozialabbau, den mit der Militarisierung verbundenen Klassenkampf von oben, die Beschneidung von Arbeiter*innenrechten sowie die Superausbeutung von nach Deutschland geflüchteten Ukrainer*innen zu verhindern. Die Debatte darüber, wie dies gelingen kann, erlaubt keinen Aufschub.

Viertens und besonders wichtig: Wir sehen es als Aufgabe von Linken, besonders als linke Zeitung, Genoss*innen aus der Ukraine und Osteuropa ein Forum zu geben und uns mit ihren Forderungen auseinanderzusetzen, die der Krieg ihnen aufzwingt – auch wenn sie unsere politischen Positionen herausfordern. Unsere Unterstützung brauchen zudem dringend diejenigen Genoss*innen, die in Russland unter widrigsten Bedingungen gegen den Krieg auf die Straße gehen und sich organisieren. Es sind nicht viele, aber schon oft in der Geschichte waren Kriegsgegner*innen zunächst in der Minderheit und führten später Massenbewegungen an, die Kriege beendeten.

Wie gesagt: Auch wir haben viele Fragen. Daher möchten wir uns an dieser Stelle bei unseren Autor*innen und Gesprächspartner*innen dafür bedanken, dass sie helfen, nach Antworten auf diese Fragen zu suchen.

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