Hoffnung ohne Schimmer
Welche Veränderungen hat der turbulente Regierungswechsel in Senegal gebracht?
Auf den Mauern der Universität ist die Hoffnung auf mehr Unabhängigkeit noch lebendig. Überlebensgroß prangt auf den Fassaden das Gesicht des großen afrikanischen Denkers Cheikh Anta Diop, der der größten Universität des Senegal seinen Namen gab. Wenige Meter weiter, entlang der Hauptstraße, die am Universitätsviertel entlangführt, zeigen die Wandbilder Szenen aus der jüngeren Geschichte der Landes: Vermummte Protestierende, die Polizisten in Schutzausrüstung und Schildern gegenüber stehen.
Die Universität in Dakar hat eine lange Tradition von Streiks und Widerstand, und sie war auch eine Hochburg der Proteste, die im letzten Jahr dafür sorgten, dass Präsident Macky Sall nach zwölf Jahren schließlich sein Amt aufgab. 2023 hatte er Andeutungen gemacht, er strebe, anders als in der Verfassung vorgesehen, eine dritte Amtszeit an. Es war ein »Staatsstreich von oben«, der die Senegales*innen kalt erwischte und das Ansehen der demokratischen Institutionen, die in Senegal bisher großen Respekt genossen, stark beschädigte.
Vor allem junge Menschen gingen auf die Straße, um ihr Recht auf Wahlen zu verteidigen. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Verhaftungen, mehrere Protestierenden starben. Nach einem langen Tauziehen gewann die Oppositionspartei »Afrikanische Patrioten Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit« (Pastef) die Präsidentschaftswahlen. Ihr bekanntestes Gesicht, Ousmane Sonko, durfte nicht antreten, weil er zuvor wegen »Verführung der Jugend« verurteilt worden war. Stattdessen stellte er sich hinter seinen jungen Parteikollegen Bassirou Diomaye Faye. Der 44-Jährige gewann die Wahl im ersten Wahlgang mit fast 55 Prozent der Stimmen – unter dem Jubel der Jugend des Landes, die auf den Straßen feierte.
Ein Jahr später ist die Aufbruchsstimmung verflogen, die die Monate nach dem Wahlsieg prägte. Auf dem weitläufigen Universitätsgelände wässern Gärtner die trockenen Parkanlagen, in den Säulengängen der Universitätsgebäude bröckelt der Putz von den Wänden. Es ist Mittag und drückend heiß, die Regenzeit hat noch nicht begonnen. Die Studierenden sitzen zusammen im Schatten, lernen und lesen und warten.
Warten, ob sich die Hoffnung auf Wandel dieses Mal erfüllt.
Brüchige Stabilität
Den Ruf einer stabilen Demokratie, die das Land an der Spitze Westafrikas genießt, musste immer wieder erkämpft werden. Das hatte schon Macky Salls Vorgänger 2012 zu spüren bekommen, als er von der von Hip-Hop-Künstler*innen und Journalist*innen angeführten Bewegung »Y en a Marre« (wir haben es satt) verdrängt wurde, nachdem er eine dritte Amtszeit anstrebte. (ak 571, ak 578). Macky Sall, der ihm folgte, galt damals als Hoffnungsträger – und musste jetzt unter ähnlich unrühmlichen Bedingungen gehen wie sein Vorgänger. Mit Faye und Sonko sind nun zwei neue Hoffnungsträger an der Macht. Faye ernannte seinen Mentor direkt nach seinem Amtsantritt zum Premierminister. Bei den vorgezogenen Wahlen zur Nationalversammlung erlangte ihre Partei eine komfortable Mehrheit. Den Sieg verdanken sie keinem ausgereiften Programm, sondern vor allem der Unzufriedenheit der Bevölkerung. Die geht weniger auf eine akute Krise zurück, sondern gründet vielmehr in der Unausweichlichkeit des Status quo, der schleichenden Verschärfung der sozialen Bedingungen und der steigenden Ungerechtigkeit im Land.
Gesamtwirtschaftlich ging es dem Land nicht schlecht – die offiziellen Statistiken weisen für die letzten Jahre, abgesehen von der Zeit der Corona-Krise, ein stetes Wachstum aus, internationale Organisationen loben das Investitionsklima. Dakar präsentiert sich als Standort für Messen und Kongresse, luxuriöse Hotels werben um Businessreisende. Die letzten Jahre hat die Stadt einen Bauboom erlebt, überall ragen die Gerippe halbfertiger Hochhäuser empor. Mit dem »Plan Senegal Emergent« hatte Sall, teils durchaus mit Erfolgen, den Ausbau der Infrastruktur vorangetrieben.
Doch die hochgepriesene Stabilität hat Risse – denn der Großteil der Bevölkerung hat wenig von diesen Entwicklungen. Während sich im ganzen Land die bunt bemalten, aber klapprigen Busse über einspurige Straßen quälen, sind rund um Dakar neue Autobahnen gebaut worden – deren Benutzung an den Mautstationen allerdings eine französische Firma teuer bezahlt werden muss. Auch die neuen Pendlerzüge, die die Vororte von Dakar mit dem sanierten Bahnhof aus der Kolonialzeit am Hafen verbinden, werden von französischen Firmen gebaut und betrieben. Für die meisten Menschen in Dakar sind sie unerschwinglich, während das Fortkommen in der Vier-Millionenstadt ohne öffentlichen Nahverkehr weiterhin holprig und teuer bleibt.
Der Zusammenhalt in den Familien federt das Fehlen eines Sozialsystems ab.
Das gilt auch fürs Wohnen in der Hauptstadt: Die Mieten sind schon seit Jahren viel zu hoch für die Mehrheit der Bevölkerung. Die schicken Neubauten stehen, wo sie fertiggestellt sind, leer. An ihren Glasfassaden prangen, Stockwerk um Stockwerk, die Schilder, die sie zur Vermietung oder zum Verkauf anbieten. Der Zusammenhalt in den Familien federt das Fehlen eines Sozialsystems ab, für junge Menschen bedeutet das allerdings eine große Enge und hoher Druck, zum Familieneinkommen beizutragen – notfalls durch den Versuch, ins Ausland zu gelangen, weil eine Perspektive im Land fehlt.
In der Opposition und im Wahlkampf war Sonko oft mit radikalen Forderungen aufgefallen. Er hatte sich hart gegen den Kurs der vorherigen Regierung gestellt, die anti-französische Stimmung im Land bedient, sich für mehr Unabhängigkeit von der ehemaligen Kolonialmacht ausgesprochen, sich auf panafrikanische Ideen berufen. »Seit über 50 Jahren folgt die Politik, unabhängig von der jeweiligen Regierung, denselben Mustern mit derselben starken äußeren Abhängigkeit und Unterwürfigkeit«, heißt es im Programm von Pastef. »Diese Muster haben bewiesen, wie ineffizient und schädlich sie sind, und es wird politischen Mut brauchen, um damit zu brechen.«
Nur – diesen Mut bringt die neue Regierung offensichtlich nicht auf. Als sie im Frühjahr 2025 ihr Programm vorstellte, war von den radikalen Forderungen fast nichts mehr übrig. Aus den Vorschlägen sprach mehr Ratlosigkeit als eine klare Perspektive, und der neue »Plan Senegal 2050« klingt in vielen Punkten wie ein Neu-Aufguss des »Plan Senegal Emergent« des vorherigen Präsidenten Sall: Eine »wettbewerbsfähige Wirtschaft« soll aufgebaut werden, »neue, attraktive Wirtschaftszentren« sollen entstehen.
Bei konkreten Vorschlägen setzt der ehemalige Steuerprüfer Faye auf eine Reform des Steuersystems; ausländische Unternehmer, die bisher von großzügigen Steuererleichterungen profitieren, sollen künftig stärker zur Kasse gebeten, Steuerhinterziehung stärker verfolgt werden. »Wir haben eine Regierung von Steuerbeamten«, lacht Ibrahima Thiam, der in Dakar für die Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeitet. Jetzt, wo sie an der Macht seien, zeige sich: »Realpolitik ist etwas anderes«. Trotz aller radikalen Rhetorik im Wahlkampf verschreibt sich Pastef laut Programm »einer pragmatischen Doktrin«, die mit »keiner der historisch bekannten Ansätze wie Sozialismus, Kommunismus, Liberalismus etc.« verwechselt werden soll.
Für den Wechsel zu einem gerechteren Wirtschaftssystem jedenfalls werden die bisherigen Vorschläge zur Steuerpolitik kaum reichen – und auch nicht dafür, die Löcher im Staatshaushalt zu füllen, die in Senegal wie in vielen afrikanischen Staaten aufgrund der hohen Schuldenzahlungen an internationale Geldgeber und Banken das staatliche Handeln stark einschränken. Wenige Monate nach ihrem Amtsantritt deckte die neue Regierung auf, dass die vorherige Regierung Zahlen geschönt hatte, um günstigere Kredite zu erhalten – der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Zahlungen daraufhin ausgesetzt, was den finanziellen Spielraum des Landes zusätzlich einengte.
Die Ungeduld wächst
Der Ausweg besteht für die neue Regierung vor allem darin, wieder kreditwürdiger zu werden. Anfang August haben Präsident und Premierminister gemeinsam einen Sparplan angekündigt. Zwar hat Sonko behauptet, die Maßnahmen dienten dazu, den Staatshaushalt zu sanieren, ohne auf neue Kredite zurückgreifen zu müssen. Viele spekulieren jedoch, die Maßnahmen sollen genau das ermöglichen: Ab Ende August, heißt es in der Presse, soll wieder mit dem IWF verhandelt werden.
Von der versprochenen größeren Unabhängigkeit des Landes ist hingegen bisher vor allem Symbolpolitik geblieben: Frankreich hat seine noch verbliebenen 200 Soldaten abgezogen und damit seine letzte Militärbasis im Land geräumt. Davon, die an den Euro gekoppelte Kolonialwährung CFA abzuschaffen – eine Hauptforderung im Wahlkampf – ist keine Rede mehr.
Ähnlich sieht es beim zweiten wichtigen Versprechen aus, die Förderverträge für Rohstoffe im Land neu zu verhandeln: Von einer eigens gegründeten Task Force, die Vorschläge ausarbeiten sollte, ist bisher nichts zu hören.
Auch auf andere große Herausforderungen scheint die neue Regierung wenig Antworten zu haben. Der Klimawandel ist längst spürbar, im Herbst führten heftige Regenfälle zu gewaltigen Überschwemmungen im Osten des Landes. An der 530 Kilometer langen Küste nagt das Meer. Statt sich auf Anpassung zu konzentrieren, setzt die Regierung große Hoffnungen auf die Ausbeutung der Öl- und Gasvorräte, die vor einigen Jahren vor der Küste entdeckt wurden – profitieren werden vor allem große Konzerne wie BP.
Noch wartet die Jugend im Land. Doch die Ungeduld wächst. Bei einer Ansprache im August sah sich Präsident Faye genötigt, um mehr Zeit zu bitten. Die Ungeduld der Senegales*innen sei »legitim«. Lange dürften solche Ankündigungen nicht mehr reichen, um die Menschen zu beschwichtigen.