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Was lange währt, wird scheiße

Der neue Selbstbestimmungsgesetzentwurf sollte queere Kritik berücksichtigen – hinzu kam stattdessen reaktionäre Repression

Von Mine Pleasure Bouvar

Dass es überhaupt eine Novelle des Transsexuellengesetzes geben soll, ist auch ein Ergebnis von jahrelangem Aktivismus: Demonstrierende am 8. März 2023 in Hamburg. Foto: Anne Meerpohl

Der Ärger ums Selbstbestimmungsgesetz reißt nicht ab. Die Reform, die das alte »Transsexuellengesetz« (TSG) und die Regelungen für intergeschlechtliche Personen im Personenstandsgesetz (PStG) zusammenführen soll, ist am 23. August im Kabinett beschlossen worden und befindet sich nun in der finalen Phase, in der in zwei Lesungen im Bundestag das Gesetz vollendet und schließlich verabschiedet wird. Nachdem seit Anfang des Jahres immer klarer wurde, dass Argumente des transfeindlichen Kulturkampfes im Gesetz Ausdruck finden und wesentliches Potenzial für die Verbesserung der Situation von trans und inter Personen auf der Strecke bleiben, sorgte zuletzt die Einmischung des Innenministeriums für weitreichende Änderungen, die mehr als besorgt stimmen.

Liberale Scheinsolidarität

Nach der Veröffentlichung des Referentenentwurfs hieß es noch, die Kritik der Verbände sei wichtiger Teil des Gesetzgebungsverfahrens und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) beteuerte, dass sich die Ampel über die kritischen Punkte des Entwurfs uneinig sei. Nach der abgeschlossenen Anhörung queerer und anderer Verbände und der Verabschiedung im Kabinett, die eigentlich für vor der Sommerpause geplant war, aber durch das Innenministerium hinausgezögert wurde, zeigt sich nun ein gänzlich anderes Bild. Obwohl sich im Vergleich zum Referentenentwurf quasi nichts an den kritisierten Punkten geändert hat, gibt sich Paus völlig versöhnt. Und das, obwohl die Kritik der Verbände praktisch ungehört verhallte oder nur mit Scheinlösungen bedacht wurde.

So stand in der Kritik, dass eine Änderung des Geschlechtseintrags erst drei Monate nach der Erklärung im Standesamt inkrafttreten solle. Die aktualisierte Fassung des Gesetzentwurfs sieht nun stattdessen vor, dass eine Änderung beim Standesamt drei Monate vorher angemeldet werden muss – effektiv bleibt es also bei einem Vierteljahr Wartezeit auf die tatsächliche Personenstandsänderung.

Andere kritisierte Passagen wurden weiter zum Nachteil von trans, nichtbinären und inter Personen verschärft. Das Offenbarungsverbot, das verbietet, vorherige Namen und Geschlechtseinträge anderer öffentlich zu machen, wurde mit weiteren Ausnahmen abgeschwächt. Und auch der größte Streitpunkt, der transmisogyne Hausrechtsparagraf, der eine Vorlage für den gezielten Ausschluss von transweiblichen Personen aus bestimmten öffentlichen Orten wie Frauensaunen darstellt, wurde erweitert. Besagte der Referentenentwurf noch, ein Ausschluss von trans Personen sei auf Grundlage des Hausrechts zum Schutz der Intimsphäre möglich, wurde der Passus nun durch den Einbezug des Vertragsrechts ergänzt, was beispielsweise den Ausschluss von transgeschlechtlichen Menschen per Vereinssatzung legitimiert.

Alle Namen und Adressen

Neu ist, dass mit Änderungen des Namens und Geschlechtseintrags künftig Angaben zu dieser Änderung samt aktueller Meldeadresse automatisch an die staatlichen Repressionsorgane Bundeskriminalamt, Bundespolizei, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Verfassungsschutz, den militärischen Abschirmdienst, die Landeskriminalämter und das Zollkriminalamt weitergeleitet werden sollen. Zwar müssen die Daten wieder gelöscht werden, wenn die betreffenden Stellen keine vorangegangenen relevanten Einträge zu den Personen haben, die Frei-Haus-Lieferung der Adressen von transgeschlechtlichen Menschen an die Brutstätten rechter Netzwerke ist dennoch beängstigend.

Umso erstaunlicher ist es, wie deutsche Verbände wie die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) diese Änderung zunächst als unbedenklich abtun. Auf Twitter hieß es von der dgti, die Regelung unterscheide sich nicht vom Prozedere nach TSG. Dabei sieht das TSG derzeit lediglich eine Übermittlung der Änderung an das Zentralregister vor, auf die besagte Institutionen bei Bedarf Zugriff haben, nicht aber eine direkte automatische Auskunft an diese. Dass dieser Umstand in Zeiten des NSU 2.0 nicht auffällt, zeugt von einer ungemein weißen und bürgerlichen Brille, durch die Verbände wie die dgti den Gesetzgebungsprozess betrachten. In der Tat ist der Gesetzentwurf nun nicht mehr nur schlecht, sondern schlicht gefährlich für trans, inter und nichtbinäre Menschen, mit Blick auf das Erstarken rechter Kräfte. Insbesondere für linksradikale Queers kann eine Personenstandsänderung künftig auch die eigenen aktivistischen Netzwerke gefährden, wenn empfindliche Daten derart weitergegeben werden.

Im Selbstbestimmungsgesetz zeichnet sich die Militarisierung der imperialen, europäischen Asyl- und Grenzpolitik ab.

Einer der wenigen progressiven Punkte des Referentenentwurfs besagte, dass die Geschlechtseintragsänderung offen sein soll für alle Personen mit gewöhnlichem, legalen Aufenthaltsort in Deutschland, unabhängig von Staatsbürger*innenschaft und ohne Nachweis über vergleichbare Änderungen im eventuellen Herkunftsland. Auch dies wurde auf Einwirkung des Innenministeriums geändert. Nun sollen nur noch »Ausländer*innen« mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis, verlängerter Aufenthaltserlaubnis oder mit Blauer EU-Karte das Gesetz in Anspruch nehmen können. Personen, die mit Duldung sowieso bereits meist prekär in Deutschland leben, beispielsweise viele Sinti*zze und Rom*nja, fallen so komplett durch das Raster. Weiter wurde nun hinzugefügt, dass eine Eintragsänderung für Personen, denen eine Abschiebung bevorsteht, unmöglich ist – vorgenommene Änderungen im Zeitraum von zwei Monaten vor Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis werden rückgängig gemacht.

Diese Entwicklung muss vor dem Hintergrund der sich jüngst verschärfenden rassistischen Asylpolitik der Bundesregierung betrachtet werden. Anträge auf Geschlechtseintragsänderung oder Absichtserklärungen für derartige Maßnahmen waren in der Vergangenheit oft Grundlage für eine Abwendung der Abschiebung aus humanitären Gründen. Das wird nun deutlich erschwert. Auch im Selbstbestimmungsgesetz zeichnet sich die zunehmende Militarisierung der imperialen, europäischen Asyl- und Grenzpolitik ab, die dafür Sorge trägt, dass Waren und Kapitalströme mehr Freizügigkeit genießen als lebendige, schutzsuchende Menschen.

Transmisogynie gegen inter Personen

Der Weg des Selbstbestimmungsgesetzes läutet einen Paradigmenwechsel in der öffentlichen deutschen Debatte und im politischen Umgang mit queerer Geschlechtlichkeit ein. Bislang waren transgeschlechtliche Menschen per TSG im politischen Umgang als wenig ernstzunehmende, psychisch kranke Menschen markiert worden, deren »klinischer Leidensdruck« mit einer rechtlichen Ausnahmeregelung gemindert werden sollte. An die Stelle der Psychopathologisierung tritt dank der Einlassungen auf Positionen aus dem transfeindlichen Kulturkampf das Bild von trans Personen, allen voran nichtdeutschen und trans weiblichen Personen, als zu reglementierende Gefahr für den öffentlichen Frieden. Die damit einhergehenden Vorstöße – Meldung an die Repressionsorgane, Beschneidung der Rechte von geflüchteten Personen und Menschen mit Duldung, haus- und vertragsrechtliche Ausnahmen, dreimonatige Wartefrist, Ausnahmen im Verteidigungsfall – sind dabei eine effektive Schlechterstellung für intergeschlechtliche Menschen. Die bislang für diese geltenden Regelungen sahen derlei Maßnahmen nicht vor, durch die Vereinheitlichung müssen sie nun unter dem gegen trans Personen erhobenen Generalverdacht leiden.

Die Strategie der queeren Verbände, die vor allem darin bestand, sich diplomatisch zu geben, nicht anzuecken, Kritik in ein Lob der positiven Punkte der Entwürfe zu verpacken, aus Angst, vorgebliche politische Verbündete nicht zu verärgern, ist gänzlich gescheitert. Seit der Ankündigung des Justizministers Marco Buschmann (FDP), sich auf den Kulturkampf einzulassen, ist der Weg zum Gesetz gespickt mit Niederlagen und bitteren Konzessionen. Eine Kursänderung ist angesichts der Beteuerung, welche historische Chance das Gesetz sei und wie sehr sich die Situation für trans, inter und nicht-binäre Personen dadurch verbessere, nicht absehbar.

Im Gegenteil: Mit Social Media Posts, in denen der Kabinettsbeschluss mit Party-Emojis als wichtiger Schritt gefeiert wird, machen sich Institutionen wie der Bundesverband Trans* zur zivilgesellschaftlichen Verlängerung der Grünen Partei, die im Versuch, ihr Gesicht zu wahren, nicht zugeben kann, dass die großen Versprechen im Dienste der queeren Befreiung heiße Luft waren.

Mehr noch: Am 20. Juli 2023 meinte Tessa Ganserer, queerpolitisches Aushängeschild der Grünen, auf einem Panel zum Selbstbestimmungsgesetz des Berliner CSDs, man habe sich mit dem Innenministerium bereits über die Änderungen abgestimmt. Das straft ihre jetzigen Beteuerungen, sich gegen Punkte wie die Datenweitergabe einsetzen zu wollen, Lügen. Die Grünen waren durchaus im Bilde über die Einschübe weiterer Misstrauensparagrafen bereits vor dem Kabinettsbeschluss, und die jetzigen gegenteiligen Aussagen sind performative Reaktionen angesichts unzufriedener Reaktionen der Communities.

Da sich die Partei durch die vielen reaktionären Bedenken vom ursprünglich angekündigten Zeitpunkt zum Inkrafttreten des Gesetzes immer weiter entfernt hatte, liegt dieses nun im November 2024, da der diesjährige Stichtag zur Umsetzung beschlossener personenstandsrechtlicher Neuerungen nicht mehr einhaltbar ist. Viel Zeit für queere Menschen in Deutschland, aus dem Dornröschen-Schlaf der bürgerlichen, von Verbänden bestimmten Lobby-Politik zu erwachen und sich zu organisieren, angesichts der absehbar harten kommenden Jahre.

Mine Pleasure Bouvar

studierte irgendwas mit Kulturwissenschaften und lohnarbeitet jetzt freiberuflich als politische Bildner_in zu den Schwerpunkten Transfeindlichkeit, Transmisogynie und Faschismus-Studien. Als queerkommunistische Aktivist_in graswurzelt sie* an der Unterwanderung des Cistems.

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