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Neue rechte Jugend?

Angriffe auf linke Freiräume, Jugendclubs und CSDs nehmen drastisch zu, die Täter werden immer jünger. In Südbrandenburg organisieren betroffene Initiativen selbst ihren Schutz. Reicht das aus?

Von Sebastian Bähr

Junger Neonazi mit Glatze und Pickel schaut auf einer Demo in die Kamera
Springerstiefel, Glatze, minderjährig: Junge Neonazis sehen immer öfter aus wie ihre Eltern Anfang der 1990er. Teilnehmende eines Anti-CSD-Aufmarschs in Dresden am 31. Mai dieses Jahres. Foto: recherche-nord

Wir sind die Gang – Adolf Hitler Hooligans«, skandieren die fünf vermummten Neonazis, als sie Mitte Mai am späten Abend das alternative Hausprojekt Zelle79 in Cottbus angreifen. Mit einem schweren Geländer versuchen sie, die Tür aufzubrechen, dazu werfen sie Bengalfackeln auf das Haus. Im Hinterhof entsteht ein kleines Feuer, das gelöscht werden kann. Verletzte gibt es zum Glück keine. »Das war eine gezielte und geplante Attacke auf einen bekannten linken Freiraum in der Stadt«, sagt später Fabi Buchholz, die im Hausprojekt wohnt. Die Attacke stelle ein »neues martialisches Level« dar.

Angriffe hatte es in letzter Zeit einige gegeben. Erst im März war es kurz nacheinander zu einem Doppelanschlag auf das Hausprojekt gekommen, auch zuvor schon gab es Bedrohungen. »Die Angreifer*innen sind mittlerweile deutlich jünger, teilweise reden wir hier von Zwölfjährigen«, sagt Buchholz. In Cottbus – schon seit vielen Jahren ein Hotspot rechter Gewalt – hat sich die Bedrohungslage für Linke, queere Menschen und Migrant*innen seit dem vergangenen Jahr nochmal verschlimmert.

Die Stadt steht symptomatisch für ein bundesweites Phänomen: An zahlreichen Orten schlagen aktuell Beratungsstellen und antifaschistische Gruppen wegen massiv gestiegener rechter Angriffe Alarm. Eine kleine Auswahl aus den letzten Wochen: 15 bis 20 Personen griffen mit Schlagstöcken die linke Szenekneipe Hirsch Q in Dortmund an. Sechs vermummte Jugendliche attackierten das Offene Antifa Treffen (OAT) im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen. Acht vermummte Neonazis versuchten, ebenfalls in Berlin, in die linke Kneipe Fischladen einzudringen. Rechte Jugendliche griffen mehrfach in Leipzig-Lößnig ein Studierendenwohnheim mit ausländischen und queeren Bewohner*innen an. 30 bis 40 vermummte Rechtsradikale attackierten den Jugendclub Jamm in Senftenberg, versuchten auch hier einzudringen. Fast täglich findet man mittlerweile solch eine Meldung. Laut der Beratungsstelle Opferperspektive gab es allein zwischen Mai 2024 und März 2025 in Südbrandenburg 20 rechtsmotivierte Straftaten gegen Jugend- und Kulturzentren.

Ingesamt lassen die Zahlen keinen Zweifel am Trend aufkommen: Für 2024 haben Beratungsstellen für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt bundesweit rund 3.500 rechte Angriffe erfasst – ein Anstieg um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und ein Höchststand. Selbst das Bundesinnenministerium, das weniger Fälle erfasst, hat für 2024 einen Anstieg rechtsextremer Straftaten von 48 Prozent registriert.

Sind die Baseballschlägerjahre zurück?

Sind die »Baseballschlägerjahre« zurück? Emotional mag der Vergleich naheliegen. Auch das Auftreten rechter Jugendlicher im Springerstiefel- und Bomberjacken-Stil der 1990er und ihre teilweise Hegemonie in der Jugendkultur lassen solche Erinnerungen hochkommen. Ein paar Dinge sind jedoch anders: Einerseits gibt es ein zwar prekär finanziertes, doch existierendes Netz an Beratungsstellen für Betroffene von rechter Gewalt. Andererseits hat sich die AfD als extrem rechte Partei etabliert, die entsprechende Diskurse normalisiert und einen Teil der Gesellschaft zur Gewalt ermutigt. Dorina Feldmann von Beratungsprojekt Opferperspektive hat Verständnis für entsprechende Vergleiche, gibt aber zu bedenken: »Das Ausmaß der flächendeckenden Gewalt hat heute noch nicht das Niveau der 1990er erreicht.«

Viele der Angriffe fallen derweil durch ein hohes Maß an Militanz auf. Junge Neonazis organisieren sich in Gruppen wie der Elblandrevolte, Jung und Stark, Deutsche Jugend Voran oder dem III. Weg. Zum Teil scheinen sich auch bereits rechtsterroristische Strukturen und Motivationen herauszubilden: Im Mai hatte der Generalbundesanwalt fünf Mitglieder der extrem rechten mutmaßlichen Terrorgruppe Letzte Verteidigungswelle festnehmen lassen. Besonders verstörend: Ein Teil der Beschuldigten sind noch Jugendliche, der Jüngste ist 14 Jahre alt. Mitte Juni kam heraus, dass in Wernigerode (Sachsen-Anhalt) womöglich ein Anschlag auf einen CSD vereitelt wurde. Ein 20-jähriger Mann hatte angekündigt, Schusswaffen gegen die Teilnehmer*innen einsetzen zu wollen, bei einer Hausdurchsuchung fand die Polizei Munition. Die Opferperspektive weist zugleich daraufhin, dass nur etwa 15 Prozent der Angriffe von Anhänger*innen oder Mitgliedern extrem rechter Organisationen ausgehen – der Großteil werde von Leuten verübt, die sich selbst der Mitte der Gesellschaft zurechnen.

An Schulen ist es stellenweise wieder in Mode, Neonazi zu sein.

Dass immer mehr Jugendliche zu den Täter*innen gehören, besorgt Beratungsstellen. »Wir bekommen Rückmeldungen, dass sich eine zunehmend gefestigte rechte Jugendkultur herausgebildet hat«, sagt Dorina Feldmann – es gelte in Schulen stellenweise wieder als »in«, Neonazi zu sein. Die Gründe vermutet sie unter anderem in fehlenden alternativen Freizeitangeboten, Krisenstress nach den Corona-Lockdowns und der geschickten Nutzung sozialer Medien durch die extreme Rechte. »Das Gefühl der Perspektivlosigkeit trifft auf eine Gesamtlage, in der rechte Akteure gezielt einfache Erklärungen und Feindbilder anbieten«, so Feldmann. Auch familäre Verhältnisse seien ein Faktor. »Viele der Täter von damals haben kaum Konsequenzen erfahren und sind heute die Eltern jener jungen Neonazis, die sich erneut radikalisieren.« Ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und der Stolz auf die eigene Militanz werde an die nächste Generation weitergegeben.

Auch Carsten Schulz, der als Diakon, Sozialarbeiter und Theaterpädagoge seit fast 14 Jahren die OASE, ein Jugendhaus der evangelischen Kirchengemeinde im brandenburgischen Rathenow leitet, nimmt eine Veränderung wahr: »In der Menge sind sie nicht mehr geworden, aber die rechten Jugendlichen treten selbstbewusster auf«, sagt er. Sie fühlten Rückenwind, erlebten, dass sie nicht alleine sind. »Es gibt diese bestimmte Tonlage, die man jetzt häufiger hört: Die Politik ist scheiße, alles ist scheiße, es muss sich was ändern.« Zu den Gründen befragt, sagt der 59-jährige: »Einsparungen bei Bildung und Kultur, Perspektivlosigkeit, das Gefühl: Alles ist sinnlos. Eine Politik, die wenig Präsenz zeigt und nicht ausreichend transparent ist.« Verantwortung sieht er ebenso bei klassischen Medien, die rassistische Narrative verbreiten, wie bei sozialen Medien, die direkt Fake News zugänglich machen. Nicht zuletzt spiele die AfD eine große Rolle: »Die kommt mit einfachen, klaren Sprüchen, laut, manchmal niederschreiend. Das verfängt. Und es ist manchmal schwer, das zu kontern – weil es alles so haltlos ist.«

Politisch gespaltene Jugend

Die Gemütslage von Jugendlichen wurde auch in der Trendstudie »Jugend in Deutschland 2025« analysiert, die Mitte Mai veröffentlicht wurde. Die repräsentativen Befragung bestätigt, dass junge Menschen unter enormen Druck stehen. 62 Prozent der Befragten sorgten sich um Krieg; wirtschaftliche Sorgen, etwa wegen Inflation, äußerten 57 Prozent, bei teurem oder knappen Wohnraum waren es 48 Prozent. Der Klimawandel macht 47 Prozent Angst, ein weiterer Angstfaktor ist Altersarmut. »Für viele ist der Dauerkrisenmodus nach wie vor Realität – das Niveau psychischer Belastungen bleibt entsprechend hoch, und wir erleben knapp ein Viertel junger Menschen, die angeben, das Gefühl zu haben, eine Behandlung zu benötigen«, kommentiert Kilian Hampel, ein Mitautor der Studie. Fast jeder zweite Befragte klage über Stress, ein Drittel über Erschöpfung.

Die Auswertung zeigt auch, dass das Vertrauen in das politische System bröckelt: Viele Jugendliche fühlen sich von etablierten Parteien nicht mehr vertreten. Bei der Bundestagswahl im Februar verloren die etablierten Parteien bei Jungen deutlich, während Die Linke bei Wähler*innen unter 25 überraschend stärkste Kraft wurde. Aber auch die AfD schnitt überdurchschnittlich ab: Bei den unter 25-Jährigen wurde sie zweitstärkste, im Altersegment darüber (25 bis 34 Jahre) stärkste Partei. Der fehlende Glaube an eine positive Zukunft, wachsender Druck und das Gefühl, dass der Kuchen insgesamt kleiner wird – nicht bei allen, aber doch bei vielen –, führt das offenbar zum Ausfahren der Ellbogen und zu einer Radikalisierung nach rechts.

Sinnvolle Antworten darauf sind von der etablierten Politik kaum zu erwarten. Parallel zur Eröffnung des ersten NSU-Dokumentationszentrums in Chemnitz behauptete der nicht anwesende sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, Demokratie- und Präventionsprojekte seien wirkungslos, da sie zu links seien und die Zielgruppe nicht erreichen würden.

Gleichzeitig lobte er die Ansätze akzeptierender Jugendarbeit der 1990er Jahre, die die Verbreitung extrem rechter Gruppen nachweislich unterstützt und die Entstehung des NSU begünstigt haben. Der sächsische Innenminister Armin Schuster erwog gar, dem Verfassungsschutz zu erlauben, Zwölfjährige zu überwachen. Mehrere Politiker*innen forderten zudem ein generelles Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige. Cottbus hat gleichzeitig angekündigt, die Mittel für die Jugendsozialarbeit ab 2026 um ein Fünftel zu kürzen. Der Sozialausschuss der Stadt wird von der AfD geführt.

Queerfeindliche Gewalt explodiert

Immerhin ist es in Cottbus mittlerweile gelungen, Gespräche zwischen der Stadtspitze, den Landkreisen Spree-Neiße und Oberspreewald-Lausitz sowie der selbstorganisierten Initiative Sichere Orte Südbrandenburg – eine Vernetzung zum Schutz alternativer Projekte – zu erreichen. Was daraus wird, ist noch unklar, die Skepsis bei Aktiven vor Ort ist groß. Sichere Orte Südbrandenburg wird daher wohl weiter auch auf eigene Fähigkeiten setzen: Gemeinsam werden Vorfälle öffentlich gemacht, ein Fonds zur Hilfe bei Reparaturen aufgebaut und gegenseitige Unterstützungsmaßnahmen organisiert, etwa durch Solidaritätskonzerte und Arbeitseinsätze.

Die Situation bleibt äußerst angespannt. Ein zentraler Ort der Auseinandersetzung werden diesen Sommer erneut die CSD-Paraden sein. Die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt verzeichneten für das Jahr 2024 einen Anstieg von queerfeindlichen Angriffen um 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im vergangenen Jahr hatte dazu die Amadeu-Antonio-Stiftung 55 Angriffe auf CSDs gezählt – auch für dieses Jahr erwartet sie Übergriffe. Mit Bedrohungsmails an Veranstalter*innen werde schon jetzt versucht, ein Klima der Angst zu erzeugen, sagt Kai Bölle, Vorstandsmitglied des Vereins CSD Deutschland.

Vielerorts arbeiten Veranstalter*innen bereits mit antifaschistischen Gruppen zusammen, um einen Schutz der Teilnehmer*innen zu gewährleisten. Praktische Solidarität wird hier eine zentrale Aufgabe sein.

Sebastian Bähr

ist Journalist und lebt in Berlin.

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